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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Ausgleich und die Biindnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

der stärkste Nagel zu seinem staatsmännischen Sarge werden sollte. Der
im Sinne des Ausgleichgesetzes von 1867 durchaus korrekte dualistische
Formalismus Koloman Szells hat diesen Termin auf die Zeit bis zum Ab¬
laufe der internationalen Handelsverträge, bis zum Ende des Jahres 1903,
verkürzt und ist hierfür, wie sich auch die Österreicher dagegen wehren möge",
der Zustimmung seines Parlaments sicher.

Aus Rücksicht auf die Krone, die eine Unterbrechung der handelspolitischen
Einheit der Monarchie um jeden Preis vermieden sehn möchte und darum
auch in die Ersetzung der Jschler Klausel durch die Szellsche Formel ein¬
gewilligt hatte, bequemt sich der neue ungarische Ministerpräsident auch zur
Duldung der vom Grafen Thun in Aussicht genommnen gesetzwidrigen Oktroyie-
rung der Vänffy-Badenischen Ausgleichvereinbarungen mittels des Notpara¬
graphen 14. Wenn aber irgend möglich, möchte er doch der konstitutionellen
Votierung durch den Reichstag entschieden den Vorzug geben und seinerseits
gewiß gern alles dazu beitragen, selbst wenn zur Erzielung dieses Resultats
Graf Thun ebenfalls den Weg Badenis und Bänffys gehn müßte. Vielleicht
führt der unersättliche nationale Fanatismus und Größenwahn der Tschechen
zu dieser sür die Großmachtstellung und sür den innern Frieden der Monarchie
vorteilhaftester Lösung.

Aber selbst in diesem Falle, der, auch ganz abgesehen von der verzweifelten
politischen Lage in Österreich, schon wegen des ungünstigen Inhalts des Aus¬
gleichs nahezu ausgeschlossen erscheint, sind die separatistischen Gelüste des
Magharentums nur für wenige Jahre zurückgedrängt. Sobald im Jahre 1901
die Vorbereitungen auf die Erneuerung der internationalen Handelsverträge
beginnen, wird man von ungarischer Seite nicht bloß die eignen Interessen
gegenüber den vielfach abweichenden der andern Reichshälfte rücksichtslos
vertreten, sondern auch in der äußern Form der Verträge die selbständige
Staatlichkeit Ungarns so entschieden wie möglich aussprechen. Man hat sich
in die fixe Idee von der unerträglichen wirtschaftlichen Abhängigkeit von Öster¬
reich so fest verrannt, daß zwischen den politischen Parteien Ansichtsverschieden¬
heiten nur über deu Zeitpunkt bestehn, wo Ungarn wirtschaftlich stark genug
sein wird, das Joch der handelspolitischen Gemeinsamkeit mit Österreich ab¬
zuschütteln.

Wenn nicht noch in diesem Jahre das Zoll- und Handelsbündnis in der
seit 1867 unter immer wachsenden Schwierigkeiten schließlich erzwungnen Form
zu stände kommt, so ist im Jahre 1903 oder 1904 die handelspolitische Tren¬
nung der beiden Staaten der Monarchie ohne eine etwaige vorher sich voll¬
ziehende gründliche Änderung der Weltlage kaum abwendbar. Den übrigen
europäischen Staaten mag die dann augenfällig, weil auch wirtschaftlich zu Tage
tretende Verwandlung der Großmacht Österreich-Ungarn in einen lockern Bund
Meier Mittelstaaten gleichgiltig, manchen sogar nicht unwillkommen sein. Aber


Der Ausgleich und die Biindnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

der stärkste Nagel zu seinem staatsmännischen Sarge werden sollte. Der
im Sinne des Ausgleichgesetzes von 1867 durchaus korrekte dualistische
Formalismus Koloman Szells hat diesen Termin auf die Zeit bis zum Ab¬
laufe der internationalen Handelsverträge, bis zum Ende des Jahres 1903,
verkürzt und ist hierfür, wie sich auch die Österreicher dagegen wehren möge»,
der Zustimmung seines Parlaments sicher.

Aus Rücksicht auf die Krone, die eine Unterbrechung der handelspolitischen
Einheit der Monarchie um jeden Preis vermieden sehn möchte und darum
auch in die Ersetzung der Jschler Klausel durch die Szellsche Formel ein¬
gewilligt hatte, bequemt sich der neue ungarische Ministerpräsident auch zur
Duldung der vom Grafen Thun in Aussicht genommnen gesetzwidrigen Oktroyie-
rung der Vänffy-Badenischen Ausgleichvereinbarungen mittels des Notpara¬
graphen 14. Wenn aber irgend möglich, möchte er doch der konstitutionellen
Votierung durch den Reichstag entschieden den Vorzug geben und seinerseits
gewiß gern alles dazu beitragen, selbst wenn zur Erzielung dieses Resultats
Graf Thun ebenfalls den Weg Badenis und Bänffys gehn müßte. Vielleicht
führt der unersättliche nationale Fanatismus und Größenwahn der Tschechen
zu dieser sür die Großmachtstellung und sür den innern Frieden der Monarchie
vorteilhaftester Lösung.

Aber selbst in diesem Falle, der, auch ganz abgesehen von der verzweifelten
politischen Lage in Österreich, schon wegen des ungünstigen Inhalts des Aus¬
gleichs nahezu ausgeschlossen erscheint, sind die separatistischen Gelüste des
Magharentums nur für wenige Jahre zurückgedrängt. Sobald im Jahre 1901
die Vorbereitungen auf die Erneuerung der internationalen Handelsverträge
beginnen, wird man von ungarischer Seite nicht bloß die eignen Interessen
gegenüber den vielfach abweichenden der andern Reichshälfte rücksichtslos
vertreten, sondern auch in der äußern Form der Verträge die selbständige
Staatlichkeit Ungarns so entschieden wie möglich aussprechen. Man hat sich
in die fixe Idee von der unerträglichen wirtschaftlichen Abhängigkeit von Öster¬
reich so fest verrannt, daß zwischen den politischen Parteien Ansichtsverschieden¬
heiten nur über deu Zeitpunkt bestehn, wo Ungarn wirtschaftlich stark genug
sein wird, das Joch der handelspolitischen Gemeinsamkeit mit Österreich ab¬
zuschütteln.

Wenn nicht noch in diesem Jahre das Zoll- und Handelsbündnis in der
seit 1867 unter immer wachsenden Schwierigkeiten schließlich erzwungnen Form
zu stände kommt, so ist im Jahre 1903 oder 1904 die handelspolitische Tren¬
nung der beiden Staaten der Monarchie ohne eine etwaige vorher sich voll¬
ziehende gründliche Änderung der Weltlage kaum abwendbar. Den übrigen
europäischen Staaten mag die dann augenfällig, weil auch wirtschaftlich zu Tage
tretende Verwandlung der Großmacht Österreich-Ungarn in einen lockern Bund
Meier Mittelstaaten gleichgiltig, manchen sogar nicht unwillkommen sein. Aber


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[0350] Der Ausgleich und die Biindnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie der stärkste Nagel zu seinem staatsmännischen Sarge werden sollte. Der im Sinne des Ausgleichgesetzes von 1867 durchaus korrekte dualistische Formalismus Koloman Szells hat diesen Termin auf die Zeit bis zum Ab¬ laufe der internationalen Handelsverträge, bis zum Ende des Jahres 1903, verkürzt und ist hierfür, wie sich auch die Österreicher dagegen wehren möge», der Zustimmung seines Parlaments sicher. Aus Rücksicht auf die Krone, die eine Unterbrechung der handelspolitischen Einheit der Monarchie um jeden Preis vermieden sehn möchte und darum auch in die Ersetzung der Jschler Klausel durch die Szellsche Formel ein¬ gewilligt hatte, bequemt sich der neue ungarische Ministerpräsident auch zur Duldung der vom Grafen Thun in Aussicht genommnen gesetzwidrigen Oktroyie- rung der Vänffy-Badenischen Ausgleichvereinbarungen mittels des Notpara¬ graphen 14. Wenn aber irgend möglich, möchte er doch der konstitutionellen Votierung durch den Reichstag entschieden den Vorzug geben und seinerseits gewiß gern alles dazu beitragen, selbst wenn zur Erzielung dieses Resultats Graf Thun ebenfalls den Weg Badenis und Bänffys gehn müßte. Vielleicht führt der unersättliche nationale Fanatismus und Größenwahn der Tschechen zu dieser sür die Großmachtstellung und sür den innern Frieden der Monarchie vorteilhaftester Lösung. Aber selbst in diesem Falle, der, auch ganz abgesehen von der verzweifelten politischen Lage in Österreich, schon wegen des ungünstigen Inhalts des Aus¬ gleichs nahezu ausgeschlossen erscheint, sind die separatistischen Gelüste des Magharentums nur für wenige Jahre zurückgedrängt. Sobald im Jahre 1901 die Vorbereitungen auf die Erneuerung der internationalen Handelsverträge beginnen, wird man von ungarischer Seite nicht bloß die eignen Interessen gegenüber den vielfach abweichenden der andern Reichshälfte rücksichtslos vertreten, sondern auch in der äußern Form der Verträge die selbständige Staatlichkeit Ungarns so entschieden wie möglich aussprechen. Man hat sich in die fixe Idee von der unerträglichen wirtschaftlichen Abhängigkeit von Öster¬ reich so fest verrannt, daß zwischen den politischen Parteien Ansichtsverschieden¬ heiten nur über deu Zeitpunkt bestehn, wo Ungarn wirtschaftlich stark genug sein wird, das Joch der handelspolitischen Gemeinsamkeit mit Österreich ab¬ zuschütteln. Wenn nicht noch in diesem Jahre das Zoll- und Handelsbündnis in der seit 1867 unter immer wachsenden Schwierigkeiten schließlich erzwungnen Form zu stände kommt, so ist im Jahre 1903 oder 1904 die handelspolitische Tren¬ nung der beiden Staaten der Monarchie ohne eine etwaige vorher sich voll¬ ziehende gründliche Änderung der Weltlage kaum abwendbar. Den übrigen europäischen Staaten mag die dann augenfällig, weil auch wirtschaftlich zu Tage tretende Verwandlung der Großmacht Österreich-Ungarn in einen lockern Bund Meier Mittelstaaten gleichgiltig, manchen sogar nicht unwillkommen sein. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/350>, abgerufen am 28.09.2024.