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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Winckelmanns Leben von Insel

Museum herbeigeschafft wird, und tels Ideal der Kunstlehre ist die Ausstellung
im Museum oder ein photographischer Atlas, dessen Blätter der führende
Lehrer vorlegt mit Nennung einiger Namen und Erteilung einiger wortkarger
Winke." Kunstformen, die einst mit Ernst für bedeutende Aufgaben ersonnen
wurden, werdeu schablonenhaft wiederholt und an das Alltägliche verschwendet;
der Formenadel eines Lysikratesdenkmals muß heute, man mag nicht sagen
was für nützliche Gebäude verzieren. Die Übersättigung am Schönen führt
nach Rousseau zur Lust am Häßlichen, in dem wir schon mitten drin sitzen.
Die "Ablösung durch das Lx orisuts lux des Mongolentums ist das neuste
Evangelium." Jenes zweite Kapitel des dritten Bandes über die Winckel-
mannsche Kunstgeschichte schließt mit einer Betrachtung über die Griechen, die
das Geheimnis hatten, unsre Begriffe von der Größe und dem Adel der
Menschennatur zu steigern durch sinnliche Gestalten, wie Erinnerungen an ein
Verlornes Dasein, das dem vermeintlichen göttlichen Ursprung unsers Geschlechts
näher stand. Das Volk, in dem diese Kunst ihre lebendigen Muster hatte,
ist untergegangen; ihre Trümmer sind Reste einer Offenbarung. Die moderne
Kunst ist inzwischen ganz andre Wege gegangen. Das äußere Leben auf unsrer
Erde hat eine Umwälzung erfahren, die ohne Beispiel ist in der Geschichte.
"Die seit geologischen Zeitaltern unveränderliche menschliche Natur hat einige
Schwierigkeiten, sich diesen Zuständen anzupassen; ob die Kunst und was für eine
sich in sie eingewöhnen werde, das ist eine noch nicht spruchreife Frage." Die
Ära der technischen Überraschungen, der Photographie, der Weltausstellungen
und Universalmuseen hat ein Chaos ergeben, das sich in jedem Augenblick ver¬
ändert. "Alles ist willkommen, das Halbbarbarische und Verknöcherte, das
Raffinierte und der Verfall, nnr das Vernünftige und Schöne findet in der
Regel weniger Schonung." Als Stärkung der angegriffnen Nerven und zu¬
gleich als Weg zum Übermenschen der Zukunft dient das Schlammbad der
Bestialität, und in der Maschine, "von deren erzieherischer Wirkung man die
vollendete Abhärtung gegen das absolut Häßliche hoffen darf, schuf der moderne
Mensch sei" eignes Symbol, indem er, sich selbst zum Teil einer drolligen
Maschine machend, als zwecklos den Raum verschlingendes Monstrum des
Königs Heerstraße durchrast."

Doch nicht um dieser Verbrämungen willen, wiewohl sie mir persönlich
zusagen, habe ich Justis Werk als zeitgemäß bezeichnet. Es kann zunächst
durch seinen ganzen Zuschnitt und denn durch bestimmte große Teile seines
Inhalts gerade heute nützlich wirken.

Eine Menge einzelner und noch vorhandner Kunstgegenstände wird von
einem Kenner abgeschätzt, und sein Urteil unterliegt wieder den Ansichten einer
noch hundert Jahre weiter arbeitenden Wissenschaft. Jener Kenner hat deut¬
liche persönliche Abneigungen, z. B. gegen Michelangelo und Vorromini, er
hat keinen Sinn für das Malerische in der Architektur, er verachtet die auf-


Winckelmanns Leben von Insel

Museum herbeigeschafft wird, und tels Ideal der Kunstlehre ist die Ausstellung
im Museum oder ein photographischer Atlas, dessen Blätter der führende
Lehrer vorlegt mit Nennung einiger Namen und Erteilung einiger wortkarger
Winke." Kunstformen, die einst mit Ernst für bedeutende Aufgaben ersonnen
wurden, werdeu schablonenhaft wiederholt und an das Alltägliche verschwendet;
der Formenadel eines Lysikratesdenkmals muß heute, man mag nicht sagen
was für nützliche Gebäude verzieren. Die Übersättigung am Schönen führt
nach Rousseau zur Lust am Häßlichen, in dem wir schon mitten drin sitzen.
Die „Ablösung durch das Lx orisuts lux des Mongolentums ist das neuste
Evangelium." Jenes zweite Kapitel des dritten Bandes über die Winckel-
mannsche Kunstgeschichte schließt mit einer Betrachtung über die Griechen, die
das Geheimnis hatten, unsre Begriffe von der Größe und dem Adel der
Menschennatur zu steigern durch sinnliche Gestalten, wie Erinnerungen an ein
Verlornes Dasein, das dem vermeintlichen göttlichen Ursprung unsers Geschlechts
näher stand. Das Volk, in dem diese Kunst ihre lebendigen Muster hatte,
ist untergegangen; ihre Trümmer sind Reste einer Offenbarung. Die moderne
Kunst ist inzwischen ganz andre Wege gegangen. Das äußere Leben auf unsrer
Erde hat eine Umwälzung erfahren, die ohne Beispiel ist in der Geschichte.
„Die seit geologischen Zeitaltern unveränderliche menschliche Natur hat einige
Schwierigkeiten, sich diesen Zuständen anzupassen; ob die Kunst und was für eine
sich in sie eingewöhnen werde, das ist eine noch nicht spruchreife Frage." Die
Ära der technischen Überraschungen, der Photographie, der Weltausstellungen
und Universalmuseen hat ein Chaos ergeben, das sich in jedem Augenblick ver¬
ändert. „Alles ist willkommen, das Halbbarbarische und Verknöcherte, das
Raffinierte und der Verfall, nnr das Vernünftige und Schöne findet in der
Regel weniger Schonung." Als Stärkung der angegriffnen Nerven und zu¬
gleich als Weg zum Übermenschen der Zukunft dient das Schlammbad der
Bestialität, und in der Maschine, „von deren erzieherischer Wirkung man die
vollendete Abhärtung gegen das absolut Häßliche hoffen darf, schuf der moderne
Mensch sei» eignes Symbol, indem er, sich selbst zum Teil einer drolligen
Maschine machend, als zwecklos den Raum verschlingendes Monstrum des
Königs Heerstraße durchrast."

Doch nicht um dieser Verbrämungen willen, wiewohl sie mir persönlich
zusagen, habe ich Justis Werk als zeitgemäß bezeichnet. Es kann zunächst
durch seinen ganzen Zuschnitt und denn durch bestimmte große Teile seines
Inhalts gerade heute nützlich wirken.

Eine Menge einzelner und noch vorhandner Kunstgegenstände wird von
einem Kenner abgeschätzt, und sein Urteil unterliegt wieder den Ansichten einer
noch hundert Jahre weiter arbeitenden Wissenschaft. Jener Kenner hat deut¬
liche persönliche Abneigungen, z. B. gegen Michelangelo und Vorromini, er
hat keinen Sinn für das Malerische in der Architektur, er verachtet die auf-


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[0142] Winckelmanns Leben von Insel Museum herbeigeschafft wird, und tels Ideal der Kunstlehre ist die Ausstellung im Museum oder ein photographischer Atlas, dessen Blätter der führende Lehrer vorlegt mit Nennung einiger Namen und Erteilung einiger wortkarger Winke." Kunstformen, die einst mit Ernst für bedeutende Aufgaben ersonnen wurden, werdeu schablonenhaft wiederholt und an das Alltägliche verschwendet; der Formenadel eines Lysikratesdenkmals muß heute, man mag nicht sagen was für nützliche Gebäude verzieren. Die Übersättigung am Schönen führt nach Rousseau zur Lust am Häßlichen, in dem wir schon mitten drin sitzen. Die „Ablösung durch das Lx orisuts lux des Mongolentums ist das neuste Evangelium." Jenes zweite Kapitel des dritten Bandes über die Winckel- mannsche Kunstgeschichte schließt mit einer Betrachtung über die Griechen, die das Geheimnis hatten, unsre Begriffe von der Größe und dem Adel der Menschennatur zu steigern durch sinnliche Gestalten, wie Erinnerungen an ein Verlornes Dasein, das dem vermeintlichen göttlichen Ursprung unsers Geschlechts näher stand. Das Volk, in dem diese Kunst ihre lebendigen Muster hatte, ist untergegangen; ihre Trümmer sind Reste einer Offenbarung. Die moderne Kunst ist inzwischen ganz andre Wege gegangen. Das äußere Leben auf unsrer Erde hat eine Umwälzung erfahren, die ohne Beispiel ist in der Geschichte. „Die seit geologischen Zeitaltern unveränderliche menschliche Natur hat einige Schwierigkeiten, sich diesen Zuständen anzupassen; ob die Kunst und was für eine sich in sie eingewöhnen werde, das ist eine noch nicht spruchreife Frage." Die Ära der technischen Überraschungen, der Photographie, der Weltausstellungen und Universalmuseen hat ein Chaos ergeben, das sich in jedem Augenblick ver¬ ändert. „Alles ist willkommen, das Halbbarbarische und Verknöcherte, das Raffinierte und der Verfall, nnr das Vernünftige und Schöne findet in der Regel weniger Schonung." Als Stärkung der angegriffnen Nerven und zu¬ gleich als Weg zum Übermenschen der Zukunft dient das Schlammbad der Bestialität, und in der Maschine, „von deren erzieherischer Wirkung man die vollendete Abhärtung gegen das absolut Häßliche hoffen darf, schuf der moderne Mensch sei» eignes Symbol, indem er, sich selbst zum Teil einer drolligen Maschine machend, als zwecklos den Raum verschlingendes Monstrum des Königs Heerstraße durchrast." Doch nicht um dieser Verbrämungen willen, wiewohl sie mir persönlich zusagen, habe ich Justis Werk als zeitgemäß bezeichnet. Es kann zunächst durch seinen ganzen Zuschnitt und denn durch bestimmte große Teile seines Inhalts gerade heute nützlich wirken. Eine Menge einzelner und noch vorhandner Kunstgegenstände wird von einem Kenner abgeschätzt, und sein Urteil unterliegt wieder den Ansichten einer noch hundert Jahre weiter arbeitenden Wissenschaft. Jener Kenner hat deut¬ liche persönliche Abneigungen, z. B. gegen Michelangelo und Vorromini, er hat keinen Sinn für das Malerische in der Architektur, er verachtet die auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/142>, abgerufen am 20.10.2024.