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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Tagelöhnerhäuser

hätte dann ein Ende. Die Leute hätten eine Heimat, die sie sich schmücken
könnten. Auch die erwachsenen Kinder hätten dann ein Elternhaus und glichen
nicht der Spatzenbrut, die, wenn sie flügge geworden ist, aus dem Nest ge¬
worfen wird. Den Herren müßte das Recht bleiben, wenn sie Lust haben, in
die alten Tagelöhnerhäuser beliebige Familien einzusetzen. Sonst würden sie
die Bedienten des Arbeiters sein. Aber viel Gebrauch würden sie davon nicht
machen. Es würde das sehr bald nur eine Hilfe in der Not werden. Im
ganzen genommen würde die Arbeiterbevölkerung in den neuen Häusern so viel
arbeiten wie in den alten. Freilich würde die materielle Macht der Guts¬
herren über diese Arbeiter verringert. Einige Gewaltherrscher würden sich
schlechter dabei stehn. Die meisten aber würden auch so mit deu Leuten aus¬
kommen, denn die Verhältnisse würden dadurch ja nur denen im Westen ähn¬
licher gemacht werden. Im ganzen, glaube ich, würden die Herren besser be¬
dient werden als jetzt in den Zeiten des Russenimports und -exports. Der
Arbeiterbedarf wäre besser gedeckt, als er jetzt ist; denn wir erwarten ja eben
von der Neuerung, daß sich tüchtige Leute halten lassen.

Freilich eine Rute muß für die Leute da sein. Denn wenn es dazu
kommen sollte, daß auf diesem Wege die Gutsherren keine Arbeiter bekämen,
sondern nur Arbeiter los würden, so würde die Neuerung bald zum Stillstand
kommen. Aber dafür sind ja die siebzig bis achtzig Mark Miete da, die die
Arbeiter jährlich verdienen müssen, wenn sie nicht an die Luft gesetzt werden
wollen; scheinbar würden sich diese Mieter zunächst gegen die Tagelöhner mit
freier Wohnung sogar schlechter stehn; aber trotzdem glaube ich, daß es nicht
an Mietern fehlen würde. Auch könnten die Herren weiterhin einen jährlichen
Kontrakt machen und die Zahlung der Hauptgeldsumme gegen das Ende der
Kontraktszeit verlegen. Daß die Bewohner dieser Arbeiterhäuser zu einem
arbeitslosen Proletariat würden, braucht man nicht zu fürchten. Dazu ist der
Mangel an Arbeitern auf dem Laude zu groß. Überflüssige Häuser würden
leer stehn. Durch ihre eigne kleine Wirtschaft könnten die Leute im Gegenteil
zu Wohlstand kommen. Das fahrende Volk aus Posen, Rußland und Galizien
ist jedoch wirklich nur Proletariat, wie wir es armseliger nicht haben. Daß
sie in diesen Häusern Ränberkolonien bilden würden, eine Ansicht, die auf der
Versammlung des Vereins für Wohlfahrtspflege auf dem Lande ausgesprochen
wurde, brauchen wir von der Mehrzahl unsrer Arbeiter nicht zu befürchten.
Wäre ich ein Führer der sozialdemokratischen Partei, so würde ich das ganze
Vermögen der Partei in Arbeiterhäusern anlegen, in der Stadt und auf dem
Lande, in Einfamilienhäusern, worin die Leute bei ehrlicher Zahlung der Miete
in Wahrheit Eigentümer wären. Diese Leute würden Fanatiker der Partei
werden. Denn ich kann mir nichts denken, was mit solcher Dankbarkeit an¬
genommen würde. Aber warum sollten sich nicht auch die Regierenden diese
Dankbarkeit verdienen können?


Tagelöhnerhäuser

hätte dann ein Ende. Die Leute hätten eine Heimat, die sie sich schmücken
könnten. Auch die erwachsenen Kinder hätten dann ein Elternhaus und glichen
nicht der Spatzenbrut, die, wenn sie flügge geworden ist, aus dem Nest ge¬
worfen wird. Den Herren müßte das Recht bleiben, wenn sie Lust haben, in
die alten Tagelöhnerhäuser beliebige Familien einzusetzen. Sonst würden sie
die Bedienten des Arbeiters sein. Aber viel Gebrauch würden sie davon nicht
machen. Es würde das sehr bald nur eine Hilfe in der Not werden. Im
ganzen genommen würde die Arbeiterbevölkerung in den neuen Häusern so viel
arbeiten wie in den alten. Freilich würde die materielle Macht der Guts¬
herren über diese Arbeiter verringert. Einige Gewaltherrscher würden sich
schlechter dabei stehn. Die meisten aber würden auch so mit deu Leuten aus¬
kommen, denn die Verhältnisse würden dadurch ja nur denen im Westen ähn¬
licher gemacht werden. Im ganzen, glaube ich, würden die Herren besser be¬
dient werden als jetzt in den Zeiten des Russenimports und -exports. Der
Arbeiterbedarf wäre besser gedeckt, als er jetzt ist; denn wir erwarten ja eben
von der Neuerung, daß sich tüchtige Leute halten lassen.

Freilich eine Rute muß für die Leute da sein. Denn wenn es dazu
kommen sollte, daß auf diesem Wege die Gutsherren keine Arbeiter bekämen,
sondern nur Arbeiter los würden, so würde die Neuerung bald zum Stillstand
kommen. Aber dafür sind ja die siebzig bis achtzig Mark Miete da, die die
Arbeiter jährlich verdienen müssen, wenn sie nicht an die Luft gesetzt werden
wollen; scheinbar würden sich diese Mieter zunächst gegen die Tagelöhner mit
freier Wohnung sogar schlechter stehn; aber trotzdem glaube ich, daß es nicht
an Mietern fehlen würde. Auch könnten die Herren weiterhin einen jährlichen
Kontrakt machen und die Zahlung der Hauptgeldsumme gegen das Ende der
Kontraktszeit verlegen. Daß die Bewohner dieser Arbeiterhäuser zu einem
arbeitslosen Proletariat würden, braucht man nicht zu fürchten. Dazu ist der
Mangel an Arbeitern auf dem Laude zu groß. Überflüssige Häuser würden
leer stehn. Durch ihre eigne kleine Wirtschaft könnten die Leute im Gegenteil
zu Wohlstand kommen. Das fahrende Volk aus Posen, Rußland und Galizien
ist jedoch wirklich nur Proletariat, wie wir es armseliger nicht haben. Daß
sie in diesen Häusern Ränberkolonien bilden würden, eine Ansicht, die auf der
Versammlung des Vereins für Wohlfahrtspflege auf dem Lande ausgesprochen
wurde, brauchen wir von der Mehrzahl unsrer Arbeiter nicht zu befürchten.
Wäre ich ein Führer der sozialdemokratischen Partei, so würde ich das ganze
Vermögen der Partei in Arbeiterhäusern anlegen, in der Stadt und auf dem
Lande, in Einfamilienhäusern, worin die Leute bei ehrlicher Zahlung der Miete
in Wahrheit Eigentümer wären. Diese Leute würden Fanatiker der Partei
werden. Denn ich kann mir nichts denken, was mit solcher Dankbarkeit an¬
genommen würde. Aber warum sollten sich nicht auch die Regierenden diese
Dankbarkeit verdienen können?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/126>, abgerufen am 20.10.2024.