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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

Neben den großen Mythologien giebt es noch Breitbilder mit Kniesiguren,
ganz nach Art der Hausandachtsbildcr konzentriert und für kleine Räume be¬
stimmt, und neben aller Mythologie und Nacktheit behauptet sich auch eine
starke Anzahl von Gegenständen des christlichen Bilderkreises in der Privat-
bestelluug, "manches davon ist noch mit Willen für die Andacht geschaffen,
und namentlich für reiche und kunstsinnige Geistliche waren diese Themata die
schicklichsten." Unter den vielen für den Privatbesitz gemalten ruhmvollen
religiösen Bildern der venezianischen Schule nennt Vnrckhardt Tizians Grab-
tragung (Louvre), die "allein unter allen Darstellungen dieses Moments mit
Rciffael in Wettkampf treten kann und die spezifische Kraft venezianischen
Wollens und Könnens zu höchster Äußerung gesammelt zeigt." Ganz unbe¬
wacht sprechen sich einmal der nach dem Profanen verlangende Zeitgeschmack
und ein vom Gegenstande unabhängiger Schönheitssinn aus in einem Anliegen
Federigos von Mantua an Sebastian" del Piombv schon 1524, er will nichts
heiliges, sondern an^Job."? pitwro va^Ul s bells ckg, vsÄers, als ob die reli¬
giösen Hausbilder diese Eigenschaften nicht hätten auch haben können. Venedig
aber hatte schon seit Giorgione sein ganz eigentümliches, verschwiegnes, von
der naturalistischen Deutlichkeit der Holländer weit entferntes Genrebild, der¬
gleichen seltsamerweise "während der goldnen Kuustzeit im ganzen übrigen
Italien, anch in dem geselligen Florenz, niemand gemalt oder bestellt hat."
Und nun bekommt es als ein noch berühmteres spezifisches Erzeugnis die
weibliche Schönheit in halber Figur und nicht als Porträt einer Bestimmter
gedacht (Tizian, Palma und ihre Nachfolger). Fast jedes bedeutende Bild
wird hier aus den Umständen seiner Zeit erläutert und auf seinen von aller
Zeit unabhängigen Wert befragt. Man könnte denken, bei Burckhardts Bor¬
liebe für die Venezianer sei ihm dieser ganze Abschnitt unvermerkt als ein
Stück venezianischer Kunstgeschichte geraten. In Wirklichkeit aber liegt die Sache
vielmehr so, daß sich beinahe alles neue in der Malerei etwa seit 1520 auf
venezianischen Boden vollzieht, und bald die Venezianer mit ihrem Gemälden
das ganze übrige Italien derart in den Schatten stellen, daß man sich an¬
strengen muß, um es nicht aus dein Gesicht zu verlieren. Wie muß eins der
spätern Wunderwerke von Tizians eigner Hand durch die Natürlichkeit seiner
Erscheinung schon zu seiner Zeit abgestochen haben von allem, "was in Rom,
Florenz und Mantua der bereits herrschende Manierismus an steinerner Üppig¬
keit hervorbrachte!" Und es berührt uns wie ein schlechter Scherz, wenn wir
den Michelangelo 1546 auf dem Rückwege von einem Besuch in Tizians Atelier
im Vatikan seinem Schüler Vasari vorklagen hören, wie schade es sei, daß
ein so hochbegabter Mensch in Venedig nicht besser habe zeichnen lernen können.

Man sieht, diese Beitrüge zur Kunstgeschichte in Italien, aus denen ich
gern noch manches mitgeteilt Hütte, z. B. die "Invasion" der Flandrer in
Italien, oder was den italienischen Sammlern an Dürer gefallen mußte, sind


Grenzboten 11 1899 84
Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

Neben den großen Mythologien giebt es noch Breitbilder mit Kniesiguren,
ganz nach Art der Hausandachtsbildcr konzentriert und für kleine Räume be¬
stimmt, und neben aller Mythologie und Nacktheit behauptet sich auch eine
starke Anzahl von Gegenständen des christlichen Bilderkreises in der Privat-
bestelluug, „manches davon ist noch mit Willen für die Andacht geschaffen,
und namentlich für reiche und kunstsinnige Geistliche waren diese Themata die
schicklichsten." Unter den vielen für den Privatbesitz gemalten ruhmvollen
religiösen Bildern der venezianischen Schule nennt Vnrckhardt Tizians Grab-
tragung (Louvre), die „allein unter allen Darstellungen dieses Moments mit
Rciffael in Wettkampf treten kann und die spezifische Kraft venezianischen
Wollens und Könnens zu höchster Äußerung gesammelt zeigt." Ganz unbe¬
wacht sprechen sich einmal der nach dem Profanen verlangende Zeitgeschmack
und ein vom Gegenstande unabhängiger Schönheitssinn aus in einem Anliegen
Federigos von Mantua an Sebastian» del Piombv schon 1524, er will nichts
heiliges, sondern an^Job.«? pitwro va^Ul s bells ckg, vsÄers, als ob die reli¬
giösen Hausbilder diese Eigenschaften nicht hätten auch haben können. Venedig
aber hatte schon seit Giorgione sein ganz eigentümliches, verschwiegnes, von
der naturalistischen Deutlichkeit der Holländer weit entferntes Genrebild, der¬
gleichen seltsamerweise „während der goldnen Kuustzeit im ganzen übrigen
Italien, anch in dem geselligen Florenz, niemand gemalt oder bestellt hat."
Und nun bekommt es als ein noch berühmteres spezifisches Erzeugnis die
weibliche Schönheit in halber Figur und nicht als Porträt einer Bestimmter
gedacht (Tizian, Palma und ihre Nachfolger). Fast jedes bedeutende Bild
wird hier aus den Umständen seiner Zeit erläutert und auf seinen von aller
Zeit unabhängigen Wert befragt. Man könnte denken, bei Burckhardts Bor¬
liebe für die Venezianer sei ihm dieser ganze Abschnitt unvermerkt als ein
Stück venezianischer Kunstgeschichte geraten. In Wirklichkeit aber liegt die Sache
vielmehr so, daß sich beinahe alles neue in der Malerei etwa seit 1520 auf
venezianischen Boden vollzieht, und bald die Venezianer mit ihrem Gemälden
das ganze übrige Italien derart in den Schatten stellen, daß man sich an¬
strengen muß, um es nicht aus dein Gesicht zu verlieren. Wie muß eins der
spätern Wunderwerke von Tizians eigner Hand durch die Natürlichkeit seiner
Erscheinung schon zu seiner Zeit abgestochen haben von allem, „was in Rom,
Florenz und Mantua der bereits herrschende Manierismus an steinerner Üppig¬
keit hervorbrachte!" Und es berührt uns wie ein schlechter Scherz, wenn wir
den Michelangelo 1546 auf dem Rückwege von einem Besuch in Tizians Atelier
im Vatikan seinem Schüler Vasari vorklagen hören, wie schade es sei, daß
ein so hochbegabter Mensch in Venedig nicht besser habe zeichnen lernen können.

Man sieht, diese Beitrüge zur Kunstgeschichte in Italien, aus denen ich
gern noch manches mitgeteilt Hütte, z. B. die „Invasion" der Flandrer in
Italien, oder was den italienischen Sammlern an Dürer gefallen mußte, sind


Grenzboten 11 1899 84
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[0273] Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance Neben den großen Mythologien giebt es noch Breitbilder mit Kniesiguren, ganz nach Art der Hausandachtsbildcr konzentriert und für kleine Räume be¬ stimmt, und neben aller Mythologie und Nacktheit behauptet sich auch eine starke Anzahl von Gegenständen des christlichen Bilderkreises in der Privat- bestelluug, „manches davon ist noch mit Willen für die Andacht geschaffen, und namentlich für reiche und kunstsinnige Geistliche waren diese Themata die schicklichsten." Unter den vielen für den Privatbesitz gemalten ruhmvollen religiösen Bildern der venezianischen Schule nennt Vnrckhardt Tizians Grab- tragung (Louvre), die „allein unter allen Darstellungen dieses Moments mit Rciffael in Wettkampf treten kann und die spezifische Kraft venezianischen Wollens und Könnens zu höchster Äußerung gesammelt zeigt." Ganz unbe¬ wacht sprechen sich einmal der nach dem Profanen verlangende Zeitgeschmack und ein vom Gegenstande unabhängiger Schönheitssinn aus in einem Anliegen Federigos von Mantua an Sebastian» del Piombv schon 1524, er will nichts heiliges, sondern an^Job.«? pitwro va^Ul s bells ckg, vsÄers, als ob die reli¬ giösen Hausbilder diese Eigenschaften nicht hätten auch haben können. Venedig aber hatte schon seit Giorgione sein ganz eigentümliches, verschwiegnes, von der naturalistischen Deutlichkeit der Holländer weit entferntes Genrebild, der¬ gleichen seltsamerweise „während der goldnen Kuustzeit im ganzen übrigen Italien, anch in dem geselligen Florenz, niemand gemalt oder bestellt hat." Und nun bekommt es als ein noch berühmteres spezifisches Erzeugnis die weibliche Schönheit in halber Figur und nicht als Porträt einer Bestimmter gedacht (Tizian, Palma und ihre Nachfolger). Fast jedes bedeutende Bild wird hier aus den Umständen seiner Zeit erläutert und auf seinen von aller Zeit unabhängigen Wert befragt. Man könnte denken, bei Burckhardts Bor¬ liebe für die Venezianer sei ihm dieser ganze Abschnitt unvermerkt als ein Stück venezianischer Kunstgeschichte geraten. In Wirklichkeit aber liegt die Sache vielmehr so, daß sich beinahe alles neue in der Malerei etwa seit 1520 auf venezianischen Boden vollzieht, und bald die Venezianer mit ihrem Gemälden das ganze übrige Italien derart in den Schatten stellen, daß man sich an¬ strengen muß, um es nicht aus dein Gesicht zu verlieren. Wie muß eins der spätern Wunderwerke von Tizians eigner Hand durch die Natürlichkeit seiner Erscheinung schon zu seiner Zeit abgestochen haben von allem, „was in Rom, Florenz und Mantua der bereits herrschende Manierismus an steinerner Üppig¬ keit hervorbrachte!" Und es berührt uns wie ein schlechter Scherz, wenn wir den Michelangelo 1546 auf dem Rückwege von einem Besuch in Tizians Atelier im Vatikan seinem Schüler Vasari vorklagen hören, wie schade es sei, daß ein so hochbegabter Mensch in Venedig nicht besser habe zeichnen lernen können. Man sieht, diese Beitrüge zur Kunstgeschichte in Italien, aus denen ich gern noch manches mitgeteilt Hütte, z. B. die „Invasion" der Flandrer in Italien, oder was den italienischen Sammlern an Dürer gefallen mußte, sind Grenzboten 11 1899 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/273>, abgerufen am 28.09.2024.