Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

mir in der Voraussetzung unternehmen, daß die Denkwürdigkeiten in den
nächsten Jahren nicht veröffentlicht würden, weil der Zwerg dem Riesen nicht
Konkurrenz machen könne, und hoffte dann Bismarcks Diktate für seine Zwecke
benutzen zu dürfen (323). Die Antwort Buchers vom 1. September 1891
schien diese Voraussetzung zu bestätigen, denn dieser schrieb mißmutig: "Aus
den Memoiren wird nie etwas werden, und wenn er und ich noch zehn Jahre
leben. Das Haupthindernis ist seine "Faulheit", wie er selbst sich ausdrückt.
Meine Arbeit kann ja nur darin bestehn, das Chaos von Diktaten zu zer¬
schneiden und die Stücke zu Mosaikbildern zu vereinigen, außerdem seine Chrono¬
logie richtig zu stellen, die ganz unzuverlässig ist und natürlich die Kausal¬
verbindungen fälscht. Was er zu thun hat, ist, die von mir hergestellten
Kapitel und die einschlagenden Briefe, die ich dazu gelegt habe, zu lesen, und
dazu ist er nicht zu bringen. Von den vierzehn Kapiteln, die ich seit dem
September v. I. vorgelegt habe, hat er bei meiner Abreise von Kissingen eins
ganz und eins nur zum Teil gelesen! In vier wichtigen Fällen habe ich ihn
durch Richtigstellung seiner Chronologie zu dem Geständnis genötigt, daß die
Sache allerdings nicht so gewesen sein könne, wie er sie diktiert hatte, aber
keine Erklärung herausquetschen können, wie es denn sonst gewesen sei. Ich
bin der Verzweiflung nahe und wäre sehr zufrieden, wenn meine Arbeit ein¬
gestellt und der ganze Wust an Sie ausgeliefert würde. Wie er darüber
denken wird, weiß ich nicht; aber machen Sie immerhin den Versuch" (324).
Das that denn auch Busch durch ein an den Kanzler gerichtetes Schreiben
vom 10. September, aber dieser antwortete am 14. ablehnend mit der Be¬
merkung: "Meine eignen Niederschriften und Diktate kann ich -- noch nicht
zur Verfügung stellen. Die Veröffentlichung des Inhalts ist für jetzt weder
direkt noch indirekt thunlich." Das von Busch beabsichtigte Werk werde er aber
gern vor der Veröffentlichung durchsehen (328). Infolge dieses Bescheids gab
Busch seinen Plan, eine Biographie zu schreiben, überhaupt auf (330).

Bücher, der auch vor Weihnachten wieder längere Zeit in Friedrichsruh
verweilt hatte, sagte sehr verstimmt am 5. Januar 1892 zu Busch: "Da
lan den Memoiren^ arbeitet man in jeder Beziehung ohne Erfolg und Freude.
Es ist ein ganz hoffnungsloses Abmühen und giebt nichts für die Geschichte.
Nicht nur, daß sein Gedächtnis mangelhaft und sein Interesse für das, was
wir fertig haben, gering ist -- er hat bis jetzt nur wenig von meinen Paketen
wieder durchgesehn --, sondern er fängt an, auch zu entstellen, und zwar selbst
bei klaren ausgemachten Thatsachen und Vorgängen," was er dann mit einer
Reihe von Beispielen belegte. -- "Zu den Arbeiten für die Memoiren wird
jetzt auch ein alter Kopist zugezogen werden, da Chrysander, dem ich mein
Stenogramm in Übersetzung diktiere -- das Abschreiben nicht mehr überwältigen
kann. Sie sollen den Söhnen als Vermächtnis bleiben, werden aber schwerlich
veröffentlicht werden von ihnen. -- Höchstens ließe sich einmal ein letztes
Kapitel über die Vorstadien seiner Verdrängung und seines schließlichen Ruck-


Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

mir in der Voraussetzung unternehmen, daß die Denkwürdigkeiten in den
nächsten Jahren nicht veröffentlicht würden, weil der Zwerg dem Riesen nicht
Konkurrenz machen könne, und hoffte dann Bismarcks Diktate für seine Zwecke
benutzen zu dürfen (323). Die Antwort Buchers vom 1. September 1891
schien diese Voraussetzung zu bestätigen, denn dieser schrieb mißmutig: „Aus
den Memoiren wird nie etwas werden, und wenn er und ich noch zehn Jahre
leben. Das Haupthindernis ist seine »Faulheit«, wie er selbst sich ausdrückt.
Meine Arbeit kann ja nur darin bestehn, das Chaos von Diktaten zu zer¬
schneiden und die Stücke zu Mosaikbildern zu vereinigen, außerdem seine Chrono¬
logie richtig zu stellen, die ganz unzuverlässig ist und natürlich die Kausal¬
verbindungen fälscht. Was er zu thun hat, ist, die von mir hergestellten
Kapitel und die einschlagenden Briefe, die ich dazu gelegt habe, zu lesen, und
dazu ist er nicht zu bringen. Von den vierzehn Kapiteln, die ich seit dem
September v. I. vorgelegt habe, hat er bei meiner Abreise von Kissingen eins
ganz und eins nur zum Teil gelesen! In vier wichtigen Fällen habe ich ihn
durch Richtigstellung seiner Chronologie zu dem Geständnis genötigt, daß die
Sache allerdings nicht so gewesen sein könne, wie er sie diktiert hatte, aber
keine Erklärung herausquetschen können, wie es denn sonst gewesen sei. Ich
bin der Verzweiflung nahe und wäre sehr zufrieden, wenn meine Arbeit ein¬
gestellt und der ganze Wust an Sie ausgeliefert würde. Wie er darüber
denken wird, weiß ich nicht; aber machen Sie immerhin den Versuch" (324).
Das that denn auch Busch durch ein an den Kanzler gerichtetes Schreiben
vom 10. September, aber dieser antwortete am 14. ablehnend mit der Be¬
merkung: „Meine eignen Niederschriften und Diktate kann ich — noch nicht
zur Verfügung stellen. Die Veröffentlichung des Inhalts ist für jetzt weder
direkt noch indirekt thunlich." Das von Busch beabsichtigte Werk werde er aber
gern vor der Veröffentlichung durchsehen (328). Infolge dieses Bescheids gab
Busch seinen Plan, eine Biographie zu schreiben, überhaupt auf (330).

Bücher, der auch vor Weihnachten wieder längere Zeit in Friedrichsruh
verweilt hatte, sagte sehr verstimmt am 5. Januar 1892 zu Busch: „Da
lan den Memoiren^ arbeitet man in jeder Beziehung ohne Erfolg und Freude.
Es ist ein ganz hoffnungsloses Abmühen und giebt nichts für die Geschichte.
Nicht nur, daß sein Gedächtnis mangelhaft und sein Interesse für das, was
wir fertig haben, gering ist — er hat bis jetzt nur wenig von meinen Paketen
wieder durchgesehn —, sondern er fängt an, auch zu entstellen, und zwar selbst
bei klaren ausgemachten Thatsachen und Vorgängen," was er dann mit einer
Reihe von Beispielen belegte. — „Zu den Arbeiten für die Memoiren wird
jetzt auch ein alter Kopist zugezogen werden, da Chrysander, dem ich mein
Stenogramm in Übersetzung diktiere — das Abschreiben nicht mehr überwältigen
kann. Sie sollen den Söhnen als Vermächtnis bleiben, werden aber schwerlich
veröffentlicht werden von ihnen. — Höchstens ließe sich einmal ein letztes
Kapitel über die Vorstadien seiner Verdrängung und seines schließlichen Ruck-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230445"/>
          <fw type="header" place="top"> Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> mir in der Voraussetzung unternehmen, daß die Denkwürdigkeiten in den<lb/>
nächsten Jahren nicht veröffentlicht würden, weil der Zwerg dem Riesen nicht<lb/>
Konkurrenz machen könne, und hoffte dann Bismarcks Diktate für seine Zwecke<lb/>
benutzen zu dürfen (323). Die Antwort Buchers vom 1. September 1891<lb/>
schien diese Voraussetzung zu bestätigen, denn dieser schrieb mißmutig: &#x201E;Aus<lb/>
den Memoiren wird nie etwas werden, und wenn er und ich noch zehn Jahre<lb/>
leben. Das Haupthindernis ist seine »Faulheit«, wie er selbst sich ausdrückt.<lb/>
Meine Arbeit kann ja nur darin bestehn, das Chaos von Diktaten zu zer¬<lb/>
schneiden und die Stücke zu Mosaikbildern zu vereinigen, außerdem seine Chrono¬<lb/>
logie richtig zu stellen, die ganz unzuverlässig ist und natürlich die Kausal¬<lb/>
verbindungen fälscht. Was er zu thun hat, ist, die von mir hergestellten<lb/>
Kapitel und die einschlagenden Briefe, die ich dazu gelegt habe, zu lesen, und<lb/>
dazu ist er nicht zu bringen. Von den vierzehn Kapiteln, die ich seit dem<lb/>
September v. I. vorgelegt habe, hat er bei meiner Abreise von Kissingen eins<lb/>
ganz und eins nur zum Teil gelesen! In vier wichtigen Fällen habe ich ihn<lb/>
durch Richtigstellung seiner Chronologie zu dem Geständnis genötigt, daß die<lb/>
Sache allerdings nicht so gewesen sein könne, wie er sie diktiert hatte, aber<lb/>
keine Erklärung herausquetschen können, wie es denn sonst gewesen sei. Ich<lb/>
bin der Verzweiflung nahe und wäre sehr zufrieden, wenn meine Arbeit ein¬<lb/>
gestellt und der ganze Wust an Sie ausgeliefert würde. Wie er darüber<lb/>
denken wird, weiß ich nicht; aber machen Sie immerhin den Versuch" (324).<lb/>
Das that denn auch Busch durch ein an den Kanzler gerichtetes Schreiben<lb/>
vom 10. September, aber dieser antwortete am 14. ablehnend mit der Be¬<lb/>
merkung: &#x201E;Meine eignen Niederschriften und Diktate kann ich &#x2014; noch nicht<lb/>
zur Verfügung stellen. Die Veröffentlichung des Inhalts ist für jetzt weder<lb/>
direkt noch indirekt thunlich." Das von Busch beabsichtigte Werk werde er aber<lb/>
gern vor der Veröffentlichung durchsehen (328). Infolge dieses Bescheids gab<lb/>
Busch seinen Plan, eine Biographie zu schreiben, überhaupt auf (330).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_11" next="#ID_12"> Bücher, der auch vor Weihnachten wieder längere Zeit in Friedrichsruh<lb/>
verweilt hatte, sagte sehr verstimmt am 5. Januar 1892 zu Busch: &#x201E;Da<lb/>
lan den Memoiren^ arbeitet man in jeder Beziehung ohne Erfolg und Freude.<lb/>
Es ist ein ganz hoffnungsloses Abmühen und giebt nichts für die Geschichte.<lb/>
Nicht nur, daß sein Gedächtnis mangelhaft und sein Interesse für das, was<lb/>
wir fertig haben, gering ist &#x2014; er hat bis jetzt nur wenig von meinen Paketen<lb/>
wieder durchgesehn &#x2014;, sondern er fängt an, auch zu entstellen, und zwar selbst<lb/>
bei klaren ausgemachten Thatsachen und Vorgängen," was er dann mit einer<lb/>
Reihe von Beispielen belegte. &#x2014; &#x201E;Zu den Arbeiten für die Memoiren wird<lb/>
jetzt auch ein alter Kopist zugezogen werden, da Chrysander, dem ich mein<lb/>
Stenogramm in Übersetzung diktiere &#x2014; das Abschreiben nicht mehr überwältigen<lb/>
kann. Sie sollen den Söhnen als Vermächtnis bleiben, werden aber schwerlich<lb/>
veröffentlicht werden von ihnen. &#x2014; Höchstens ließe sich einmal ein letztes<lb/>
Kapitel über die Vorstadien seiner Verdrängung und seines schließlichen Ruck-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen mir in der Voraussetzung unternehmen, daß die Denkwürdigkeiten in den nächsten Jahren nicht veröffentlicht würden, weil der Zwerg dem Riesen nicht Konkurrenz machen könne, und hoffte dann Bismarcks Diktate für seine Zwecke benutzen zu dürfen (323). Die Antwort Buchers vom 1. September 1891 schien diese Voraussetzung zu bestätigen, denn dieser schrieb mißmutig: „Aus den Memoiren wird nie etwas werden, und wenn er und ich noch zehn Jahre leben. Das Haupthindernis ist seine »Faulheit«, wie er selbst sich ausdrückt. Meine Arbeit kann ja nur darin bestehn, das Chaos von Diktaten zu zer¬ schneiden und die Stücke zu Mosaikbildern zu vereinigen, außerdem seine Chrono¬ logie richtig zu stellen, die ganz unzuverlässig ist und natürlich die Kausal¬ verbindungen fälscht. Was er zu thun hat, ist, die von mir hergestellten Kapitel und die einschlagenden Briefe, die ich dazu gelegt habe, zu lesen, und dazu ist er nicht zu bringen. Von den vierzehn Kapiteln, die ich seit dem September v. I. vorgelegt habe, hat er bei meiner Abreise von Kissingen eins ganz und eins nur zum Teil gelesen! In vier wichtigen Fällen habe ich ihn durch Richtigstellung seiner Chronologie zu dem Geständnis genötigt, daß die Sache allerdings nicht so gewesen sein könne, wie er sie diktiert hatte, aber keine Erklärung herausquetschen können, wie es denn sonst gewesen sei. Ich bin der Verzweiflung nahe und wäre sehr zufrieden, wenn meine Arbeit ein¬ gestellt und der ganze Wust an Sie ausgeliefert würde. Wie er darüber denken wird, weiß ich nicht; aber machen Sie immerhin den Versuch" (324). Das that denn auch Busch durch ein an den Kanzler gerichtetes Schreiben vom 10. September, aber dieser antwortete am 14. ablehnend mit der Be¬ merkung: „Meine eignen Niederschriften und Diktate kann ich — noch nicht zur Verfügung stellen. Die Veröffentlichung des Inhalts ist für jetzt weder direkt noch indirekt thunlich." Das von Busch beabsichtigte Werk werde er aber gern vor der Veröffentlichung durchsehen (328). Infolge dieses Bescheids gab Busch seinen Plan, eine Biographie zu schreiben, überhaupt auf (330). Bücher, der auch vor Weihnachten wieder längere Zeit in Friedrichsruh verweilt hatte, sagte sehr verstimmt am 5. Januar 1892 zu Busch: „Da lan den Memoiren^ arbeitet man in jeder Beziehung ohne Erfolg und Freude. Es ist ein ganz hoffnungsloses Abmühen und giebt nichts für die Geschichte. Nicht nur, daß sein Gedächtnis mangelhaft und sein Interesse für das, was wir fertig haben, gering ist — er hat bis jetzt nur wenig von meinen Paketen wieder durchgesehn —, sondern er fängt an, auch zu entstellen, und zwar selbst bei klaren ausgemachten Thatsachen und Vorgängen," was er dann mit einer Reihe von Beispielen belegte. — „Zu den Arbeiten für die Memoiren wird jetzt auch ein alter Kopist zugezogen werden, da Chrysander, dem ich mein Stenogramm in Übersetzung diktiere — das Abschreiben nicht mehr überwältigen kann. Sie sollen den Söhnen als Vermächtnis bleiben, werden aber schwerlich veröffentlicht werden von ihnen. — Höchstens ließe sich einmal ein letztes Kapitel über die Vorstadien seiner Verdrängung und seines schließlichen Ruck-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/13>, abgerufen am 28.09.2024.