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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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ausübten, der Nihilismus aber mit allen Mitteln bekämpft werde.") Damit
war die Spannung, die zum Kriege zu fuhren drohte, zunächst gelöst.

So hatte Fürst Bismarck sachlich seinen Willen durchgesetzt, Kaiser
Wilhelm aber es erreicht, daß den Traditionen, an denen sein Herz hing, und den
freundschaftlichen Empfindungen für seinen Neffen insofern Rücksicht getragen
wurde, als er die in dem Bündnis liegende Spitze gegen Rußland möglichst
verhüllte und es ganz von Rußlands Haltung abhängig machte, ob sie jemals
hervortreten sollte oder nicht. Für das Verhältnis zwischen Kaiser und
Kanzler, zweier in ihrer Art gleich charakterstarken Naturen, das sich in fort¬
währenden Konflikten und Ausgleichungen bewegte und bewegen mußte, kann
nichts bezeichnender, für die Empfindungen des unbefangnen Betrachters nichts
ergreifender sein, als diese Vorgeschichte des deutsch-österreichischen Bündnisses
von 1879.""°)

Die Ausgestaltung des Zmeibundes zum mitteleuropäischen Dreibunde
kam erst mehrere Jahre nachher durch den Veitritt Italiens am 2. Januar
1883 zu stände. Denn zu der Zeit, als der deutsch-österreichische Vertrag
abgeschlossen wurde, und noch später hatte Fürst Bismarck zwar wohl den
Wunsch, das Königreich als Bundesgenossen zu gewinnen und in Gastein 1879
dem italienischen Ministerpräsidenten Cairoli auch wohl angedeutet, daß Italien
als dritter im Vnnde willkommen sei, aber unter diesem radikalen Ministerium,""")
dem ersten König Hunderts (seit 1878), an dessen Stelle erst am 17. Mai
1881 das Kabinett Depretis-Maneini trat, erschien Italien dem deutscheu
Reichskanzler keineswegs als eine friedliebende und konservative Macht. In
einem Briefe, an den Prinzen Reuß aus Varzin vom 28. Jcninar 1880 sprach
er die Meinung aus, von der der Botschafter in Wien gelegentlich und vor¬
sichtig Gebrauch machen sollte, die österreichische Regierung möge, da die
italienische Regierung die Jrredeuta zwar nicht gerade fördere, aber doch ge¬
währen lasse, die Vereine und die Presse in Österreich, die ein Interesse an
der Wiederherstellung des Kirchenstaats und des Königreichs Neapel hätten,
etwas mehr zu Wort kommen lassen, um Italien gewissermaßen in die Ver¬
teidigung zu drängen, auch im deutschen Juteresse. Denn die gegenwärtige
Haltung Italiens erschien ihm als eine konstante Ermutigung für die Kriegs¬
partei in Rußland. Seit Jahr und Tag habe er den Eindruck, daß Italien
geneigt sei, sich einer russischen Kriegspolitik zur Verfügung zu stellen, wenn
ihm Lcmdgewin" und adriatische Küste dafür geboten würden. Die Be-





") H, Kohl, Wegweiser 180 ff.
"") Kurz hat darüber der Fürst einmal dein süddeutschen Abgeordneten von Hölder
erzählt, Poschinger, Neue Tischgespräche und Interviews II, 100f. Fürst Bismarck und die
Parlamentarier III, "> f.
Benedetto Cairoli war ein alter Mnzzimst und Gnribaldinncr, einer der vergötterten
"Tausend von Marsaln/'
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Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von ^8?9

ausübten, der Nihilismus aber mit allen Mitteln bekämpft werde.") Damit
war die Spannung, die zum Kriege zu fuhren drohte, zunächst gelöst.

So hatte Fürst Bismarck sachlich seinen Willen durchgesetzt, Kaiser
Wilhelm aber es erreicht, daß den Traditionen, an denen sein Herz hing, und den
freundschaftlichen Empfindungen für seinen Neffen insofern Rücksicht getragen
wurde, als er die in dem Bündnis liegende Spitze gegen Rußland möglichst
verhüllte und es ganz von Rußlands Haltung abhängig machte, ob sie jemals
hervortreten sollte oder nicht. Für das Verhältnis zwischen Kaiser und
Kanzler, zweier in ihrer Art gleich charakterstarken Naturen, das sich in fort¬
währenden Konflikten und Ausgleichungen bewegte und bewegen mußte, kann
nichts bezeichnender, für die Empfindungen des unbefangnen Betrachters nichts
ergreifender sein, als diese Vorgeschichte des deutsch-österreichischen Bündnisses
von 1879.""°)

Die Ausgestaltung des Zmeibundes zum mitteleuropäischen Dreibunde
kam erst mehrere Jahre nachher durch den Veitritt Italiens am 2. Januar
1883 zu stände. Denn zu der Zeit, als der deutsch-österreichische Vertrag
abgeschlossen wurde, und noch später hatte Fürst Bismarck zwar wohl den
Wunsch, das Königreich als Bundesgenossen zu gewinnen und in Gastein 1879
dem italienischen Ministerpräsidenten Cairoli auch wohl angedeutet, daß Italien
als dritter im Vnnde willkommen sei, aber unter diesem radikalen Ministerium,""")
dem ersten König Hunderts (seit 1878), an dessen Stelle erst am 17. Mai
1881 das Kabinett Depretis-Maneini trat, erschien Italien dem deutscheu
Reichskanzler keineswegs als eine friedliebende und konservative Macht. In
einem Briefe, an den Prinzen Reuß aus Varzin vom 28. Jcninar 1880 sprach
er die Meinung aus, von der der Botschafter in Wien gelegentlich und vor¬
sichtig Gebrauch machen sollte, die österreichische Regierung möge, da die
italienische Regierung die Jrredeuta zwar nicht gerade fördere, aber doch ge¬
währen lasse, die Vereine und die Presse in Österreich, die ein Interesse an
der Wiederherstellung des Kirchenstaats und des Königreichs Neapel hätten,
etwas mehr zu Wort kommen lassen, um Italien gewissermaßen in die Ver¬
teidigung zu drängen, auch im deutschen Juteresse. Denn die gegenwärtige
Haltung Italiens erschien ihm als eine konstante Ermutigung für die Kriegs¬
partei in Rußland. Seit Jahr und Tag habe er den Eindruck, daß Italien
geneigt sei, sich einer russischen Kriegspolitik zur Verfügung zu stellen, wenn
ihm Lcmdgewin» und adriatische Küste dafür geboten würden. Die Be-





") H, Kohl, Wegweiser 180 ff.
««) Kurz hat darüber der Fürst einmal dein süddeutschen Abgeordneten von Hölder
erzählt, Poschinger, Neue Tischgespräche und Interviews II, 100f. Fürst Bismarck und die
Parlamentarier III, «> f.
Benedetto Cairoli war ein alter Mnzzimst und Gnribaldinncr, einer der vergötterten
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[0593] Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von ^8?9 ausübten, der Nihilismus aber mit allen Mitteln bekämpft werde.") Damit war die Spannung, die zum Kriege zu fuhren drohte, zunächst gelöst. So hatte Fürst Bismarck sachlich seinen Willen durchgesetzt, Kaiser Wilhelm aber es erreicht, daß den Traditionen, an denen sein Herz hing, und den freundschaftlichen Empfindungen für seinen Neffen insofern Rücksicht getragen wurde, als er die in dem Bündnis liegende Spitze gegen Rußland möglichst verhüllte und es ganz von Rußlands Haltung abhängig machte, ob sie jemals hervortreten sollte oder nicht. Für das Verhältnis zwischen Kaiser und Kanzler, zweier in ihrer Art gleich charakterstarken Naturen, das sich in fort¬ währenden Konflikten und Ausgleichungen bewegte und bewegen mußte, kann nichts bezeichnender, für die Empfindungen des unbefangnen Betrachters nichts ergreifender sein, als diese Vorgeschichte des deutsch-österreichischen Bündnisses von 1879.""°) Die Ausgestaltung des Zmeibundes zum mitteleuropäischen Dreibunde kam erst mehrere Jahre nachher durch den Veitritt Italiens am 2. Januar 1883 zu stände. Denn zu der Zeit, als der deutsch-österreichische Vertrag abgeschlossen wurde, und noch später hatte Fürst Bismarck zwar wohl den Wunsch, das Königreich als Bundesgenossen zu gewinnen und in Gastein 1879 dem italienischen Ministerpräsidenten Cairoli auch wohl angedeutet, daß Italien als dritter im Vnnde willkommen sei, aber unter diesem radikalen Ministerium,""") dem ersten König Hunderts (seit 1878), an dessen Stelle erst am 17. Mai 1881 das Kabinett Depretis-Maneini trat, erschien Italien dem deutscheu Reichskanzler keineswegs als eine friedliebende und konservative Macht. In einem Briefe, an den Prinzen Reuß aus Varzin vom 28. Jcninar 1880 sprach er die Meinung aus, von der der Botschafter in Wien gelegentlich und vor¬ sichtig Gebrauch machen sollte, die österreichische Regierung möge, da die italienische Regierung die Jrredeuta zwar nicht gerade fördere, aber doch ge¬ währen lasse, die Vereine und die Presse in Österreich, die ein Interesse an der Wiederherstellung des Kirchenstaats und des Königreichs Neapel hätten, etwas mehr zu Wort kommen lassen, um Italien gewissermaßen in die Ver¬ teidigung zu drängen, auch im deutschen Juteresse. Denn die gegenwärtige Haltung Italiens erschien ihm als eine konstante Ermutigung für die Kriegs¬ partei in Rußland. Seit Jahr und Tag habe er den Eindruck, daß Italien geneigt sei, sich einer russischen Kriegspolitik zur Verfügung zu stellen, wenn ihm Lcmdgewin» und adriatische Küste dafür geboten würden. Die Be- ") H, Kohl, Wegweiser 180 ff. ««) Kurz hat darüber der Fürst einmal dein süddeutschen Abgeordneten von Hölder erzählt, Poschinger, Neue Tischgespräche und Interviews II, 100f. Fürst Bismarck und die Parlamentarier III, «> f. Benedetto Cairoli war ein alter Mnzzimst und Gnribaldinncr, einer der vergötterten „Tausend von Marsaln/' Grenzboten 1 18W 7 >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/593>, abgerufen am 23.07.2024.