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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Aussichten des Rhein-Llbekanals

sie. Der schlesische Liberalismus würde wohl daran thun, sich nach andern
Sprechern umzusehen. --

Die Regierung hat bereitwilligst anerkannt, daß die Wasserverbindungen
Schlesiens eine Verbesserung brauchen. Sollen sie wirklichen Nutzen schaffen,
so müssen sie eben auch zu einer Leistungsfähigkeit gebracht werden, wie man
sie verständigerweise für den geplanten Rhein-Elbekanal von vornherein in
Aussicht genommen hat. Aber die gegenwärtige Kanalvorlage hat doch nicht
den Sinn, daß mit dem Rhein-Elbekanal überhaupt die Verbesserung der
preußischen Wasserstraßen abgeschlossen sein soll? Es ist völlig widersinnig,
wenn der Abgeordnete Gothein und die Breslauer Handelskammer die Zu¬
stimmung zum Bau des Rhein-Elbekanals davon abhangig machen wollen, daß
durch das Gesetz, das diesen Bau vorschreibt, zugleich der Ausbau besserer
Wasserwege für Schlesien und andre sogenannte "Kompensationen" garantiert
werden. Wohin soll dieser Schacher führen? Sollen die Herren Abgeord¬
neten etwa in Zukunft ihr Votum für irgend eine Vorlage verweigern dürfen,
wenn nicht in der Vorlage alle Herzenswünsche ihrer Wähler aufgeführt und
mit einem gesetzlichen Versprechen auf Erfüllung abgestempelt werden?

Auch die Herren aus Altona haben Lust, so etwas zu versuchen. Es ist
ganz klar, daß bei dieser kläglichen Politik der Volksvertreter Deutschland aus
der Reihe der entwicklungsfähigen, leistungs- und konkurrenzfähigen Länder
ausscheiden muß, wie der Minister Thielen sagte. Wir schwärmen nicht für
den agrarischen Egoismus, aber dieser Krämergeist der Kaufleute und Indu¬
striellen ist uns noch viel widerwärtiger, denn er weist darauf hin, daß gerade
der Stand, auf dem Deutschlands Zukunft vielleicht für Menschenalter beruht,
noch ganz unfähig und unreif ist, eine führende politische Rolle zu spielen.

Man sagt, die die konservativen Parteien beherrschenden Agrarier und die
Kaualgegner im Zentrum wollten die Kanalstrecke von Dortmund nach dem
Rhein bewilligen, die Verbindung mit der Elbe aber ablehnen. Die Blamage
des Landtags wird dadurch erst recht in ein Helles Licht gestellt, denn die
große Aufgabe, die der Staat zu lösen hat, besteht gerade in dem Bau des
seit dein Großen Kurfürsten als nötig erkannten Mittellandkanals, nicht im Bau
des Rhein-Dortmundkanals, den Privatleute sofort als einträgliches Geschäft
unternehmen würden, wenn der Staat ihn nicht unternimmt.

Wie aber auch dieses Abgeordnetenhaus jetzt beschließen mag, der Mittel¬
landkanal wird gebaut werden, wenn die Regierung überhaupt uoch Über¬
zeugungen und Willen hat. Je krasser sich die Unfähigkeit der gegenwärtigen
Parteien, zum Wohle des Vaterlands des Königs Politik zu unterstützen, auch
in dieser Frage wieder offenbart, um so eher kommt vielleicht die preußische
Wählerschaft zu der Erkenntnis, daß es so nicht weiter geht.




Die Aussichten des Rhein-Llbekanals

sie. Der schlesische Liberalismus würde wohl daran thun, sich nach andern
Sprechern umzusehen. —

Die Regierung hat bereitwilligst anerkannt, daß die Wasserverbindungen
Schlesiens eine Verbesserung brauchen. Sollen sie wirklichen Nutzen schaffen,
so müssen sie eben auch zu einer Leistungsfähigkeit gebracht werden, wie man
sie verständigerweise für den geplanten Rhein-Elbekanal von vornherein in
Aussicht genommen hat. Aber die gegenwärtige Kanalvorlage hat doch nicht
den Sinn, daß mit dem Rhein-Elbekanal überhaupt die Verbesserung der
preußischen Wasserstraßen abgeschlossen sein soll? Es ist völlig widersinnig,
wenn der Abgeordnete Gothein und die Breslauer Handelskammer die Zu¬
stimmung zum Bau des Rhein-Elbekanals davon abhangig machen wollen, daß
durch das Gesetz, das diesen Bau vorschreibt, zugleich der Ausbau besserer
Wasserwege für Schlesien und andre sogenannte „Kompensationen" garantiert
werden. Wohin soll dieser Schacher führen? Sollen die Herren Abgeord¬
neten etwa in Zukunft ihr Votum für irgend eine Vorlage verweigern dürfen,
wenn nicht in der Vorlage alle Herzenswünsche ihrer Wähler aufgeführt und
mit einem gesetzlichen Versprechen auf Erfüllung abgestempelt werden?

Auch die Herren aus Altona haben Lust, so etwas zu versuchen. Es ist
ganz klar, daß bei dieser kläglichen Politik der Volksvertreter Deutschland aus
der Reihe der entwicklungsfähigen, leistungs- und konkurrenzfähigen Länder
ausscheiden muß, wie der Minister Thielen sagte. Wir schwärmen nicht für
den agrarischen Egoismus, aber dieser Krämergeist der Kaufleute und Indu¬
striellen ist uns noch viel widerwärtiger, denn er weist darauf hin, daß gerade
der Stand, auf dem Deutschlands Zukunft vielleicht für Menschenalter beruht,
noch ganz unfähig und unreif ist, eine führende politische Rolle zu spielen.

Man sagt, die die konservativen Parteien beherrschenden Agrarier und die
Kaualgegner im Zentrum wollten die Kanalstrecke von Dortmund nach dem
Rhein bewilligen, die Verbindung mit der Elbe aber ablehnen. Die Blamage
des Landtags wird dadurch erst recht in ein Helles Licht gestellt, denn die
große Aufgabe, die der Staat zu lösen hat, besteht gerade in dem Bau des
seit dein Großen Kurfürsten als nötig erkannten Mittellandkanals, nicht im Bau
des Rhein-Dortmundkanals, den Privatleute sofort als einträgliches Geschäft
unternehmen würden, wenn der Staat ihn nicht unternimmt.

Wie aber auch dieses Abgeordnetenhaus jetzt beschließen mag, der Mittel¬
landkanal wird gebaut werden, wenn die Regierung überhaupt uoch Über¬
zeugungen und Willen hat. Je krasser sich die Unfähigkeit der gegenwärtigen
Parteien, zum Wohle des Vaterlands des Königs Politik zu unterstützen, auch
in dieser Frage wieder offenbart, um so eher kommt vielleicht die preußische
Wählerschaft zu der Erkenntnis, daß es so nicht weiter geht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/295>, abgerufen am 28.09.2024.