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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Bernstein als Stoff für das Runstgewerbe

In Königsberg hatte sich das Vernsteindrehergewerbe im achtzehnten
Jahrhundert sehr entwickelt, und die Zahl der Meister hatte sich so vermehrt,
daß die Zunft im Jahre 1755 mit 68 Meistern geschlossen wurde. Um 1780
zählte man 68 Meister oder Partizipanten und 19 Exspektcmten, während
gleichzeitig in Stolp 54 Partizipanten und 20 Exspektcmten, in Danzig im
ganzen etwa 31 Zunftgenossen vorhanden waren. Königsberg hatte also die
andern Ostseestüdte bedeutend überflügelt. Es wird jedoch über zu viele
Arbeiter geklagt; die Bernsteinanteile fielen für den einzelnen zu gering aus,
und infolgedessen wurde nicht viel verdient. Die Sortimentstücke (d. i. die
Stücke größter Sorte) wurden damals zu Kruzifixen, Altären, Schränken,
Spiegclrahmen, Leuchtern, Messerschalen, Querflöten, Bechern, Schalen, Tabaks¬
dosen usw. verarbeitet. Jedoch wurden große und kostbare Kunststücke selten
verlangt; ein Spiegclrahmen oder eine Querflöte blieben den Verfertigern oft
zwanzig bis dreißig Jahre stehen. Kleine Kästchen im Preise von drei bis
sechs Dukaten, Knöpfe, Dosen und Spielmarken waren die gangbare Ware.
Unter diesen Umstünden ging die Königsberger Bernsteiudreherzunft in den
Notjahren am Anfange unsers Jahrhunderts immer mehr zurück und löste sich
1811 ganz auf.

Der Bestand an erhaltnen kunstvollen Arbeiten ist nicht allzu groß;
vieles muß im Laufe der Zeiten untergegangen sein. Immerhin ist noch
genng davon vorhanden, um die Art der Arbeit, die Fassung und die Ver¬
bindung des Materials mit andern Stoffen, mit Elfenbein, Edelmetallen,
Halbedelsteinen zu beurteilen. Die kostbarsten Stücke sind im Grünen Gewölbe
zu Dresden. Besonders erwähnenswert ist ein großes rundes Becken aus ver¬
schiedenfarbigem Bernstein, mit durchsichtigen Platten, die auf der Rückseite
eingeschnittne und unterlegte Bildnisse, Allegorien und Wappen zeigen. Ferner
ein achteckiges Rosenwasserbecken mit Darstellungen aus der römischen Geschichte;
mehrere Kruge, auch eine Gießkanne in Gestalt eines Hornes, alles mit er¬
haben geschulteren Figuren mythologischen oder allegorischen Charakters, zum
Teil in Fassungen von Gold oder vergoldetem Silber mit Email und Halb¬
edelsteinen. Auch die figürliche Kleinplastik ist vertreten in einer Grazien¬
gruppe aus dem siebzehnten Jahrhundert. Die Verbindung mit Elfenbein
lernen wir an zwei Kredenzmesserheften vom Anfang des siebzehnten Jahr¬
hunderts kennen.

Das Berliner Kunstgewerbemuseum hat gleichfalls eine nicht unbedeutende
Sammlung von meist preußischen Bernsteinarbeiten. Es sind vertreten: Pokale,
Pulverhörner, Deckelkrüge, Schraubenflaschen, eine Prachtschale mit Deckel, eine
Sanduhr, viereckige Kästchen mit der schon mehrfach beschriebnen durchscheinenden
Gravierarbeit, Schüsseln, Dosen, Leuchter, Kabinetts, kleine Nippsachen oder
Modelle, ein Hausaltar. Auch die Verbindung mit Elfenbein, ebenso die
Edelmetallfassungen find gut vertreten. Sehr gute Bernsteinarbeiten sind


Der Bernstein als Stoff für das Runstgewerbe

In Königsberg hatte sich das Vernsteindrehergewerbe im achtzehnten
Jahrhundert sehr entwickelt, und die Zahl der Meister hatte sich so vermehrt,
daß die Zunft im Jahre 1755 mit 68 Meistern geschlossen wurde. Um 1780
zählte man 68 Meister oder Partizipanten und 19 Exspektcmten, während
gleichzeitig in Stolp 54 Partizipanten und 20 Exspektcmten, in Danzig im
ganzen etwa 31 Zunftgenossen vorhanden waren. Königsberg hatte also die
andern Ostseestüdte bedeutend überflügelt. Es wird jedoch über zu viele
Arbeiter geklagt; die Bernsteinanteile fielen für den einzelnen zu gering aus,
und infolgedessen wurde nicht viel verdient. Die Sortimentstücke (d. i. die
Stücke größter Sorte) wurden damals zu Kruzifixen, Altären, Schränken,
Spiegclrahmen, Leuchtern, Messerschalen, Querflöten, Bechern, Schalen, Tabaks¬
dosen usw. verarbeitet. Jedoch wurden große und kostbare Kunststücke selten
verlangt; ein Spiegclrahmen oder eine Querflöte blieben den Verfertigern oft
zwanzig bis dreißig Jahre stehen. Kleine Kästchen im Preise von drei bis
sechs Dukaten, Knöpfe, Dosen und Spielmarken waren die gangbare Ware.
Unter diesen Umstünden ging die Königsberger Bernsteiudreherzunft in den
Notjahren am Anfange unsers Jahrhunderts immer mehr zurück und löste sich
1811 ganz auf.

Der Bestand an erhaltnen kunstvollen Arbeiten ist nicht allzu groß;
vieles muß im Laufe der Zeiten untergegangen sein. Immerhin ist noch
genng davon vorhanden, um die Art der Arbeit, die Fassung und die Ver¬
bindung des Materials mit andern Stoffen, mit Elfenbein, Edelmetallen,
Halbedelsteinen zu beurteilen. Die kostbarsten Stücke sind im Grünen Gewölbe
zu Dresden. Besonders erwähnenswert ist ein großes rundes Becken aus ver¬
schiedenfarbigem Bernstein, mit durchsichtigen Platten, die auf der Rückseite
eingeschnittne und unterlegte Bildnisse, Allegorien und Wappen zeigen. Ferner
ein achteckiges Rosenwasserbecken mit Darstellungen aus der römischen Geschichte;
mehrere Kruge, auch eine Gießkanne in Gestalt eines Hornes, alles mit er¬
haben geschulteren Figuren mythologischen oder allegorischen Charakters, zum
Teil in Fassungen von Gold oder vergoldetem Silber mit Email und Halb¬
edelsteinen. Auch die figürliche Kleinplastik ist vertreten in einer Grazien¬
gruppe aus dem siebzehnten Jahrhundert. Die Verbindung mit Elfenbein
lernen wir an zwei Kredenzmesserheften vom Anfang des siebzehnten Jahr¬
hunderts kennen.

Das Berliner Kunstgewerbemuseum hat gleichfalls eine nicht unbedeutende
Sammlung von meist preußischen Bernsteinarbeiten. Es sind vertreten: Pokale,
Pulverhörner, Deckelkrüge, Schraubenflaschen, eine Prachtschale mit Deckel, eine
Sanduhr, viereckige Kästchen mit der schon mehrfach beschriebnen durchscheinenden
Gravierarbeit, Schüsseln, Dosen, Leuchter, Kabinetts, kleine Nippsachen oder
Modelle, ein Hausaltar. Auch die Verbindung mit Elfenbein, ebenso die
Edelmetallfassungen find gut vertreten. Sehr gute Bernsteinarbeiten sind


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[0302] Der Bernstein als Stoff für das Runstgewerbe In Königsberg hatte sich das Vernsteindrehergewerbe im achtzehnten Jahrhundert sehr entwickelt, und die Zahl der Meister hatte sich so vermehrt, daß die Zunft im Jahre 1755 mit 68 Meistern geschlossen wurde. Um 1780 zählte man 68 Meister oder Partizipanten und 19 Exspektcmten, während gleichzeitig in Stolp 54 Partizipanten und 20 Exspektcmten, in Danzig im ganzen etwa 31 Zunftgenossen vorhanden waren. Königsberg hatte also die andern Ostseestüdte bedeutend überflügelt. Es wird jedoch über zu viele Arbeiter geklagt; die Bernsteinanteile fielen für den einzelnen zu gering aus, und infolgedessen wurde nicht viel verdient. Die Sortimentstücke (d. i. die Stücke größter Sorte) wurden damals zu Kruzifixen, Altären, Schränken, Spiegclrahmen, Leuchtern, Messerschalen, Querflöten, Bechern, Schalen, Tabaks¬ dosen usw. verarbeitet. Jedoch wurden große und kostbare Kunststücke selten verlangt; ein Spiegclrahmen oder eine Querflöte blieben den Verfertigern oft zwanzig bis dreißig Jahre stehen. Kleine Kästchen im Preise von drei bis sechs Dukaten, Knöpfe, Dosen und Spielmarken waren die gangbare Ware. Unter diesen Umstünden ging die Königsberger Bernsteiudreherzunft in den Notjahren am Anfange unsers Jahrhunderts immer mehr zurück und löste sich 1811 ganz auf. Der Bestand an erhaltnen kunstvollen Arbeiten ist nicht allzu groß; vieles muß im Laufe der Zeiten untergegangen sein. Immerhin ist noch genng davon vorhanden, um die Art der Arbeit, die Fassung und die Ver¬ bindung des Materials mit andern Stoffen, mit Elfenbein, Edelmetallen, Halbedelsteinen zu beurteilen. Die kostbarsten Stücke sind im Grünen Gewölbe zu Dresden. Besonders erwähnenswert ist ein großes rundes Becken aus ver¬ schiedenfarbigem Bernstein, mit durchsichtigen Platten, die auf der Rückseite eingeschnittne und unterlegte Bildnisse, Allegorien und Wappen zeigen. Ferner ein achteckiges Rosenwasserbecken mit Darstellungen aus der römischen Geschichte; mehrere Kruge, auch eine Gießkanne in Gestalt eines Hornes, alles mit er¬ haben geschulteren Figuren mythologischen oder allegorischen Charakters, zum Teil in Fassungen von Gold oder vergoldetem Silber mit Email und Halb¬ edelsteinen. Auch die figürliche Kleinplastik ist vertreten in einer Grazien¬ gruppe aus dem siebzehnten Jahrhundert. Die Verbindung mit Elfenbein lernen wir an zwei Kredenzmesserheften vom Anfang des siebzehnten Jahr¬ hunderts kennen. Das Berliner Kunstgewerbemuseum hat gleichfalls eine nicht unbedeutende Sammlung von meist preußischen Bernsteinarbeiten. Es sind vertreten: Pokale, Pulverhörner, Deckelkrüge, Schraubenflaschen, eine Prachtschale mit Deckel, eine Sanduhr, viereckige Kästchen mit der schon mehrfach beschriebnen durchscheinenden Gravierarbeit, Schüsseln, Dosen, Leuchter, Kabinetts, kleine Nippsachen oder Modelle, ein Hausaltar. Auch die Verbindung mit Elfenbein, ebenso die Edelmetallfassungen find gut vertreten. Sehr gute Bernsteinarbeiten sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/302>, abgerufen am 28.09.2024.