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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Ausgleich und die Bündnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

"Reichskanzler" Grafen Beust eröffnete Aussicht getröstet, daß nun die
Slawen an die Wand gedrückt werden würden. Die Mehrheit der Bewohner
Ungarns konnte die formelle Anerkennung der magyarischen Hegemonie nur
mit größter Sorge erfüllen. Die herrschende Nasse betrachtete aber die durch
das Ausgleichswerk Death geschaffnen Zustände -- soweit sie sie nicht in
kossuthischem Geiste als oerdammenswerte "Aufgebung der vollständigen Selb¬
ständigkeit" perhorreszierte -- lediglich als Etappe zum "weitern Ausbau
der ungarischen Staatlichkeit." Daß die logischen Konsequenzen dieser An¬
schauungsweise nicht alsbald in erfolgreicher Weise zu Tage traten, hatte seinen
Grund lediglich in der gegen das Ende des ersten Jahrzehnts dualistischer
Staatskunst nichts weniger als glänzenden Gestaltung der wirtschaftlichen und
namentlich staatsfinanziellen Verhältnisse des wenigstens für sein inneres Leben
wieder selbständig gewordnen marianischen Königreichs. Immerhin haben die
Vankfrage, die Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses und die Ab¬
änderung der Verzehrungssteuergesetze, wie sich ältere Parlamentarier ja genau
erinnern müssen, schon in der Mitte der siebziger Jahre zu den erregtesten
Verhandlungen, zu Parlaments- und Kabinettskrisen diesseits und jenseits der
Leitha geführt und schon die Honigmonde des Ministeriums Tisza schwer ge¬
trübt, das sich auf den Schwingen der durch Verleugnung der staatsrecht¬
lichen Prinzipien des linken Zentrums geschaffnen liberalen Partei erhob.

Als zehn Jahre später die Mehrheit des Parlaments unter der uner¬
schütterlich scheinenden Parlamentarischen Diktatur Koloman Tiszas nicht nur
im dualistischen Sinne zuverlässig und gewissermaßen hoffähig geworden war,
sondern auch von den sehr liberal verteilten Vorteilen der Macht vollauf ge¬
sättigt war, da fühlte sich diese Mehrheit viel zu wohl, als daß sie der Er¬
neuerung eines unter wenig veränderten Verhältnissen im großen und ganzen
identischen Ausgleichs ernstlichen Widerstand entgegenzusetzen geneigt gewesen
wäre. Wenn auch noch nicht die finanzielle, so zeigte doch die wirtschaftliche
Entwicklung Ungarns eine sichtlich aufsteigende Linie, und so hielt die öffent¬
liche Meinung, trotz der Anstrengungen der beiden oppositionellen Parteien,
die Ausgleichsbedingungen als nicht günstig genug darzustellen, es doch für
opportun, sich mit der Fortdauer der wirtschaftlichen Gemeinsamkeit und mit
der alten Quote zu den "pragmatischen" gemeinsamen Angelegenheiten ziemlich
glatt abzufinden. Zumal da auch der von allen Parteien sehnlichst herbei¬
gewünschten größern Selbständigkeit von Österreich einige Konzessionen, so ins¬
besondre die Auflösung des Lloydvertrages gemacht worden waren.

Das jetzt verflossene Jahrzehnt hat aber mit einer wesentlichen Ver¬
schiebung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den beiden Staaten
der Monarchie auch eine gründliche Veränderung in den Stimmungen sowohl
der politischen Kreise wie der Bevölkerung Ungarns überhaupt herbeigeführt.
Der gewaltthätig chauvinistische und separatistische Zug, den der zu rascher


Der Ausgleich und die Bündnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie

„Reichskanzler" Grafen Beust eröffnete Aussicht getröstet, daß nun die
Slawen an die Wand gedrückt werden würden. Die Mehrheit der Bewohner
Ungarns konnte die formelle Anerkennung der magyarischen Hegemonie nur
mit größter Sorge erfüllen. Die herrschende Nasse betrachtete aber die durch
das Ausgleichswerk Death geschaffnen Zustände — soweit sie sie nicht in
kossuthischem Geiste als oerdammenswerte „Aufgebung der vollständigen Selb¬
ständigkeit" perhorreszierte — lediglich als Etappe zum „weitern Ausbau
der ungarischen Staatlichkeit." Daß die logischen Konsequenzen dieser An¬
schauungsweise nicht alsbald in erfolgreicher Weise zu Tage traten, hatte seinen
Grund lediglich in der gegen das Ende des ersten Jahrzehnts dualistischer
Staatskunst nichts weniger als glänzenden Gestaltung der wirtschaftlichen und
namentlich staatsfinanziellen Verhältnisse des wenigstens für sein inneres Leben
wieder selbständig gewordnen marianischen Königreichs. Immerhin haben die
Vankfrage, die Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses und die Ab¬
änderung der Verzehrungssteuergesetze, wie sich ältere Parlamentarier ja genau
erinnern müssen, schon in der Mitte der siebziger Jahre zu den erregtesten
Verhandlungen, zu Parlaments- und Kabinettskrisen diesseits und jenseits der
Leitha geführt und schon die Honigmonde des Ministeriums Tisza schwer ge¬
trübt, das sich auf den Schwingen der durch Verleugnung der staatsrecht¬
lichen Prinzipien des linken Zentrums geschaffnen liberalen Partei erhob.

Als zehn Jahre später die Mehrheit des Parlaments unter der uner¬
schütterlich scheinenden Parlamentarischen Diktatur Koloman Tiszas nicht nur
im dualistischen Sinne zuverlässig und gewissermaßen hoffähig geworden war,
sondern auch von den sehr liberal verteilten Vorteilen der Macht vollauf ge¬
sättigt war, da fühlte sich diese Mehrheit viel zu wohl, als daß sie der Er¬
neuerung eines unter wenig veränderten Verhältnissen im großen und ganzen
identischen Ausgleichs ernstlichen Widerstand entgegenzusetzen geneigt gewesen
wäre. Wenn auch noch nicht die finanzielle, so zeigte doch die wirtschaftliche
Entwicklung Ungarns eine sichtlich aufsteigende Linie, und so hielt die öffent¬
liche Meinung, trotz der Anstrengungen der beiden oppositionellen Parteien,
die Ausgleichsbedingungen als nicht günstig genug darzustellen, es doch für
opportun, sich mit der Fortdauer der wirtschaftlichen Gemeinsamkeit und mit
der alten Quote zu den „pragmatischen" gemeinsamen Angelegenheiten ziemlich
glatt abzufinden. Zumal da auch der von allen Parteien sehnlichst herbei¬
gewünschten größern Selbständigkeit von Österreich einige Konzessionen, so ins¬
besondre die Auflösung des Lloydvertrages gemacht worden waren.

Das jetzt verflossene Jahrzehnt hat aber mit einer wesentlichen Ver¬
schiebung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den beiden Staaten
der Monarchie auch eine gründliche Veränderung in den Stimmungen sowohl
der politischen Kreise wie der Bevölkerung Ungarns überhaupt herbeigeführt.
Der gewaltthätig chauvinistische und separatistische Zug, den der zu rascher


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[0347] Der Ausgleich und die Bündnisfähigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie „Reichskanzler" Grafen Beust eröffnete Aussicht getröstet, daß nun die Slawen an die Wand gedrückt werden würden. Die Mehrheit der Bewohner Ungarns konnte die formelle Anerkennung der magyarischen Hegemonie nur mit größter Sorge erfüllen. Die herrschende Nasse betrachtete aber die durch das Ausgleichswerk Death geschaffnen Zustände — soweit sie sie nicht in kossuthischem Geiste als oerdammenswerte „Aufgebung der vollständigen Selb¬ ständigkeit" perhorreszierte — lediglich als Etappe zum „weitern Ausbau der ungarischen Staatlichkeit." Daß die logischen Konsequenzen dieser An¬ schauungsweise nicht alsbald in erfolgreicher Weise zu Tage traten, hatte seinen Grund lediglich in der gegen das Ende des ersten Jahrzehnts dualistischer Staatskunst nichts weniger als glänzenden Gestaltung der wirtschaftlichen und namentlich staatsfinanziellen Verhältnisse des wenigstens für sein inneres Leben wieder selbständig gewordnen marianischen Königreichs. Immerhin haben die Vankfrage, die Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses und die Ab¬ änderung der Verzehrungssteuergesetze, wie sich ältere Parlamentarier ja genau erinnern müssen, schon in der Mitte der siebziger Jahre zu den erregtesten Verhandlungen, zu Parlaments- und Kabinettskrisen diesseits und jenseits der Leitha geführt und schon die Honigmonde des Ministeriums Tisza schwer ge¬ trübt, das sich auf den Schwingen der durch Verleugnung der staatsrecht¬ lichen Prinzipien des linken Zentrums geschaffnen liberalen Partei erhob. Als zehn Jahre später die Mehrheit des Parlaments unter der uner¬ schütterlich scheinenden Parlamentarischen Diktatur Koloman Tiszas nicht nur im dualistischen Sinne zuverlässig und gewissermaßen hoffähig geworden war, sondern auch von den sehr liberal verteilten Vorteilen der Macht vollauf ge¬ sättigt war, da fühlte sich diese Mehrheit viel zu wohl, als daß sie der Er¬ neuerung eines unter wenig veränderten Verhältnissen im großen und ganzen identischen Ausgleichs ernstlichen Widerstand entgegenzusetzen geneigt gewesen wäre. Wenn auch noch nicht die finanzielle, so zeigte doch die wirtschaftliche Entwicklung Ungarns eine sichtlich aufsteigende Linie, und so hielt die öffent¬ liche Meinung, trotz der Anstrengungen der beiden oppositionellen Parteien, die Ausgleichsbedingungen als nicht günstig genug darzustellen, es doch für opportun, sich mit der Fortdauer der wirtschaftlichen Gemeinsamkeit und mit der alten Quote zu den „pragmatischen" gemeinsamen Angelegenheiten ziemlich glatt abzufinden. Zumal da auch der von allen Parteien sehnlichst herbei¬ gewünschten größern Selbständigkeit von Österreich einige Konzessionen, so ins¬ besondre die Auflösung des Lloydvertrages gemacht worden waren. Das jetzt verflossene Jahrzehnt hat aber mit einer wesentlichen Ver¬ schiebung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den beiden Staaten der Monarchie auch eine gründliche Veränderung in den Stimmungen sowohl der politischen Kreise wie der Bevölkerung Ungarns überhaupt herbeigeführt. Der gewaltthätig chauvinistische und separatistische Zug, den der zu rascher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/347>, abgerufen am 28.09.2024.