Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Mischung in den Krieg mit Frankreich 1870 mit eingeflochten (II, 106 ff.) u. tgi.,
wie eben der Fürst im Zusammenhang seiner Diktate auf diese an sich ab¬
liegenden Gegenstande gekommen war. Daran ist natürlich gar nichts zu
zu beklagen, als etwa der Mangel jedes Registers zu, diesen Bänden, das es
dem Leser erleichtern würde, solche Beziehungen wieder aufzufinden; an sich
macht diese oft bunte Anordnung gerade den Eindruck der frischen Unmittel¬
barkeit. - ' ' ' .' - ^'l ^

Damit hängt nun ein zweiter Charakterzug des Werks zusammen. Es
ist weder als Zeitgeschichte noch als Biographie vollständig, es läßt vielmehr
zwischen den erzählten Ereignissen große Lücken. Nicht nur bringt es über
die Jugendentwicklung bis zum Abgange vom Gymnasium 1832 nichts weiter
als das Schlußresultat mit dem höchst bezeichnenden Aufangssatz, der das ganze
Werk eröffnet: "Als normales Produkt unsers staatlichen Unterrichts verließ
ich Ostern 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner,
doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," ^
sondern es ist auch als Ganzes nur eine Reihe von ausgewählten Erzählungen
und Betrachtungen, genau dem Titel: "Gedanken und Erinnerungen" ent¬
sprechend. Gern hörten wir ihn z. B. eingehender erzählen über die Vor¬
geschichte der beiden großen Kriege von 1866 und 1870, selbst über seine
Thätigkeit in ihrem Verlaufe, die nur in einzelnen ihrer Abschnitte geschildert
wird, über die Sozial- und Wirtschaftspolitik, die uno gestreift, über die Kolo¬
nialpolitik, die gar nicht erwähnt wird,! selbst über das Dreikaiserbündnis, das
im Zusammenhange fast nur als eine Vorstufe des mitteleuropäischen Drei¬
bundes erscheint. Manche dieser Lücken' läßt sich aus der sonstigen zum Teil
Von Bismarck selbst angeregten Litteratur genügend ergänzen, woraus sie sich
ja auch mit erklären mögen, aber keineswegs alle. Vor allem hätte man über die
Stellung Bismarcks zu der spanischen Thronkandidatur des Prinzen Leopold
von Hohenzollern, die den Anstoß zur französischen Kriegserklärung gab, nähere
Aufklärung gewünscht. Denn seitdem aus den -Enthüllungen des Generals
Lebrun die Verhandlungen über ein französtsch-österreichisch-italienisches Kriegs¬
bündnis, aus den Tagebücher" des Königs Karl von Rumänien die energische
Förderung der hvheuzollernschen Kandidatur durch Bismarck und die spanische
Sendung seines Vertrauten Lothar Bucher und des^ Generalstabmajors Max
von Versen -- über die jetzt auch dessen Biographie' aus' der Feder Wcrtherns
wertvollen, wenngleich keineswegs erschöpfenden Bericht gegeben hat -- allgemein
bekannt geworden sind, "genügt eine Darstellung wie die 11, 78 ff. gegebne,
soviel man auch zwischen den Zeilen.'lesen mag, nicht mehr, denn sie läßt den
vorwärts drängenden Einfluß des Kanzlers nicht erkennen und läuft doch darauf
hinaus, daß Preußen und der . norddeutsche Bund amtlich mit dieser in erster
Linie spanischen Angelegenheit nichts zu thun-gehabt haben, was formell ebenso
unzweifelhaft richtig wie'sachlich besondre Bedeutung ist; sie -sagt auch
nichts darüber, inwieweit Bismarck von jenen Vündnisverhandlungen Kenntnis


Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Mischung in den Krieg mit Frankreich 1870 mit eingeflochten (II, 106 ff.) u. tgi.,
wie eben der Fürst im Zusammenhang seiner Diktate auf diese an sich ab¬
liegenden Gegenstande gekommen war. Daran ist natürlich gar nichts zu
zu beklagen, als etwa der Mangel jedes Registers zu, diesen Bänden, das es
dem Leser erleichtern würde, solche Beziehungen wieder aufzufinden; an sich
macht diese oft bunte Anordnung gerade den Eindruck der frischen Unmittel¬
barkeit. - ' ' ' .' - ^'l ^

Damit hängt nun ein zweiter Charakterzug des Werks zusammen. Es
ist weder als Zeitgeschichte noch als Biographie vollständig, es läßt vielmehr
zwischen den erzählten Ereignissen große Lücken. Nicht nur bringt es über
die Jugendentwicklung bis zum Abgange vom Gymnasium 1832 nichts weiter
als das Schlußresultat mit dem höchst bezeichnenden Aufangssatz, der das ganze
Werk eröffnet: „Als normales Produkt unsers staatlichen Unterrichts verließ
ich Ostern 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner,
doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," ^
sondern es ist auch als Ganzes nur eine Reihe von ausgewählten Erzählungen
und Betrachtungen, genau dem Titel: „Gedanken und Erinnerungen" ent¬
sprechend. Gern hörten wir ihn z. B. eingehender erzählen über die Vor¬
geschichte der beiden großen Kriege von 1866 und 1870, selbst über seine
Thätigkeit in ihrem Verlaufe, die nur in einzelnen ihrer Abschnitte geschildert
wird, über die Sozial- und Wirtschaftspolitik, die uno gestreift, über die Kolo¬
nialpolitik, die gar nicht erwähnt wird,! selbst über das Dreikaiserbündnis, das
im Zusammenhange fast nur als eine Vorstufe des mitteleuropäischen Drei¬
bundes erscheint. Manche dieser Lücken' läßt sich aus der sonstigen zum Teil
Von Bismarck selbst angeregten Litteratur genügend ergänzen, woraus sie sich
ja auch mit erklären mögen, aber keineswegs alle. Vor allem hätte man über die
Stellung Bismarcks zu der spanischen Thronkandidatur des Prinzen Leopold
von Hohenzollern, die den Anstoß zur französischen Kriegserklärung gab, nähere
Aufklärung gewünscht. Denn seitdem aus den -Enthüllungen des Generals
Lebrun die Verhandlungen über ein französtsch-österreichisch-italienisches Kriegs¬
bündnis, aus den Tagebücher» des Königs Karl von Rumänien die energische
Förderung der hvheuzollernschen Kandidatur durch Bismarck und die spanische
Sendung seines Vertrauten Lothar Bucher und des^ Generalstabmajors Max
von Versen — über die jetzt auch dessen Biographie' aus' der Feder Wcrtherns
wertvollen, wenngleich keineswegs erschöpfenden Bericht gegeben hat — allgemein
bekannt geworden sind, "genügt eine Darstellung wie die 11, 78 ff. gegebne,
soviel man auch zwischen den Zeilen.'lesen mag, nicht mehr, denn sie läßt den
vorwärts drängenden Einfluß des Kanzlers nicht erkennen und läuft doch darauf
hinaus, daß Preußen und der . norddeutsche Bund amtlich mit dieser in erster
Linie spanischen Angelegenheit nichts zu thun-gehabt haben, was formell ebenso
unzweifelhaft richtig wie'sachlich besondre Bedeutung ist; sie -sagt auch
nichts darüber, inwieweit Bismarck von jenen Vündnisverhandlungen Kenntnis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230447"/>
          <fw type="header" place="top"> Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> Mischung in den Krieg mit Frankreich 1870 mit eingeflochten (II, 106 ff.) u. tgi.,<lb/>
wie eben der Fürst im Zusammenhang seiner Diktate auf diese an sich ab¬<lb/>
liegenden Gegenstande gekommen war. Daran ist natürlich gar nichts zu<lb/>
zu beklagen, als etwa der Mangel jedes Registers zu, diesen Bänden, das es<lb/>
dem Leser erleichtern würde, solche Beziehungen wieder aufzufinden; an sich<lb/>
macht diese oft bunte Anordnung gerade den Eindruck der frischen Unmittel¬<lb/>
barkeit. - ' '   ' .' -    ^'l ^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Damit hängt nun ein zweiter Charakterzug des Werks zusammen. Es<lb/>
ist weder als Zeitgeschichte noch als Biographie vollständig, es läßt vielmehr<lb/>
zwischen den erzählten Ereignissen große Lücken. Nicht nur bringt es über<lb/>
die Jugendentwicklung bis zum Abgange vom Gymnasium 1832 nichts weiter<lb/>
als das Schlußresultat mit dem höchst bezeichnenden Aufangssatz, der das ganze<lb/>
Werk eröffnet: &#x201E;Als normales Produkt unsers staatlichen Unterrichts verließ<lb/>
ich Ostern 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner,<lb/>
doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," ^<lb/>
sondern es ist auch als Ganzes nur eine Reihe von ausgewählten Erzählungen<lb/>
und Betrachtungen, genau dem Titel: &#x201E;Gedanken und Erinnerungen" ent¬<lb/>
sprechend. Gern hörten wir ihn z. B. eingehender erzählen über die Vor¬<lb/>
geschichte der beiden großen Kriege von 1866 und 1870, selbst über seine<lb/>
Thätigkeit in ihrem Verlaufe, die nur in einzelnen ihrer Abschnitte geschildert<lb/>
wird, über die Sozial- und Wirtschaftspolitik, die uno gestreift, über die Kolo¬<lb/>
nialpolitik, die gar nicht erwähnt wird,! selbst über das Dreikaiserbündnis, das<lb/>
im Zusammenhange fast nur als eine Vorstufe des mitteleuropäischen Drei¬<lb/>
bundes erscheint. Manche dieser Lücken' läßt sich aus der sonstigen zum Teil<lb/>
Von Bismarck selbst angeregten Litteratur genügend ergänzen, woraus sie sich<lb/>
ja auch mit erklären mögen, aber keineswegs alle. Vor allem hätte man über die<lb/>
Stellung Bismarcks zu der spanischen Thronkandidatur des Prinzen Leopold<lb/>
von Hohenzollern, die den Anstoß zur französischen Kriegserklärung gab, nähere<lb/>
Aufklärung gewünscht. Denn seitdem aus den -Enthüllungen des Generals<lb/>
Lebrun die Verhandlungen über ein französtsch-österreichisch-italienisches Kriegs¬<lb/>
bündnis, aus den Tagebücher» des Königs Karl von Rumänien die energische<lb/>
Förderung der hvheuzollernschen Kandidatur durch Bismarck und die spanische<lb/>
Sendung seines Vertrauten Lothar Bucher und des^ Generalstabmajors Max<lb/>
von Versen &#x2014; über die jetzt auch dessen Biographie' aus' der Feder Wcrtherns<lb/>
wertvollen, wenngleich keineswegs erschöpfenden Bericht gegeben hat &#x2014; allgemein<lb/>
bekannt geworden sind, "genügt eine Darstellung wie die 11, 78 ff. gegebne,<lb/>
soviel man auch zwischen den Zeilen.'lesen mag, nicht mehr, denn sie läßt den<lb/>
vorwärts drängenden Einfluß des Kanzlers nicht erkennen und läuft doch darauf<lb/>
hinaus, daß Preußen und der . norddeutsche Bund amtlich mit dieser in erster<lb/>
Linie spanischen Angelegenheit nichts zu thun-gehabt haben, was formell ebenso<lb/>
unzweifelhaft richtig wie'sachlich besondre Bedeutung ist; sie -sagt auch<lb/>
nichts darüber, inwieweit Bismarck von jenen Vündnisverhandlungen Kenntnis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Mischung in den Krieg mit Frankreich 1870 mit eingeflochten (II, 106 ff.) u. tgi., wie eben der Fürst im Zusammenhang seiner Diktate auf diese an sich ab¬ liegenden Gegenstande gekommen war. Daran ist natürlich gar nichts zu zu beklagen, als etwa der Mangel jedes Registers zu, diesen Bänden, das es dem Leser erleichtern würde, solche Beziehungen wieder aufzufinden; an sich macht diese oft bunte Anordnung gerade den Eindruck der frischen Unmittel¬ barkeit. - ' ' ' .' - ^'l ^ Damit hängt nun ein zweiter Charakterzug des Werks zusammen. Es ist weder als Zeitgeschichte noch als Biographie vollständig, es läßt vielmehr zwischen den erzählten Ereignissen große Lücken. Nicht nur bringt es über die Jugendentwicklung bis zum Abgange vom Gymnasium 1832 nichts weiter als das Schlußresultat mit dem höchst bezeichnenden Aufangssatz, der das ganze Werk eröffnet: „Als normales Produkt unsers staatlichen Unterrichts verließ ich Ostern 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," ^ sondern es ist auch als Ganzes nur eine Reihe von ausgewählten Erzählungen und Betrachtungen, genau dem Titel: „Gedanken und Erinnerungen" ent¬ sprechend. Gern hörten wir ihn z. B. eingehender erzählen über die Vor¬ geschichte der beiden großen Kriege von 1866 und 1870, selbst über seine Thätigkeit in ihrem Verlaufe, die nur in einzelnen ihrer Abschnitte geschildert wird, über die Sozial- und Wirtschaftspolitik, die uno gestreift, über die Kolo¬ nialpolitik, die gar nicht erwähnt wird,! selbst über das Dreikaiserbündnis, das im Zusammenhange fast nur als eine Vorstufe des mitteleuropäischen Drei¬ bundes erscheint. Manche dieser Lücken' läßt sich aus der sonstigen zum Teil Von Bismarck selbst angeregten Litteratur genügend ergänzen, woraus sie sich ja auch mit erklären mögen, aber keineswegs alle. Vor allem hätte man über die Stellung Bismarcks zu der spanischen Thronkandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern, die den Anstoß zur französischen Kriegserklärung gab, nähere Aufklärung gewünscht. Denn seitdem aus den -Enthüllungen des Generals Lebrun die Verhandlungen über ein französtsch-österreichisch-italienisches Kriegs¬ bündnis, aus den Tagebücher» des Königs Karl von Rumänien die energische Förderung der hvheuzollernschen Kandidatur durch Bismarck und die spanische Sendung seines Vertrauten Lothar Bucher und des^ Generalstabmajors Max von Versen — über die jetzt auch dessen Biographie' aus' der Feder Wcrtherns wertvollen, wenngleich keineswegs erschöpfenden Bericht gegeben hat — allgemein bekannt geworden sind, "genügt eine Darstellung wie die 11, 78 ff. gegebne, soviel man auch zwischen den Zeilen.'lesen mag, nicht mehr, denn sie läßt den vorwärts drängenden Einfluß des Kanzlers nicht erkennen und läuft doch darauf hinaus, daß Preußen und der . norddeutsche Bund amtlich mit dieser in erster Linie spanischen Angelegenheit nichts zu thun-gehabt haben, was formell ebenso unzweifelhaft richtig wie'sachlich besondre Bedeutung ist; sie -sagt auch nichts darüber, inwieweit Bismarck von jenen Vündnisverhandlungen Kenntnis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/15>, abgerufen am 28.09.2024.