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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Menschenwerk; die Natur aber sei Gottes Werk, daher verdiene auch nur die
physische Theologie, d. h. die philosophische Lehre von der Schöpfung der
Welt durch Gott, den Namen Theologie. Um so mehr sei es zu bedauern,
daß Varro die Philosophie, dieses achtungswerteste Erzeugnis des heidnischen
Denkgeistes, in die Gelehrtenstuben und Schulen eingeschlossen wissen wolle,
dem Volke dagegen außer den Opfern nur das Theater lasse. Hätte er lieber
die lügenhaften und schmutzigen Mythen dem Volke entzogen und sie in geheime
Kabinette eingeschlossen! Von wem übrigens würden denn die Theater gebaut
als vom Staate? Also seien auch diese schändlichen Anstalten eine Schöpfung
des Staates.

Selbstverständlich verweilt Augustin mit besonderen Behagen -- oder mit
besonders unerschöpflicher Entrüstung -- bei den "unzüchtigen" Kulten. Von
einem Manne des vierten Jahrhunderts ist die Fähigkeit historischer Kritik
nicht zu erwarten, man darf sich daher nicht darüber verwundern, daß er die
alten einheimischen Kulte und die vom Auslande eingeführten nicht auseinander¬
hält, obwohl es immerhin ein starkes Stückchen genannt werden kann, daß
(vom vierten Kapitel des zweiten Buches an) seine Kritik der römischen Religion
mit den Obscönitciten des Kultus der Göttermutter beginnt, von dem er doch
wußte, daß er nichts weniger als römisch war. Und man darf auch von
einem Kirchenvater, der noch dazu durch den Manichäismus hindurchgegangen
war, nicht erwarten, daß er zu unterscheiden vermöge zwischen dem wüsten
Unrat spät orientalischer Kutte und der Unschuld der arischen Naturreligion,
die alle Lust und Leben spendenden Götter, also natürlich auch die der Zeugung
verehrte. Daß aber die Auffassung der Zeugung als eines göttlichen und
heiligen Vorgangs gerade dazu beitrug, das Familienleben rein zu erhalten,
konnte ein Mann, der in diesem Vorgange den Sitz der Sünde sah, trotz seines
scharfen Verstandes natürlich nicht begreifen. Daß diese Götter öffentlich ver¬
ehrt wurden, hat die Keuschheit der Alten nicht im mindesten beeinträchtigt;
das Verderben fing an, als sich ihr Kult unter dem Namen von Mysterien
in dunkle Winkel verkroch. Das strenge Verbot der Bacchanalien im Jahre 186
v. Chr. und die Hinrichtung vieler angesehener Männer und Frauen, die über¬
führt worden waren, in dem entdeckten Geheimbunde Verbrechen begangen zu
haben, beweist zur Genüge, mit welchem Ernst der Senat selbst noch in dieser
Zeit des schon herrschenden Reichtums, Luxus und Übermuts das Verderben
abzuwehren bemüht war.*) Angefangen hatte es nach des Livius Darstellung
im hannibalischen Kriege. Zum Jahre 213 erzählt er, je länger der Krieg



") Aus dem berechtigten Mißtrauen gegen die Geheimkulte erklärt sich die Verfolgung der
Christen, die ihre unschuldigen Mysterien mit einer vom politischen Standpunkte unklugen Ängst¬
lichkeit vor Entweihung zu bewahren trachteten; gerade dadurch, daß die römische Religion
Staatsreligion war und alle religiösen Bräuche nuf des Staates Anordnung und unter Staats¬
aufsicht von Staatsbeamten geübt wurden, war dafür gesorgt, daß kein Unfug getrieben
werden konnte.
Der Römerstaat

Menschenwerk; die Natur aber sei Gottes Werk, daher verdiene auch nur die
physische Theologie, d. h. die philosophische Lehre von der Schöpfung der
Welt durch Gott, den Namen Theologie. Um so mehr sei es zu bedauern,
daß Varro die Philosophie, dieses achtungswerteste Erzeugnis des heidnischen
Denkgeistes, in die Gelehrtenstuben und Schulen eingeschlossen wissen wolle,
dem Volke dagegen außer den Opfern nur das Theater lasse. Hätte er lieber
die lügenhaften und schmutzigen Mythen dem Volke entzogen und sie in geheime
Kabinette eingeschlossen! Von wem übrigens würden denn die Theater gebaut
als vom Staate? Also seien auch diese schändlichen Anstalten eine Schöpfung
des Staates.

Selbstverständlich verweilt Augustin mit besonderen Behagen — oder mit
besonders unerschöpflicher Entrüstung — bei den „unzüchtigen" Kulten. Von
einem Manne des vierten Jahrhunderts ist die Fähigkeit historischer Kritik
nicht zu erwarten, man darf sich daher nicht darüber verwundern, daß er die
alten einheimischen Kulte und die vom Auslande eingeführten nicht auseinander¬
hält, obwohl es immerhin ein starkes Stückchen genannt werden kann, daß
(vom vierten Kapitel des zweiten Buches an) seine Kritik der römischen Religion
mit den Obscönitciten des Kultus der Göttermutter beginnt, von dem er doch
wußte, daß er nichts weniger als römisch war. Und man darf auch von
einem Kirchenvater, der noch dazu durch den Manichäismus hindurchgegangen
war, nicht erwarten, daß er zu unterscheiden vermöge zwischen dem wüsten
Unrat spät orientalischer Kutte und der Unschuld der arischen Naturreligion,
die alle Lust und Leben spendenden Götter, also natürlich auch die der Zeugung
verehrte. Daß aber die Auffassung der Zeugung als eines göttlichen und
heiligen Vorgangs gerade dazu beitrug, das Familienleben rein zu erhalten,
konnte ein Mann, der in diesem Vorgange den Sitz der Sünde sah, trotz seines
scharfen Verstandes natürlich nicht begreifen. Daß diese Götter öffentlich ver¬
ehrt wurden, hat die Keuschheit der Alten nicht im mindesten beeinträchtigt;
das Verderben fing an, als sich ihr Kult unter dem Namen von Mysterien
in dunkle Winkel verkroch. Das strenge Verbot der Bacchanalien im Jahre 186
v. Chr. und die Hinrichtung vieler angesehener Männer und Frauen, die über¬
führt worden waren, in dem entdeckten Geheimbunde Verbrechen begangen zu
haben, beweist zur Genüge, mit welchem Ernst der Senat selbst noch in dieser
Zeit des schon herrschenden Reichtums, Luxus und Übermuts das Verderben
abzuwehren bemüht war.*) Angefangen hatte es nach des Livius Darstellung
im hannibalischen Kriege. Zum Jahre 213 erzählt er, je länger der Krieg



") Aus dem berechtigten Mißtrauen gegen die Geheimkulte erklärt sich die Verfolgung der
Christen, die ihre unschuldigen Mysterien mit einer vom politischen Standpunkte unklugen Ängst¬
lichkeit vor Entweihung zu bewahren trachteten; gerade dadurch, daß die römische Religion
Staatsreligion war und alle religiösen Bräuche nuf des Staates Anordnung und unter Staats¬
aufsicht von Staatsbeamten geübt wurden, war dafür gesorgt, daß kein Unfug getrieben
werden konnte.
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[0256] Der Römerstaat Menschenwerk; die Natur aber sei Gottes Werk, daher verdiene auch nur die physische Theologie, d. h. die philosophische Lehre von der Schöpfung der Welt durch Gott, den Namen Theologie. Um so mehr sei es zu bedauern, daß Varro die Philosophie, dieses achtungswerteste Erzeugnis des heidnischen Denkgeistes, in die Gelehrtenstuben und Schulen eingeschlossen wissen wolle, dem Volke dagegen außer den Opfern nur das Theater lasse. Hätte er lieber die lügenhaften und schmutzigen Mythen dem Volke entzogen und sie in geheime Kabinette eingeschlossen! Von wem übrigens würden denn die Theater gebaut als vom Staate? Also seien auch diese schändlichen Anstalten eine Schöpfung des Staates. Selbstverständlich verweilt Augustin mit besonderen Behagen — oder mit besonders unerschöpflicher Entrüstung — bei den „unzüchtigen" Kulten. Von einem Manne des vierten Jahrhunderts ist die Fähigkeit historischer Kritik nicht zu erwarten, man darf sich daher nicht darüber verwundern, daß er die alten einheimischen Kulte und die vom Auslande eingeführten nicht auseinander¬ hält, obwohl es immerhin ein starkes Stückchen genannt werden kann, daß (vom vierten Kapitel des zweiten Buches an) seine Kritik der römischen Religion mit den Obscönitciten des Kultus der Göttermutter beginnt, von dem er doch wußte, daß er nichts weniger als römisch war. Und man darf auch von einem Kirchenvater, der noch dazu durch den Manichäismus hindurchgegangen war, nicht erwarten, daß er zu unterscheiden vermöge zwischen dem wüsten Unrat spät orientalischer Kutte und der Unschuld der arischen Naturreligion, die alle Lust und Leben spendenden Götter, also natürlich auch die der Zeugung verehrte. Daß aber die Auffassung der Zeugung als eines göttlichen und heiligen Vorgangs gerade dazu beitrug, das Familienleben rein zu erhalten, konnte ein Mann, der in diesem Vorgange den Sitz der Sünde sah, trotz seines scharfen Verstandes natürlich nicht begreifen. Daß diese Götter öffentlich ver¬ ehrt wurden, hat die Keuschheit der Alten nicht im mindesten beeinträchtigt; das Verderben fing an, als sich ihr Kult unter dem Namen von Mysterien in dunkle Winkel verkroch. Das strenge Verbot der Bacchanalien im Jahre 186 v. Chr. und die Hinrichtung vieler angesehener Männer und Frauen, die über¬ führt worden waren, in dem entdeckten Geheimbunde Verbrechen begangen zu haben, beweist zur Genüge, mit welchem Ernst der Senat selbst noch in dieser Zeit des schon herrschenden Reichtums, Luxus und Übermuts das Verderben abzuwehren bemüht war.*) Angefangen hatte es nach des Livius Darstellung im hannibalischen Kriege. Zum Jahre 213 erzählt er, je länger der Krieg ") Aus dem berechtigten Mißtrauen gegen die Geheimkulte erklärt sich die Verfolgung der Christen, die ihre unschuldigen Mysterien mit einer vom politischen Standpunkte unklugen Ängst¬ lichkeit vor Entweihung zu bewahren trachteten; gerade dadurch, daß die römische Religion Staatsreligion war und alle religiösen Bräuche nuf des Staates Anordnung und unter Staats¬ aufsicht von Staatsbeamten geübt wurden, war dafür gesorgt, daß kein Unfug getrieben werden konnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/256>, abgerufen am 28.09.2024.