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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

selbe mit einigen vom Ritus vorgeschriebnen Änderungen am Thor, dasselbe
auf dem Markte. Wird die Genugthuung verweigert, so bestimmt er den
33. Tag als Endtermin der Rückgabe und spricht: "Höre es, Jupiter, und du,
Juno, und Quirinus, und ihr Götter alle, die des Himmels, die der Erde
und die der Unterwelt! Ich rufe euch zu Zeugen an, daß dieses Volk (er
nennt es mit Namen) ungerecht ist und nicht leistet, was Rechtens ist. Wie
wir zu unserm Recht kommen sollen, darüber werden wir die Ältesten unsers
Staates befragen." Mit gleicher Feierlichkeit wird dann die Sache im Senate
verhandelt, und jeder Abstimmende erklärt: "Ich erachte, daß wir uns durch
einen reinen und frommen Krieg (xuro xioaus änsllo) Recht zu verschaffen
haben." Nach Ablauf des Termins wurde dann der Fetial an die Grenze
geschickt, wo er nach Hersagung der rituellen Kriegserklärung einen blutigen
Speer ins feindliche Gebiet schleuderte. Damit war der Krieg eröffnet. Es
kam wohl vor, daß gerechter Zorn oder Berechnung des Vorteils zum augen¬
blicklichen Losschlagen drängte, aber, bemerkt Livius einmal zum Jahre 424
gelegentlich eines Zwistes mit Veji: reli^lo odstitit; man beschloß doch, die
geheiligten Bräuche des Völkerrechts zu beobachten und Fetialen i-Sö rsxs-
tsnäg.8 zu schicken.

Gewiß haben die Römer mit der Zeit eine große Übung in der Kunst
erlangt, Kriegsfälle zu konstruieren und dabei nicht sowohl das Recht als den
Schein des Rechts zu wahren. Aber wenn sie in ältern Zeiten die immer¬
währende Zwangslage entschuldigt, in der sie nur die Wahl hatten, ob sie
Amboß oder Hammer sein, unterjocht werden oder selbst unterjochen wollten,
so lud sie später das würdelose Verhalten der heruntergekommnen Staaten und
Fürsten des Ostens förmlich ein, die in ewiger Fehde miteinander lebend, un¬
aufhörlich nach Rom Gesandte schickten, einander verklagten, um Bündnis, um
Schutz und Hilfe bettelten. Mit Bewußtsein ungerechte Gewaltthat zu üben,
hat ihnen bis zuletzt widerstrebt, und auch den Jesuitismus, wie mau das
heute nennt, die Benutzung von Zweideutigkeiten bei der Erfüllung von Ver¬
sprechungen und die Täuschung des Feindes verwarfen sie; sie wollten durch¬
aus, daß der Krieg ein ehrliches, ritterliches Duell sei, worin die größere Kraft
und Disziplin, die ohne Tugend nicht denkbar ist, und die gerechte Sache, also
das Göttliche siege. Als Hannibal zehn von den bei Cannä gefangnen Römern
der Auslösung wegen nach Hause gehen ließ, nachdem sie versprochen hatten,
auf jeden Fall zurückzukehren, lief einer von ihnen unter dem Vorwande, er
habe etwas vergessen, uoch einmal ins Lager zurück und dann seinen Gefährten
wieder nach; und als dann der Senat die Auslieferung verweigerte, ging er,
anstatt sich seinen Genossen anzuschließen, in sein Haus, da er ja sein Ver¬
sprechen erfüllt habe; der Senat aber ließ ihn ergreifen und zu Hannibal
zurückführen; einen Mann von ganz unrömischem Geiste nennt ihn Livius
(22, 58 und 61). Und als im Jahre 171 die Legaten Marcius und Attilius


Der Römerstaat

selbe mit einigen vom Ritus vorgeschriebnen Änderungen am Thor, dasselbe
auf dem Markte. Wird die Genugthuung verweigert, so bestimmt er den
33. Tag als Endtermin der Rückgabe und spricht: „Höre es, Jupiter, und du,
Juno, und Quirinus, und ihr Götter alle, die des Himmels, die der Erde
und die der Unterwelt! Ich rufe euch zu Zeugen an, daß dieses Volk (er
nennt es mit Namen) ungerecht ist und nicht leistet, was Rechtens ist. Wie
wir zu unserm Recht kommen sollen, darüber werden wir die Ältesten unsers
Staates befragen." Mit gleicher Feierlichkeit wird dann die Sache im Senate
verhandelt, und jeder Abstimmende erklärt: „Ich erachte, daß wir uns durch
einen reinen und frommen Krieg (xuro xioaus änsllo) Recht zu verschaffen
haben." Nach Ablauf des Termins wurde dann der Fetial an die Grenze
geschickt, wo er nach Hersagung der rituellen Kriegserklärung einen blutigen
Speer ins feindliche Gebiet schleuderte. Damit war der Krieg eröffnet. Es
kam wohl vor, daß gerechter Zorn oder Berechnung des Vorteils zum augen¬
blicklichen Losschlagen drängte, aber, bemerkt Livius einmal zum Jahre 424
gelegentlich eines Zwistes mit Veji: reli^lo odstitit; man beschloß doch, die
geheiligten Bräuche des Völkerrechts zu beobachten und Fetialen i-Sö rsxs-
tsnäg.8 zu schicken.

Gewiß haben die Römer mit der Zeit eine große Übung in der Kunst
erlangt, Kriegsfälle zu konstruieren und dabei nicht sowohl das Recht als den
Schein des Rechts zu wahren. Aber wenn sie in ältern Zeiten die immer¬
währende Zwangslage entschuldigt, in der sie nur die Wahl hatten, ob sie
Amboß oder Hammer sein, unterjocht werden oder selbst unterjochen wollten,
so lud sie später das würdelose Verhalten der heruntergekommnen Staaten und
Fürsten des Ostens förmlich ein, die in ewiger Fehde miteinander lebend, un¬
aufhörlich nach Rom Gesandte schickten, einander verklagten, um Bündnis, um
Schutz und Hilfe bettelten. Mit Bewußtsein ungerechte Gewaltthat zu üben,
hat ihnen bis zuletzt widerstrebt, und auch den Jesuitismus, wie mau das
heute nennt, die Benutzung von Zweideutigkeiten bei der Erfüllung von Ver¬
sprechungen und die Täuschung des Feindes verwarfen sie; sie wollten durch¬
aus, daß der Krieg ein ehrliches, ritterliches Duell sei, worin die größere Kraft
und Disziplin, die ohne Tugend nicht denkbar ist, und die gerechte Sache, also
das Göttliche siege. Als Hannibal zehn von den bei Cannä gefangnen Römern
der Auslösung wegen nach Hause gehen ließ, nachdem sie versprochen hatten,
auf jeden Fall zurückzukehren, lief einer von ihnen unter dem Vorwande, er
habe etwas vergessen, uoch einmal ins Lager zurück und dann seinen Gefährten
wieder nach; und als dann der Senat die Auslieferung verweigerte, ging er,
anstatt sich seinen Genossen anzuschließen, in sein Haus, da er ja sein Ver¬
sprechen erfüllt habe; der Senat aber ließ ihn ergreifen und zu Hannibal
zurückführen; einen Mann von ganz unrömischem Geiste nennt ihn Livius
(22, 58 und 61). Und als im Jahre 171 die Legaten Marcius und Attilius


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/359>, abgerufen am 28.09.2024.