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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Aussichten des Rhein-Llbekcinals

Ministers von Miquel über seine Auffassung der nach einer etwaigen Ab¬
lehnung zu erwartenden Sachlage in einem andern Sinne zu deuten ist. Ob
diese Bemerkung nötig und klug war, mag unerörtert bleiben, auf keinen Fall
giebt sie begründete Veranlassung, an dem Ernst seines Eintretens für den
Mittelkanal zu zweifeln oder gar der Vorlage ungünstige Hintergedanken bei
ihm zu vermuten. In dieser Frage von der Regierung bei der ersten Lesung
eine Drohung mit der Auflösung des Abgeordnetenhauses als Beweis des
ernsten Willens zu verlangen, wäre natürlich Heller Unsinn gewesen. Die Ver¬
handlungen gaben ein klassisches Beispiel grundsätzlicher, völlig unlogischer
Opposition, aber man darf doch wohl immer noch soviel gesunden Menschen¬
verstand bei den preußischen Parlamentariern voraussetzen, daß durch die
Kommissionsberatungen und die endliche Beschlußfassung im Plenum die in
der ersten Lesung dem Landtag in Aussicht gestellte Blamage glücklich abge¬
wandt werden wird.

Mit Recht hat Herr von Miquel darauf hingewiesen, daß im Jahre 1886
der Bau des Kanals von Dortmund nach Emden unter der ausdrücklichen,
vom Landtage selbst gestellten Bedingung gesetzlich sanktioniert worden ist, daß
dieser Kanal nicht für sich als ein abgeschlossenes Ganze, sondern nur als
ein Teil des jetzt vorgeschlagnen Mittellandkanals betrachtet werden solle. Das
Gesetz vom 9. Juli 1886 (Gesetzsammlung S, 207) ermächtigt die Regierung
in K 1, Absatz 1 wörtlich: "zur Ausführung eines Schiffahrtkanals, welcher
bestimmt ist, den Rhein mit der Ems und in einer den Interessen der mittlern
und untern Weser und Elbe entsprechenden Weise mit diesen Strömen zu ver¬
binden, und zwar zunächst für den Bau der Kanalstrecke von Dortmund nach
der untern Ems, einschließlich der Anlage eines Seitenkanals aus der Ems
von Oldersum nach dem Emdner Binnenhafen" -- so und so viel Geld aus¬
zugeben. Es sei, sagte Herr von Miquel treffend, heute deshalb die Frage
dahin zu stellen: "sind entscheidende Gründe vorhanden, welche den Landtag
zwingen, von seiner eignen gesetzlichen Initiative seinerseits zurückzutreten und
der Staatsregierung zu sagen: wir legen auf die Ausführung dieses Gesetzes
überhaupt kein Gewicht mehr, weil veränderte Verhältnisse zu einer andern
Schlußfolgerung zwingen?"

Eine solche Begründung ist in den zahlreichen und langen Reden der
Kanalgegner nirgends zu finden, wohl aber ist in den Darlegungen der Re-
gierungsvertreter schlagend nachgewiesen worden, daß die Entwicklung der Ver¬
hältnisse jetzt zur Ausführung des Gesetzes von 1886 zwingt.

Die alle Voraussicht übertreffende Zunahme des Güterverkehrs in deu letzten
zehn bis fünfzehn Jahren, sowohl auf den Eisenbahnen wie auf den Wasser¬
straßen, zwingt die Negierung, ernstlich an Maßnahmen zu denken, die auch
in einer mehr oder weniger ferner Zukunft die Verkehrswege befähigen, den
an sie zu stellenden Forderungen zu entsprechen. Die Leistungsfähigkeit der
zur Zeit vorhandnen Eisenbahnen und Kanäle genügt dem heutigen Bedürfnis


Die Aussichten des Rhein-Llbekcinals

Ministers von Miquel über seine Auffassung der nach einer etwaigen Ab¬
lehnung zu erwartenden Sachlage in einem andern Sinne zu deuten ist. Ob
diese Bemerkung nötig und klug war, mag unerörtert bleiben, auf keinen Fall
giebt sie begründete Veranlassung, an dem Ernst seines Eintretens für den
Mittelkanal zu zweifeln oder gar der Vorlage ungünstige Hintergedanken bei
ihm zu vermuten. In dieser Frage von der Regierung bei der ersten Lesung
eine Drohung mit der Auflösung des Abgeordnetenhauses als Beweis des
ernsten Willens zu verlangen, wäre natürlich Heller Unsinn gewesen. Die Ver¬
handlungen gaben ein klassisches Beispiel grundsätzlicher, völlig unlogischer
Opposition, aber man darf doch wohl immer noch soviel gesunden Menschen¬
verstand bei den preußischen Parlamentariern voraussetzen, daß durch die
Kommissionsberatungen und die endliche Beschlußfassung im Plenum die in
der ersten Lesung dem Landtag in Aussicht gestellte Blamage glücklich abge¬
wandt werden wird.

Mit Recht hat Herr von Miquel darauf hingewiesen, daß im Jahre 1886
der Bau des Kanals von Dortmund nach Emden unter der ausdrücklichen,
vom Landtage selbst gestellten Bedingung gesetzlich sanktioniert worden ist, daß
dieser Kanal nicht für sich als ein abgeschlossenes Ganze, sondern nur als
ein Teil des jetzt vorgeschlagnen Mittellandkanals betrachtet werden solle. Das
Gesetz vom 9. Juli 1886 (Gesetzsammlung S, 207) ermächtigt die Regierung
in K 1, Absatz 1 wörtlich: „zur Ausführung eines Schiffahrtkanals, welcher
bestimmt ist, den Rhein mit der Ems und in einer den Interessen der mittlern
und untern Weser und Elbe entsprechenden Weise mit diesen Strömen zu ver¬
binden, und zwar zunächst für den Bau der Kanalstrecke von Dortmund nach
der untern Ems, einschließlich der Anlage eines Seitenkanals aus der Ems
von Oldersum nach dem Emdner Binnenhafen" — so und so viel Geld aus¬
zugeben. Es sei, sagte Herr von Miquel treffend, heute deshalb die Frage
dahin zu stellen: „sind entscheidende Gründe vorhanden, welche den Landtag
zwingen, von seiner eignen gesetzlichen Initiative seinerseits zurückzutreten und
der Staatsregierung zu sagen: wir legen auf die Ausführung dieses Gesetzes
überhaupt kein Gewicht mehr, weil veränderte Verhältnisse zu einer andern
Schlußfolgerung zwingen?"

Eine solche Begründung ist in den zahlreichen und langen Reden der
Kanalgegner nirgends zu finden, wohl aber ist in den Darlegungen der Re-
gierungsvertreter schlagend nachgewiesen worden, daß die Entwicklung der Ver¬
hältnisse jetzt zur Ausführung des Gesetzes von 1886 zwingt.

Die alle Voraussicht übertreffende Zunahme des Güterverkehrs in deu letzten
zehn bis fünfzehn Jahren, sowohl auf den Eisenbahnen wie auf den Wasser¬
straßen, zwingt die Negierung, ernstlich an Maßnahmen zu denken, die auch
in einer mehr oder weniger ferner Zukunft die Verkehrswege befähigen, den
an sie zu stellenden Forderungen zu entsprechen. Die Leistungsfähigkeit der
zur Zeit vorhandnen Eisenbahnen und Kanäle genügt dem heutigen Bedürfnis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/290>, abgerufen am 28.09.2024.