Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Litterarisches Leben am Rhein Gottfried Kinkel bezeichnet sich vorzugsweise als "rheinischen Mann." Es ist ein glänzender Stern der deutschen Litteraturgeschichte, der aus diesem In dem Mockelschen Hause zu Bonn auf der Josephstraße versammelten Litterarisches Leben am Rhein Gottfried Kinkel bezeichnet sich vorzugsweise als „rheinischen Mann." Es ist ein glänzender Stern der deutschen Litteraturgeschichte, der aus diesem In dem Mockelschen Hause zu Bonn auf der Josephstraße versammelten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230533"/> <fw type="header" place="top"> Litterarisches Leben am Rhein</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_325"> Gottfried Kinkel bezeichnet sich vorzugsweise als „rheinischen Mann."<lb/> Dieser rheinische Mann sammelte mit seiner Frau Johanna einen rheinischen<lb/> Dichterkreis um sich, dem u. a. Karl Simrock, der Dichter des Rheinliedes<lb/> Nikolaus Becker, der Lyriker Alexander Kaufmann, der farbenprächtige Lyriker<lb/> und Epiker Karl Arnold Schlönbach angehörten. Aber auch die Westfalen<lb/> Ferdinand Freiligrath und Lewin Schücking traten diesem Kreise mit Wolfgang<lb/> Müller und Gustav Pfarrins näher, und in herzlicher Freundschaft mit dem<lb/> Kreise verlebte der aus Griechenland zurückgekehrte Lübecker Emanuel Geibel<lb/> in fröhlichen Dichtertränmen den Sommer 1843 zu Se. Goar am Rhein.</p><lb/> <p xml:id="ID_326"> Es ist ein glänzender Stern der deutschen Litteraturgeschichte, der aus diesem<lb/> Kreise hervorgegangen ist. Wir wollen es daher versuchen, das Leben und<lb/> Streben seiner Mitglieder näher zu beleuchten. Wir haben uns dieser Auf¬<lb/> gabe um so lieber unterzogen, als uns von einigen noch lebenden Mitgliedern<lb/> des Bundes manche interessante Mitteilung freundlichst zur Verfügung gestellt<lb/> worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_327"> In dem Mockelschen Hause zu Bonn auf der Josephstraße versammelten<lb/> sich Sonntags morgens die Mitglieder des vorhin geschilderten Gesangvereins,<lb/> um dort bis zur Mittagszeit unter Johanna Mockels Leitung zu üben. Kinkel<lb/> fehlte nie bei diesen Proben und brachte hin und wieder auch seine Freunde<lb/> mit. Die Art und Weise, wie Johanna Geist und Leben in die Musik zu<lb/> legen verstand, regte die Freunde an, an bestimmten Abenden Dramen mit<lb/> verteilten Rollen zu lesen. Mit Shakespeare wurde begonnen. Aus diesem<lb/> litterarischen Kränzchen sollte unter der Patenschaft Johannas der „Maikäfer¬<lb/> bund" hervorgehn. Der Biograph Kinkels, Adolf Strodtmann, bezeichnet als<lb/> den Gründungstag die letzte Juniwoche des Jahres 1840. Es war am Peter-<lb/> und Paulstag, als der kleine Kreis im heitersten Gespräche war. Man be¬<lb/> dauerte, daß so manche geistreiche Bemerkung verloren ginge, und daß man so<lb/> manche Witze am liebsten schwarz auf weiß hätte. Kinkel erzählte von einer<lb/> Bierzeitung aus seiner Studentenzeit, Johanna von dem durch Bettina in<lb/> Berlin gegründeten „Lindenblatt," nahm, das Wort zur That machend, einen<lb/> grünen Bogen Papier zur Hand mit den Worten: „Wie nennen wir das<lb/> Blatt? »Der Maikäfer« soll es heißen! Eine Zeitschrift für NichtPhilister."<lb/> So entstand der Maiküferbuud. Man einigte sich bald, sich an jedem Dienstag¬<lb/> abend zu versammeln, um die auf grünem, mit dem Bilde eines Maikäfers<lb/> am Kopfe geschmückten Papiere niedergeschriebnen Beiträge zu lesen. Das ganze<lb/> Unternehmen sollte einzig den Zweck haben, einem engern Freundeskreise wöchent¬<lb/> lich einen heitern und genußreichen Abend zu verschaffen und den Mitgliedern<lb/> Gelegenheit zu geben, ihre Schöpfungen der Kritik eines wohlwollenden Kreises<lb/> zu unterwerfen. Der eigentliche Schriftleiter und die Seele des Bundes war<lb/> Kinkel; Johanna war „die Königin" oder „Direktrix"; sämtliche Mitglieder<lb/> hatten Spitznamen: Kinkel—Wolterwurm; Alexander Kaufmann—Rosenkäfer;<lb/> Beyschlag—Balder; Johanna—Nachtigall usw. Die Tendenz des Blattes<lb/> sprach Kinkel in dem Eingangssonett aus:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_6" type="poem"> <l/> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Litterarisches Leben am Rhein
Gottfried Kinkel bezeichnet sich vorzugsweise als „rheinischen Mann."
Dieser rheinische Mann sammelte mit seiner Frau Johanna einen rheinischen
Dichterkreis um sich, dem u. a. Karl Simrock, der Dichter des Rheinliedes
Nikolaus Becker, der Lyriker Alexander Kaufmann, der farbenprächtige Lyriker
und Epiker Karl Arnold Schlönbach angehörten. Aber auch die Westfalen
Ferdinand Freiligrath und Lewin Schücking traten diesem Kreise mit Wolfgang
Müller und Gustav Pfarrins näher, und in herzlicher Freundschaft mit dem
Kreise verlebte der aus Griechenland zurückgekehrte Lübecker Emanuel Geibel
in fröhlichen Dichtertränmen den Sommer 1843 zu Se. Goar am Rhein.
Es ist ein glänzender Stern der deutschen Litteraturgeschichte, der aus diesem
Kreise hervorgegangen ist. Wir wollen es daher versuchen, das Leben und
Streben seiner Mitglieder näher zu beleuchten. Wir haben uns dieser Auf¬
gabe um so lieber unterzogen, als uns von einigen noch lebenden Mitgliedern
des Bundes manche interessante Mitteilung freundlichst zur Verfügung gestellt
worden ist.
In dem Mockelschen Hause zu Bonn auf der Josephstraße versammelten
sich Sonntags morgens die Mitglieder des vorhin geschilderten Gesangvereins,
um dort bis zur Mittagszeit unter Johanna Mockels Leitung zu üben. Kinkel
fehlte nie bei diesen Proben und brachte hin und wieder auch seine Freunde
mit. Die Art und Weise, wie Johanna Geist und Leben in die Musik zu
legen verstand, regte die Freunde an, an bestimmten Abenden Dramen mit
verteilten Rollen zu lesen. Mit Shakespeare wurde begonnen. Aus diesem
litterarischen Kränzchen sollte unter der Patenschaft Johannas der „Maikäfer¬
bund" hervorgehn. Der Biograph Kinkels, Adolf Strodtmann, bezeichnet als
den Gründungstag die letzte Juniwoche des Jahres 1840. Es war am Peter-
und Paulstag, als der kleine Kreis im heitersten Gespräche war. Man be¬
dauerte, daß so manche geistreiche Bemerkung verloren ginge, und daß man so
manche Witze am liebsten schwarz auf weiß hätte. Kinkel erzählte von einer
Bierzeitung aus seiner Studentenzeit, Johanna von dem durch Bettina in
Berlin gegründeten „Lindenblatt," nahm, das Wort zur That machend, einen
grünen Bogen Papier zur Hand mit den Worten: „Wie nennen wir das
Blatt? »Der Maikäfer« soll es heißen! Eine Zeitschrift für NichtPhilister."
So entstand der Maiküferbuud. Man einigte sich bald, sich an jedem Dienstag¬
abend zu versammeln, um die auf grünem, mit dem Bilde eines Maikäfers
am Kopfe geschmückten Papiere niedergeschriebnen Beiträge zu lesen. Das ganze
Unternehmen sollte einzig den Zweck haben, einem engern Freundeskreise wöchent¬
lich einen heitern und genußreichen Abend zu verschaffen und den Mitgliedern
Gelegenheit zu geben, ihre Schöpfungen der Kritik eines wohlwollenden Kreises
zu unterwerfen. Der eigentliche Schriftleiter und die Seele des Bundes war
Kinkel; Johanna war „die Königin" oder „Direktrix"; sämtliche Mitglieder
hatten Spitznamen: Kinkel—Wolterwurm; Alexander Kaufmann—Rosenkäfer;
Beyschlag—Balder; Johanna—Nachtigall usw. Die Tendenz des Blattes
sprach Kinkel in dem Eingangssonett aus:
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