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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Hein lvieck

Wald. Sie hat sich schon längst darein gefunden, daß sich der Hebebaum des Sod-
brunneus einbilden darf, nicht niedriger zu sein als sie. Dieser sieht um so hoch¬
mütiger aus, zumal dann, wenn er ganz hochgereckt nud die Stauge am Geländer
eingeklinkt ist.




Die durch das Dorf führende Landstraße läuft an dem Saum des großen
Waldes daher, aber so eigensinnig unabhängig von dem Gehege und so wunderlich
gewunden, daß die Bäume bald nah bald fern sind, und der Blick des Wandrers
nnr an wenigen Stellen in die grüne Einsamkeit hinabtaucht. Nach unserm Kirch¬
dorf zweigt ein Seitenweg ab, der in großen Umwegen um den Wald herumführt;
Fußgänger aber gehn von Namlosbek ans mitten durch das Gehege, das mit
seinem keuschen Schweigen eine Geviertmeile einsamen Glücks bedeckt.

Die meisten Bauernhäuser kehren die große Dielenthür der Landstraße, die
Stubenfenster den Gärten und Wischhöfen zu, was ihnen vom Wege her ein selt¬
sam verschmitzt zugeknöpftes Aussehen giebt.

Ich ahne, was dieses lustige Heimlichthuu bedeutet, und wir alle werden es
erfahren, sobald die magische Dämmerung der Dachböden, ihr stilles Summen und
Weben uus zum erstenmal umsponnen hat. Es ist gar kein Zweifel: all die schalk¬
haften Giebelgesichter sind der Dnchbodenwuuder froh, die sie berge".

Wie würde wohl Böcklin die Stille eines Heubodens malen?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nicht einmal, wie ich sie selbst darstellen würde, wenn ich Künstler
wäre. Aber einige Linien arbeiten sich doch aus dem Wust meiner Vorstellungen
heraus:

Ein Weib (das versteht sich von selbst), ein großes, schönes (ebenso selbst¬
verständlich) ist Mittelpunkt der Erscheinung.

Große, schwarze, strahlende Augen muß sie haben und das blauschwarze,
glänzende Haar, aus dem die Funken knistern, wenn man die widerspenstigen Locken
aus der Stirn streicht.

Und das Gewand?

Es muß aus halbwelken Blumen: Kuhblumen und Distelköpfen, sowie aus
Wollgräsern und Hen gewebt sein; ich meine das weiche, gelbe Heu, das auf hohen
Scmdaderu inmitten morastiger Wiesen geerntet wird.

Im Hahnengerüst muß sie sitzen. Sie ist ja ein Gespenst, und Gespenster
verstehn sich auch im Hahnholz einzurichten.

Und dann . . . suam . . . suum! Sie spinnt auf einem schemenhaften Ge-
spensterspinurad allerlei Wunderliches: Silberhen und Goldstroh.

Und zwei Katzen müssen dabei sein . . . eine niedliche weiße, schmeichelnd in
dem Gewand ihrer Herrin vergraben, sodaß man nnr das kluge Köpfchen sieht . . .
ein großes schwarzes Ungetüm mit runden Glutaugen. Das hockt neben ihr zur
Lücken, frei auf dem Balken, und leckt sich die Lippen mit roter, blutdürstiger
Zunge.

So ungefähr.

Aber das ist ja alles Unsinn. Mein Freund Hein, der hat Erfahrung in der
Stallpoesie.

Der soll uns sagen, wie sie aussieht, die weltabgeschiedue, summende und
webende Dachbodenstille.




Hein lvieck

Wald. Sie hat sich schon längst darein gefunden, daß sich der Hebebaum des Sod-
brunneus einbilden darf, nicht niedriger zu sein als sie. Dieser sieht um so hoch¬
mütiger aus, zumal dann, wenn er ganz hochgereckt nud die Stauge am Geländer
eingeklinkt ist.




Die durch das Dorf führende Landstraße läuft an dem Saum des großen
Waldes daher, aber so eigensinnig unabhängig von dem Gehege und so wunderlich
gewunden, daß die Bäume bald nah bald fern sind, und der Blick des Wandrers
nnr an wenigen Stellen in die grüne Einsamkeit hinabtaucht. Nach unserm Kirch¬
dorf zweigt ein Seitenweg ab, der in großen Umwegen um den Wald herumführt;
Fußgänger aber gehn von Namlosbek ans mitten durch das Gehege, das mit
seinem keuschen Schweigen eine Geviertmeile einsamen Glücks bedeckt.

Die meisten Bauernhäuser kehren die große Dielenthür der Landstraße, die
Stubenfenster den Gärten und Wischhöfen zu, was ihnen vom Wege her ein selt¬
sam verschmitzt zugeknöpftes Aussehen giebt.

Ich ahne, was dieses lustige Heimlichthuu bedeutet, und wir alle werden es
erfahren, sobald die magische Dämmerung der Dachböden, ihr stilles Summen und
Weben uus zum erstenmal umsponnen hat. Es ist gar kein Zweifel: all die schalk¬
haften Giebelgesichter sind der Dnchbodenwuuder froh, die sie berge».

Wie würde wohl Böcklin die Stille eines Heubodens malen?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nicht einmal, wie ich sie selbst darstellen würde, wenn ich Künstler
wäre. Aber einige Linien arbeiten sich doch aus dem Wust meiner Vorstellungen
heraus:

Ein Weib (das versteht sich von selbst), ein großes, schönes (ebenso selbst¬
verständlich) ist Mittelpunkt der Erscheinung.

Große, schwarze, strahlende Augen muß sie haben und das blauschwarze,
glänzende Haar, aus dem die Funken knistern, wenn man die widerspenstigen Locken
aus der Stirn streicht.

Und das Gewand?

Es muß aus halbwelken Blumen: Kuhblumen und Distelköpfen, sowie aus
Wollgräsern und Hen gewebt sein; ich meine das weiche, gelbe Heu, das auf hohen
Scmdaderu inmitten morastiger Wiesen geerntet wird.

Im Hahnengerüst muß sie sitzen. Sie ist ja ein Gespenst, und Gespenster
verstehn sich auch im Hahnholz einzurichten.

Und dann . . . suam . . . suum! Sie spinnt auf einem schemenhaften Ge-
spensterspinurad allerlei Wunderliches: Silberhen und Goldstroh.

Und zwei Katzen müssen dabei sein . . . eine niedliche weiße, schmeichelnd in
dem Gewand ihrer Herrin vergraben, sodaß man nnr das kluge Köpfchen sieht . . .
ein großes schwarzes Ungetüm mit runden Glutaugen. Das hockt neben ihr zur
Lücken, frei auf dem Balken, und leckt sich die Lippen mit roter, blutdürstiger
Zunge.

So ungefähr.

Aber das ist ja alles Unsinn. Mein Freund Hein, der hat Erfahrung in der
Stallpoesie.

Der soll uns sagen, wie sie aussieht, die weltabgeschiedue, summende und
webende Dachbodenstille.




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[0330] Hein lvieck Wald. Sie hat sich schon längst darein gefunden, daß sich der Hebebaum des Sod- brunneus einbilden darf, nicht niedriger zu sein als sie. Dieser sieht um so hoch¬ mütiger aus, zumal dann, wenn er ganz hochgereckt nud die Stauge am Geländer eingeklinkt ist. Die durch das Dorf führende Landstraße läuft an dem Saum des großen Waldes daher, aber so eigensinnig unabhängig von dem Gehege und so wunderlich gewunden, daß die Bäume bald nah bald fern sind, und der Blick des Wandrers nnr an wenigen Stellen in die grüne Einsamkeit hinabtaucht. Nach unserm Kirch¬ dorf zweigt ein Seitenweg ab, der in großen Umwegen um den Wald herumführt; Fußgänger aber gehn von Namlosbek ans mitten durch das Gehege, das mit seinem keuschen Schweigen eine Geviertmeile einsamen Glücks bedeckt. Die meisten Bauernhäuser kehren die große Dielenthür der Landstraße, die Stubenfenster den Gärten und Wischhöfen zu, was ihnen vom Wege her ein selt¬ sam verschmitzt zugeknöpftes Aussehen giebt. Ich ahne, was dieses lustige Heimlichthuu bedeutet, und wir alle werden es erfahren, sobald die magische Dämmerung der Dachböden, ihr stilles Summen und Weben uus zum erstenmal umsponnen hat. Es ist gar kein Zweifel: all die schalk¬ haften Giebelgesichter sind der Dnchbodenwuuder froh, die sie berge». Wie würde wohl Böcklin die Stille eines Heubodens malen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, wie ich sie selbst darstellen würde, wenn ich Künstler wäre. Aber einige Linien arbeiten sich doch aus dem Wust meiner Vorstellungen heraus: Ein Weib (das versteht sich von selbst), ein großes, schönes (ebenso selbst¬ verständlich) ist Mittelpunkt der Erscheinung. Große, schwarze, strahlende Augen muß sie haben und das blauschwarze, glänzende Haar, aus dem die Funken knistern, wenn man die widerspenstigen Locken aus der Stirn streicht. Und das Gewand? Es muß aus halbwelken Blumen: Kuhblumen und Distelköpfen, sowie aus Wollgräsern und Hen gewebt sein; ich meine das weiche, gelbe Heu, das auf hohen Scmdaderu inmitten morastiger Wiesen geerntet wird. Im Hahnengerüst muß sie sitzen. Sie ist ja ein Gespenst, und Gespenster verstehn sich auch im Hahnholz einzurichten. Und dann . . . suam . . . suum! Sie spinnt auf einem schemenhaften Ge- spensterspinurad allerlei Wunderliches: Silberhen und Goldstroh. Und zwei Katzen müssen dabei sein . . . eine niedliche weiße, schmeichelnd in dem Gewand ihrer Herrin vergraben, sodaß man nnr das kluge Köpfchen sieht . . . ein großes schwarzes Ungetüm mit runden Glutaugen. Das hockt neben ihr zur Lücken, frei auf dem Balken, und leckt sich die Lippen mit roter, blutdürstiger Zunge. So ungefähr. Aber das ist ja alles Unsinn. Mein Freund Hein, der hat Erfahrung in der Stallpoesie. Der soll uns sagen, wie sie aussieht, die weltabgeschiedue, summende und webende Dachbodenstille.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/330>, abgerufen am 28.09.2024.