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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Losung auf dem Schilde geführt, und dennoch dreimal einzig und allem die
Übereinstimmung mit dem für deu Augenblick herrschenden Stil (der jederzeit
nur für bestimmte Stoffkreise und Gefühlsrichtungen anwendbar ist und allen
andern mit naturloser und willkürlicher Gewaltsamkeit ausgepreßt werden muß)
als Maßstab gewaltsam angelegt, ja die Verwandtschaft mit modischen Fratzen
und launischen Ausartungen des Augenblicks zum alleinigen Wertmesser des
Talents, des litterarische" Charakters erhoben.

Die beiden ersten Revolutionen dieser Art, die romantische wie die jung-
deutsche, haben den Versuch, die natürliche Vorwärtsbewegung und Umbildung
der Kunst zu einem gewaltsamen Vernichtungskampfe gegen alles außer und
neben ihnen Vorhandne zu steigern, mit einer Reaktion bezahlt, die für viele
talentvolle Träger ihrer Ideen verhängnisvoll geworden ist. Als es galt,
den unnötig und frevelhaft zerrissenen Zusammenhang der Entwicklung wieder
herzustellen, verfuhren das Publikum wie die Kritik und Litteraturgeschichte ein
wenig zu summarisch; die Einzclvorzttge und Einzelleistungen sanken in der
notwendigen Abwehr und bei dem Kampf um den Wiedergewinn gesunder An¬
schauungen zu Boden. Die Führer und Gefolgsmänner der dritten, noch
tobenden Revolution, die sich des unbedingten Sieges rühmen, wenn sie auch
anfangen, zweifelhaft zu werden, ob Hauptmann und Halbe wirklich gewaltiger
als Goethe und Schiller, oder Sudermanu und Liliencron vortrefflicher als
Grillparzer und Mörike seien, stehen doch in dem Wahne, daß keine Zeit
kommen könne, die die dritte umstürzende Bewegung des neunzehnten Jahr¬
hunderts genau so anfassen, sie genau so im Lichte der natürlichen Entwicklung,
der natürlichen Unteilbarkeit alles echten Geistes- und Kunstlebens prüfen und
genau so entschlossen rücksichtslos und summarisch worfeln werde, wie die
Romantiker und die jungdeutschen Tendenzprosaiker samt dem Anhang der
Politischen Poeten angefaßt, geprüft und nach dem Scheffel geworfelt worden
sind. Nicht mit fein abwägender Gerechtigkeit und doch nicht zu Unrecht, denn
Not kennt kein Gebot, und wenn eine maßlos fanatische und zum guten Teil
willkürliche Erregung die Geister verwirrt, die Empfänglichkeit der Genießenden
gelähmt, die Teilnahme gewaltsam auf einen kleinsten Teil eines großen
Ganzen gesammelt, das Urteil unsicher gemacht hat, so Verfahren litterarische
Restaurationen weder säuberlicher noch sänftlicher als politische. Die Modernen
können versichert sein, daß es ihnen nicht besser ergehen wird als den Ro¬
mantikern und deu Jungdeutschen, und tausend Anzeichen sprechen dafür, daß
das deutsche Volk müde ist, sich alle alten Ehren und Größen seiner Litteratur
zu Gunsten von bestenfalls sehr einseitigen Leistungen, von kurzatmigen An¬
läufen, raffinierter Experimenten und vor allem von Dogmen verleiden zu
lassen, bei denen es überhaupt keine Poesie geben könnte, und die deshalb von
ihren eignen Verkündern nicht beachtet werden, sobald die Verkünder anfangen,
schöpferisch thätig zu sein. Der Wiederherstellungsprozeß steht vor der Thür.


Grmzboton II 1899 4
Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Losung auf dem Schilde geführt, und dennoch dreimal einzig und allem die
Übereinstimmung mit dem für deu Augenblick herrschenden Stil (der jederzeit
nur für bestimmte Stoffkreise und Gefühlsrichtungen anwendbar ist und allen
andern mit naturloser und willkürlicher Gewaltsamkeit ausgepreßt werden muß)
als Maßstab gewaltsam angelegt, ja die Verwandtschaft mit modischen Fratzen
und launischen Ausartungen des Augenblicks zum alleinigen Wertmesser des
Talents, des litterarische» Charakters erhoben.

Die beiden ersten Revolutionen dieser Art, die romantische wie die jung-
deutsche, haben den Versuch, die natürliche Vorwärtsbewegung und Umbildung
der Kunst zu einem gewaltsamen Vernichtungskampfe gegen alles außer und
neben ihnen Vorhandne zu steigern, mit einer Reaktion bezahlt, die für viele
talentvolle Träger ihrer Ideen verhängnisvoll geworden ist. Als es galt,
den unnötig und frevelhaft zerrissenen Zusammenhang der Entwicklung wieder
herzustellen, verfuhren das Publikum wie die Kritik und Litteraturgeschichte ein
wenig zu summarisch; die Einzclvorzttge und Einzelleistungen sanken in der
notwendigen Abwehr und bei dem Kampf um den Wiedergewinn gesunder An¬
schauungen zu Boden. Die Führer und Gefolgsmänner der dritten, noch
tobenden Revolution, die sich des unbedingten Sieges rühmen, wenn sie auch
anfangen, zweifelhaft zu werden, ob Hauptmann und Halbe wirklich gewaltiger
als Goethe und Schiller, oder Sudermanu und Liliencron vortrefflicher als
Grillparzer und Mörike seien, stehen doch in dem Wahne, daß keine Zeit
kommen könne, die die dritte umstürzende Bewegung des neunzehnten Jahr¬
hunderts genau so anfassen, sie genau so im Lichte der natürlichen Entwicklung,
der natürlichen Unteilbarkeit alles echten Geistes- und Kunstlebens prüfen und
genau so entschlossen rücksichtslos und summarisch worfeln werde, wie die
Romantiker und die jungdeutschen Tendenzprosaiker samt dem Anhang der
Politischen Poeten angefaßt, geprüft und nach dem Scheffel geworfelt worden
sind. Nicht mit fein abwägender Gerechtigkeit und doch nicht zu Unrecht, denn
Not kennt kein Gebot, und wenn eine maßlos fanatische und zum guten Teil
willkürliche Erregung die Geister verwirrt, die Empfänglichkeit der Genießenden
gelähmt, die Teilnahme gewaltsam auf einen kleinsten Teil eines großen
Ganzen gesammelt, das Urteil unsicher gemacht hat, so Verfahren litterarische
Restaurationen weder säuberlicher noch sänftlicher als politische. Die Modernen
können versichert sein, daß es ihnen nicht besser ergehen wird als den Ro¬
mantikern und deu Jungdeutschen, und tausend Anzeichen sprechen dafür, daß
das deutsche Volk müde ist, sich alle alten Ehren und Größen seiner Litteratur
zu Gunsten von bestenfalls sehr einseitigen Leistungen, von kurzatmigen An¬
läufen, raffinierter Experimenten und vor allem von Dogmen verleiden zu
lassen, bei denen es überhaupt keine Poesie geben könnte, und die deshalb von
ihren eignen Verkündern nicht beachtet werden, sobald die Verkünder anfangen,
schöpferisch thätig zu sein. Der Wiederherstellungsprozeß steht vor der Thür.


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[0033] Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur Losung auf dem Schilde geführt, und dennoch dreimal einzig und allem die Übereinstimmung mit dem für deu Augenblick herrschenden Stil (der jederzeit nur für bestimmte Stoffkreise und Gefühlsrichtungen anwendbar ist und allen andern mit naturloser und willkürlicher Gewaltsamkeit ausgepreßt werden muß) als Maßstab gewaltsam angelegt, ja die Verwandtschaft mit modischen Fratzen und launischen Ausartungen des Augenblicks zum alleinigen Wertmesser des Talents, des litterarische» Charakters erhoben. Die beiden ersten Revolutionen dieser Art, die romantische wie die jung- deutsche, haben den Versuch, die natürliche Vorwärtsbewegung und Umbildung der Kunst zu einem gewaltsamen Vernichtungskampfe gegen alles außer und neben ihnen Vorhandne zu steigern, mit einer Reaktion bezahlt, die für viele talentvolle Träger ihrer Ideen verhängnisvoll geworden ist. Als es galt, den unnötig und frevelhaft zerrissenen Zusammenhang der Entwicklung wieder herzustellen, verfuhren das Publikum wie die Kritik und Litteraturgeschichte ein wenig zu summarisch; die Einzclvorzttge und Einzelleistungen sanken in der notwendigen Abwehr und bei dem Kampf um den Wiedergewinn gesunder An¬ schauungen zu Boden. Die Führer und Gefolgsmänner der dritten, noch tobenden Revolution, die sich des unbedingten Sieges rühmen, wenn sie auch anfangen, zweifelhaft zu werden, ob Hauptmann und Halbe wirklich gewaltiger als Goethe und Schiller, oder Sudermanu und Liliencron vortrefflicher als Grillparzer und Mörike seien, stehen doch in dem Wahne, daß keine Zeit kommen könne, die die dritte umstürzende Bewegung des neunzehnten Jahr¬ hunderts genau so anfassen, sie genau so im Lichte der natürlichen Entwicklung, der natürlichen Unteilbarkeit alles echten Geistes- und Kunstlebens prüfen und genau so entschlossen rücksichtslos und summarisch worfeln werde, wie die Romantiker und die jungdeutschen Tendenzprosaiker samt dem Anhang der Politischen Poeten angefaßt, geprüft und nach dem Scheffel geworfelt worden sind. Nicht mit fein abwägender Gerechtigkeit und doch nicht zu Unrecht, denn Not kennt kein Gebot, und wenn eine maßlos fanatische und zum guten Teil willkürliche Erregung die Geister verwirrt, die Empfänglichkeit der Genießenden gelähmt, die Teilnahme gewaltsam auf einen kleinsten Teil eines großen Ganzen gesammelt, das Urteil unsicher gemacht hat, so Verfahren litterarische Restaurationen weder säuberlicher noch sänftlicher als politische. Die Modernen können versichert sein, daß es ihnen nicht besser ergehen wird als den Ro¬ mantikern und deu Jungdeutschen, und tausend Anzeichen sprechen dafür, daß das deutsche Volk müde ist, sich alle alten Ehren und Größen seiner Litteratur zu Gunsten von bestenfalls sehr einseitigen Leistungen, von kurzatmigen An¬ läufen, raffinierter Experimenten und vor allem von Dogmen verleiden zu lassen, bei denen es überhaupt keine Poesie geben könnte, und die deshalb von ihren eignen Verkündern nicht beachtet werden, sobald die Verkünder anfangen, schöpferisch thätig zu sein. Der Wiederherstellungsprozeß steht vor der Thür. Grmzboton II 1899 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/33>, abgerufen am 28.09.2024.