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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern ein moderner Staat wurde

beinahe schwungvoll in der Bezeichnung der Ziele und immer mutig in der
Bezeichnung der Mittel; der Drang der Zeit schien alles Überflüssige selbst
aus der Sprache abgestreift zu haben. Man nannte die Dinge ungescheut mit
ihren Namen, mau fürchtete sich nicht mehr, wie es sonst dem Kurialstil eigen
ist, vor den Schlagworten des Tages. So schreibt Max Joseph in einem
Dekret vom 11. Februar 1800, das an den Ausschuß der Landstände gerichtet
war, die folgenden Worte: "Zur Zeit, wo den Staaten große und gefährliche
Erschütterungen drohen, müssen Staatsgebrechen schnell und mit Entschlossen¬
heit geheilt werden. . . ." "Neuerungen Einhalt zu thun, welche aus reinen,
allgemein als giltig anerkannten Grundsätzen fließen, welche das unaufhaltsame
Fortschreiten des menschlichen Verstands und das Bedürfnis der Zeit jeder
achtsamen Negierung abnötigt, liegt einmal in unsern Kräften so wenig, als
es in unser" Kräften liegt, einen Strom aufzuhalten." "Wer eine Regierung
hindert, schreiende Ungerechtigkeiten abzustellen, wer Mißbräuche beibehalten
oder vermehren will, der ist ein wahrhaft revolutionärer Mensch."

Damit war die Losung gefallen; Tausende von bedrückten Gemütern und
von gefesselten Händen gewannen damit die Freiheit wieder.

Unbeirrt durch den Widerspruch der "gefreiten Stände" zog Montgelas
auch sie zur Beteiligung an den öffentlichen Lasten heran; rücksichtslos gegen
alle Beamten, war er es doch am meisten gegen die, deren Mißwirtschaft ein
dringendes Ende erheischte. In der Armee wurde die allgemeine Dienstpflicht
eingeführt, und somit blieb nur noch ein Gebiet zu reformieren übrig: die
Kirche. Hier mußte freilich der Bruch mit dem alten System am tiefsten
werden; hier warf Montgelas das ganze Gewicht seines Namens, seines Geistes,
seiner Macht in die Wage, um den^Alp hinwegzudräugen, den die Kirche auf
Bayern gelegt hatte. Man begann damit, daß man den Protestanten die
Niederlassung in Bayern gestattete; aber welcher Kampf war nötig, bis sich
der Münchner Stadtmagistrat dazu entschloß, einem Ketzer das Bürgerrecht zu
geben! Der Kurfürst selbst legte seine persönliche Vermittlung ein. Das war
im Jahre 1801.

Um aber auch den Unfug abzuschneiden, der sich an manche religiöse
Übung knüpfte, wurde eine Reihe von "frommen Gebräuchen" verboten, wie
das Geißeln der Büßer bei Prozessionen, die "Bußsäcke," deren sich viele Mit¬
gehende bedienten, "das Werfen von Oblaten, Feuer und Wasser" unter die
Menge und die Herumführung eines Christusbildes "auf hölzernem Esel."
Ebenso wurden die Wallfahrten und Bittgänge eingeschränkt -- und über alle-
dem stand nun noch die Aufhebung der Klöster, die am 25. Januar 1802
mit folgenden Worten verfügt wurde: "Eines der mächtigsten Hindernisse (der
Kultur) zeigt sich in der dermaligen Verfassung der Klöster und besonders der
Bettelmönche, die, weil sie selbst fühlen, daß der Geist der Zeit eine Ver¬
änderung in der öffentlichen Stimmung gegen sie hervorgebracht hat, mit


Wie Bayern ein moderner Staat wurde

beinahe schwungvoll in der Bezeichnung der Ziele und immer mutig in der
Bezeichnung der Mittel; der Drang der Zeit schien alles Überflüssige selbst
aus der Sprache abgestreift zu haben. Man nannte die Dinge ungescheut mit
ihren Namen, mau fürchtete sich nicht mehr, wie es sonst dem Kurialstil eigen
ist, vor den Schlagworten des Tages. So schreibt Max Joseph in einem
Dekret vom 11. Februar 1800, das an den Ausschuß der Landstände gerichtet
war, die folgenden Worte: „Zur Zeit, wo den Staaten große und gefährliche
Erschütterungen drohen, müssen Staatsgebrechen schnell und mit Entschlossen¬
heit geheilt werden. . . ." „Neuerungen Einhalt zu thun, welche aus reinen,
allgemein als giltig anerkannten Grundsätzen fließen, welche das unaufhaltsame
Fortschreiten des menschlichen Verstands und das Bedürfnis der Zeit jeder
achtsamen Negierung abnötigt, liegt einmal in unsern Kräften so wenig, als
es in unser» Kräften liegt, einen Strom aufzuhalten." „Wer eine Regierung
hindert, schreiende Ungerechtigkeiten abzustellen, wer Mißbräuche beibehalten
oder vermehren will, der ist ein wahrhaft revolutionärer Mensch."

Damit war die Losung gefallen; Tausende von bedrückten Gemütern und
von gefesselten Händen gewannen damit die Freiheit wieder.

Unbeirrt durch den Widerspruch der „gefreiten Stände" zog Montgelas
auch sie zur Beteiligung an den öffentlichen Lasten heran; rücksichtslos gegen
alle Beamten, war er es doch am meisten gegen die, deren Mißwirtschaft ein
dringendes Ende erheischte. In der Armee wurde die allgemeine Dienstpflicht
eingeführt, und somit blieb nur noch ein Gebiet zu reformieren übrig: die
Kirche. Hier mußte freilich der Bruch mit dem alten System am tiefsten
werden; hier warf Montgelas das ganze Gewicht seines Namens, seines Geistes,
seiner Macht in die Wage, um den^Alp hinwegzudräugen, den die Kirche auf
Bayern gelegt hatte. Man begann damit, daß man den Protestanten die
Niederlassung in Bayern gestattete; aber welcher Kampf war nötig, bis sich
der Münchner Stadtmagistrat dazu entschloß, einem Ketzer das Bürgerrecht zu
geben! Der Kurfürst selbst legte seine persönliche Vermittlung ein. Das war
im Jahre 1801.

Um aber auch den Unfug abzuschneiden, der sich an manche religiöse
Übung knüpfte, wurde eine Reihe von „frommen Gebräuchen" verboten, wie
das Geißeln der Büßer bei Prozessionen, die „Bußsäcke," deren sich viele Mit¬
gehende bedienten, »das Werfen von Oblaten, Feuer und Wasser" unter die
Menge und die Herumführung eines Christusbildes „auf hölzernem Esel."
Ebenso wurden die Wallfahrten und Bittgänge eingeschränkt — und über alle-
dem stand nun noch die Aufhebung der Klöster, die am 25. Januar 1802
mit folgenden Worten verfügt wurde: „Eines der mächtigsten Hindernisse (der
Kultur) zeigt sich in der dermaligen Verfassung der Klöster und besonders der
Bettelmönche, die, weil sie selbst fühlen, daß der Geist der Zeit eine Ver¬
änderung in der öffentlichen Stimmung gegen sie hervorgebracht hat, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/198>, abgerufen am 28.09.2024.