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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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damit das Verfahren der meisten Anwälte geschichtlicher oder künstlerischer
Revolutionen, und man wird zu beschämenden Resultaten kommen. Wäre von
vornherein innerhalb der romantischen, der jungdeutschen und der jüngstdeutscheu
Revolution streng geschieden worden zwischen der natürlichen Glut und der
künstlichen Erhitzung, zwischen der innern Notwendigkeit und der frevelnden
Willkür, zwischen dem fruchtbaren Selbstgefühl Neues dringender, Großes er¬
strebender Talente und dem verderblichen Größenwahn kleiner Geister, zwischen
der eigentlichen Bewegung und dem hohlen Lärm, der um sie gemacht wurde;
wäre zwischen ihnen wenigstens im Urteil unterschieden worden, so wären uns
etliche unerfreuliche Schauspiele erspart geblieben. Die dreimalige Wieder¬
holung derselben Folge des durchschnittlichen Verhaltens von Kritik und Publikum
wirkt tragikomisch: zuerst geringschätzige Abweisung der jüngern Talente über¬
haupt, dann feige Flucht vor dem Tumult und dein Staub der Zusammen¬
rottung, darauf eine Art hypnotischen Erstarrens, staunender Ausbruch wahl-
und urteilsloser Bewunderung, eine die eigne Empfindung verleugnende ge¬
waltsame Hingebung an das Neue, zuletzt allmähliches Erwachen der Besinnung,
ein Ekelgefühl der Übersättigung an der Manier, instinktive Erkenntnis der
Einseitigkeit und Unzulänglichkeit der modischen Kunst, Nückmeudung zum Be¬
währten und Großen andern Ursprungs, endlich rigorose, schroffe, summarische
Abrechnung mit der ganzen Richtung oder Schule, deren Alleinherrschaft man
eine Zeit lang getragen hat. Bis auf das letzte legen wir jetzt alle diese
Stadien zum drittenmale zurück. Von der wissenschaftlichen Revision und
Einzelbcrichtigung der summarischen Abrechnung, die schon zweimal hinterdrein
gefolgt ist und voraussichtlich auch beim drittenmal nicht ausbleiben wird, er¬
fährt das Publikum meist nichts.

Wie vielmal ist es seufzend ausgesprochen worden, daß die Geschichte
nichts lehre. Es scheint nicht, daß den Massen gegenüber die Litteratur¬
geschichte und die Kunstgeschichte günstiger gestellt seien. Immerhin läßt sich
versuchen, das Nachdenken der Einzelnen anzuregen, und nichts schafft mehr
Klarheit, als wenn sich in drei der Zeit nach auseinanderliegenden littera¬
rischen Perioden dieselben Irrtümer, Vorgänge und Ausschreitungen konsequent
wiederholen und eine ersprießliche Evolution in eine verworrene Revolution
umschlagen. Es sind ja auch Unterschiede dabei vorhanden; während im all¬
gemeinen das gewaltsame Eindrängen außerpoetischer Mächte in die Poesie
und die Zuversicht auf die Wirkungskraft des rohen Stoffs durch alle drei
Umwälzungen und deu ganzen Verlauf des Jahrhunderts hindurch bestündig
zugenommen habe", zeigt doch die zweite, die jungdeutsche Revolution, das
tiefste Sinken des künstlerischen Geistes, und sowohl die erste, die romantische,
wie die moderne dritte gewähren in Bezug hierauf ein besseres Bild.

Wir haben es aber zunächst nicht mit den abweichenden, sondern mit den
ähnlichen Erscheinungen zu thun und können dabei auch die beiseite lassen,
die als gleichartige Erscheinungen innerhalb jeder Entwicklung wiederkehren.


damit das Verfahren der meisten Anwälte geschichtlicher oder künstlerischer
Revolutionen, und man wird zu beschämenden Resultaten kommen. Wäre von
vornherein innerhalb der romantischen, der jungdeutschen und der jüngstdeutscheu
Revolution streng geschieden worden zwischen der natürlichen Glut und der
künstlichen Erhitzung, zwischen der innern Notwendigkeit und der frevelnden
Willkür, zwischen dem fruchtbaren Selbstgefühl Neues dringender, Großes er¬
strebender Talente und dem verderblichen Größenwahn kleiner Geister, zwischen
der eigentlichen Bewegung und dem hohlen Lärm, der um sie gemacht wurde;
wäre zwischen ihnen wenigstens im Urteil unterschieden worden, so wären uns
etliche unerfreuliche Schauspiele erspart geblieben. Die dreimalige Wieder¬
holung derselben Folge des durchschnittlichen Verhaltens von Kritik und Publikum
wirkt tragikomisch: zuerst geringschätzige Abweisung der jüngern Talente über¬
haupt, dann feige Flucht vor dem Tumult und dein Staub der Zusammen¬
rottung, darauf eine Art hypnotischen Erstarrens, staunender Ausbruch wahl-
und urteilsloser Bewunderung, eine die eigne Empfindung verleugnende ge¬
waltsame Hingebung an das Neue, zuletzt allmähliches Erwachen der Besinnung,
ein Ekelgefühl der Übersättigung an der Manier, instinktive Erkenntnis der
Einseitigkeit und Unzulänglichkeit der modischen Kunst, Nückmeudung zum Be¬
währten und Großen andern Ursprungs, endlich rigorose, schroffe, summarische
Abrechnung mit der ganzen Richtung oder Schule, deren Alleinherrschaft man
eine Zeit lang getragen hat. Bis auf das letzte legen wir jetzt alle diese
Stadien zum drittenmale zurück. Von der wissenschaftlichen Revision und
Einzelbcrichtigung der summarischen Abrechnung, die schon zweimal hinterdrein
gefolgt ist und voraussichtlich auch beim drittenmal nicht ausbleiben wird, er¬
fährt das Publikum meist nichts.

Wie vielmal ist es seufzend ausgesprochen worden, daß die Geschichte
nichts lehre. Es scheint nicht, daß den Massen gegenüber die Litteratur¬
geschichte und die Kunstgeschichte günstiger gestellt seien. Immerhin läßt sich
versuchen, das Nachdenken der Einzelnen anzuregen, und nichts schafft mehr
Klarheit, als wenn sich in drei der Zeit nach auseinanderliegenden littera¬
rischen Perioden dieselben Irrtümer, Vorgänge und Ausschreitungen konsequent
wiederholen und eine ersprießliche Evolution in eine verworrene Revolution
umschlagen. Es sind ja auch Unterschiede dabei vorhanden; während im all¬
gemeinen das gewaltsame Eindrängen außerpoetischer Mächte in die Poesie
und die Zuversicht auf die Wirkungskraft des rohen Stoffs durch alle drei
Umwälzungen und deu ganzen Verlauf des Jahrhunderts hindurch bestündig
zugenommen habe», zeigt doch die zweite, die jungdeutsche Revolution, das
tiefste Sinken des künstlerischen Geistes, und sowohl die erste, die romantische,
wie die moderne dritte gewähren in Bezug hierauf ein besseres Bild.

Wir haben es aber zunächst nicht mit den abweichenden, sondern mit den
ähnlichen Erscheinungen zu thun und können dabei auch die beiseite lassen,
die als gleichartige Erscheinungen innerhalb jeder Entwicklung wiederkehren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/36>, abgerufen am 28.09.2024.