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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

Dresden und sogar die Berliner Statue des dort dem Michelangelo zu-
gesprochnen Johannes des Täufers. In Bezug auf diese hat übrigens Wölfflin
in seinem eben erschienenen Buche: Die klassische Kunst Seite 49 den Gegen¬
beweis für mich überzeugend vervollständigt.

Das einheitliche Altarbild (cirmäro) hat sich entwickelt aus der mehrtafligeu,
manchmal zweigeschossiger "Ancona" mit ihren feststehenden Flügeln (das
"Triptychon" hat bewegliche); an den Ursprung erinnert noch oft der halbrunde
obere Abschluß oder auch das Überbleibsel einer besonders gemalten "Lünette."
Für das Altarblatt schickte sich, abgesehen von besondern Anlässen, besser als
eine bewegte Erzählung mit vielen Figuren, ein größerer, ruhiger Gegenstand,
und hier bot sich den beneidenswerten alten Meistern "das große, ausdauernde
Thema der Madonna mit Heiligen" dar. Diese großer Abwechslung fähige
"heilige Konversazion" ist das hauptsächliche Gnadenbild der Altäre geworden.
An die Stelle der Madonna der Mitte kann auch eine heilige Familie treten
oder eine Szene des Marienlebens (die "Sippe" Christi kommt nur im Norden
vor), und das Ganze wird auch wohl als Krönung Mariä oder als Himmel¬
fahrt Mariä mit den Aposteln darunter gegeben, während das Sterbebett der
Maria wieder mehr dem Norden angehört. Das Altarblatt hat für die Kunst
manchen Vorzug vor dem Fresko gehabt: es verlangt Hintergrundausbildung
und einheitliches, oft sehr bestimmendes Licht, außerdem Sorgfalt der Aus¬
führung, weil es aus der Nähe und als einzelner Gegenstand muß gesehen
werden können. Vielleicht hätten sich auch ohne den Altar Anlässe ergeben
zur Verwertung von Luft, Wolken und Landschaft. "Es wird jedoch jedem
neuen künstlerischen Vermögen sehr gut bekommen, wenn es seine Anfänge,
seine Jugend im Heiligtum zubringen darf." Auch das Personal des Altar¬
bildes fährt bei der strengen Auswahl gegenüber dem Fresko gut, es erhält
seine Durchbildung und künstlerische Ausgestaltung, vor allem stellen das
Bambino und die Engel, die größern bekleideten und die öfters nackten Putten,
Aufgaben einer ganz neuen Schönheit. Die Stifter werden oft sehr ausgeführt,
wie auf den Bildern der Niederländer, und die einzelnen Heiligen bilden sich
zu Persönlichkeiten aus, die drei Erzengel und Sankt Georg, der schöne nackte
Sebastian und Hieronymus, das Ideal der Greise (in unsrer nordischen Malerei
wäre außer an Hieronymus noch an Christoph und Antonius zu erinnern),
nur Joseph bleibt absichtlich kümmerlich, durch negative Eigenschaften charakte¬
risiert. Diesen festen Münnerthpen entsprechen kaum weibliche: Magdalena ist
zwar erkennbar, aber sehr variabel. Aber die Madonna selbst mußte doch fast
immer aufs neue dabei sein, und es ist nicht zu sagen, wie dadurch in der
Darstellung des Weiblichen die italienischen Künstler vor allen andern gefördert
worden sind. Neue Züge bringt dann das weltlicher gemeinte Hausandachtsbild
in die Aufgabe hinein: der Figuren sind weniger, die Haltung ist intimer, das
Bambino, "das ideale Kind des Hauses," lebendiger und schöner. Bei Filippo


Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

Dresden und sogar die Berliner Statue des dort dem Michelangelo zu-
gesprochnen Johannes des Täufers. In Bezug auf diese hat übrigens Wölfflin
in seinem eben erschienenen Buche: Die klassische Kunst Seite 49 den Gegen¬
beweis für mich überzeugend vervollständigt.

Das einheitliche Altarbild (cirmäro) hat sich entwickelt aus der mehrtafligeu,
manchmal zweigeschossiger „Ancona" mit ihren feststehenden Flügeln (das
„Triptychon" hat bewegliche); an den Ursprung erinnert noch oft der halbrunde
obere Abschluß oder auch das Überbleibsel einer besonders gemalten „Lünette."
Für das Altarblatt schickte sich, abgesehen von besondern Anlässen, besser als
eine bewegte Erzählung mit vielen Figuren, ein größerer, ruhiger Gegenstand,
und hier bot sich den beneidenswerten alten Meistern „das große, ausdauernde
Thema der Madonna mit Heiligen" dar. Diese großer Abwechslung fähige
„heilige Konversazion" ist das hauptsächliche Gnadenbild der Altäre geworden.
An die Stelle der Madonna der Mitte kann auch eine heilige Familie treten
oder eine Szene des Marienlebens (die „Sippe" Christi kommt nur im Norden
vor), und das Ganze wird auch wohl als Krönung Mariä oder als Himmel¬
fahrt Mariä mit den Aposteln darunter gegeben, während das Sterbebett der
Maria wieder mehr dem Norden angehört. Das Altarblatt hat für die Kunst
manchen Vorzug vor dem Fresko gehabt: es verlangt Hintergrundausbildung
und einheitliches, oft sehr bestimmendes Licht, außerdem Sorgfalt der Aus¬
führung, weil es aus der Nähe und als einzelner Gegenstand muß gesehen
werden können. Vielleicht hätten sich auch ohne den Altar Anlässe ergeben
zur Verwertung von Luft, Wolken und Landschaft. „Es wird jedoch jedem
neuen künstlerischen Vermögen sehr gut bekommen, wenn es seine Anfänge,
seine Jugend im Heiligtum zubringen darf." Auch das Personal des Altar¬
bildes fährt bei der strengen Auswahl gegenüber dem Fresko gut, es erhält
seine Durchbildung und künstlerische Ausgestaltung, vor allem stellen das
Bambino und die Engel, die größern bekleideten und die öfters nackten Putten,
Aufgaben einer ganz neuen Schönheit. Die Stifter werden oft sehr ausgeführt,
wie auf den Bildern der Niederländer, und die einzelnen Heiligen bilden sich
zu Persönlichkeiten aus, die drei Erzengel und Sankt Georg, der schöne nackte
Sebastian und Hieronymus, das Ideal der Greise (in unsrer nordischen Malerei
wäre außer an Hieronymus noch an Christoph und Antonius zu erinnern),
nur Joseph bleibt absichtlich kümmerlich, durch negative Eigenschaften charakte¬
risiert. Diesen festen Münnerthpen entsprechen kaum weibliche: Magdalena ist
zwar erkennbar, aber sehr variabel. Aber die Madonna selbst mußte doch fast
immer aufs neue dabei sein, und es ist nicht zu sagen, wie dadurch in der
Darstellung des Weiblichen die italienischen Künstler vor allen andern gefördert
worden sind. Neue Züge bringt dann das weltlicher gemeinte Hausandachtsbild
in die Aufgabe hinein: der Figuren sind weniger, die Haltung ist intimer, das
Bambino, „das ideale Kind des Hauses," lebendiger und schöner. Bei Filippo


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[0264] Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance Dresden und sogar die Berliner Statue des dort dem Michelangelo zu- gesprochnen Johannes des Täufers. In Bezug auf diese hat übrigens Wölfflin in seinem eben erschienenen Buche: Die klassische Kunst Seite 49 den Gegen¬ beweis für mich überzeugend vervollständigt. Das einheitliche Altarbild (cirmäro) hat sich entwickelt aus der mehrtafligeu, manchmal zweigeschossiger „Ancona" mit ihren feststehenden Flügeln (das „Triptychon" hat bewegliche); an den Ursprung erinnert noch oft der halbrunde obere Abschluß oder auch das Überbleibsel einer besonders gemalten „Lünette." Für das Altarblatt schickte sich, abgesehen von besondern Anlässen, besser als eine bewegte Erzählung mit vielen Figuren, ein größerer, ruhiger Gegenstand, und hier bot sich den beneidenswerten alten Meistern „das große, ausdauernde Thema der Madonna mit Heiligen" dar. Diese großer Abwechslung fähige „heilige Konversazion" ist das hauptsächliche Gnadenbild der Altäre geworden. An die Stelle der Madonna der Mitte kann auch eine heilige Familie treten oder eine Szene des Marienlebens (die „Sippe" Christi kommt nur im Norden vor), und das Ganze wird auch wohl als Krönung Mariä oder als Himmel¬ fahrt Mariä mit den Aposteln darunter gegeben, während das Sterbebett der Maria wieder mehr dem Norden angehört. Das Altarblatt hat für die Kunst manchen Vorzug vor dem Fresko gehabt: es verlangt Hintergrundausbildung und einheitliches, oft sehr bestimmendes Licht, außerdem Sorgfalt der Aus¬ führung, weil es aus der Nähe und als einzelner Gegenstand muß gesehen werden können. Vielleicht hätten sich auch ohne den Altar Anlässe ergeben zur Verwertung von Luft, Wolken und Landschaft. „Es wird jedoch jedem neuen künstlerischen Vermögen sehr gut bekommen, wenn es seine Anfänge, seine Jugend im Heiligtum zubringen darf." Auch das Personal des Altar¬ bildes fährt bei der strengen Auswahl gegenüber dem Fresko gut, es erhält seine Durchbildung und künstlerische Ausgestaltung, vor allem stellen das Bambino und die Engel, die größern bekleideten und die öfters nackten Putten, Aufgaben einer ganz neuen Schönheit. Die Stifter werden oft sehr ausgeführt, wie auf den Bildern der Niederländer, und die einzelnen Heiligen bilden sich zu Persönlichkeiten aus, die drei Erzengel und Sankt Georg, der schöne nackte Sebastian und Hieronymus, das Ideal der Greise (in unsrer nordischen Malerei wäre außer an Hieronymus noch an Christoph und Antonius zu erinnern), nur Joseph bleibt absichtlich kümmerlich, durch negative Eigenschaften charakte¬ risiert. Diesen festen Münnerthpen entsprechen kaum weibliche: Magdalena ist zwar erkennbar, aber sehr variabel. Aber die Madonna selbst mußte doch fast immer aufs neue dabei sein, und es ist nicht zu sagen, wie dadurch in der Darstellung des Weiblichen die italienischen Künstler vor allen andern gefördert worden sind. Neue Züge bringt dann das weltlicher gemeinte Hausandachtsbild in die Aufgabe hinein: der Figuren sind weniger, die Haltung ist intimer, das Bambino, „das ideale Kind des Hauses," lebendiger und schöner. Bei Filippo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/264>, abgerufen am 28.09.2024.