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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Potemkins Dörfer

von Georg Ebers, Epen von Julius Wolff ähnlich Mode wciren -- und heute?
Jffland und Kotzebue herrschten auf der Bühne, als sich Schiller, Goethe und
Kleist mühsam ein bescheidnes Plätzchen erobern mußten. Die geschichtliche
Erfahrung spricht nicht dafür, den schwindelerregenden Tageserfolg als Wert¬
maß eines Kunstwerks gelten zu lassen. Im allgemeinen haben die Modewcrke
ihren Lohn dahin.

Für die ruhige Fortentwicklung des künstlerischen Realismus erwächst
sogar aus diesem einseitigen Vorschieben des einen Modenaturalisten eine ernste
Gefahr, wie denn auch die Entwicklung fast aller andern jüngern Realisten
durch die Erfolgsmache für den einen Modegötzen gehemmt erscheint. Der
Realismus gerät aus der künstlerischen, geistvollen Spiegelung der Wirklichkeit
in eine mechanische, geistlose Nachzeichnung, die die Äußerlichkeiten als Selbst¬
zweck, die innern Voraussetzungen und Wirkungen als gleichgiltig oder doch
nebensächlich behandelt. Und die realistischen Dramatiker, die auf eignen
Wegen zu der Linie vordringen, wo sich Natur und Kunst aufs innigste be¬
rühren, werden von der Modeströmung beiseite geschoben: z. B. Halbe, Hart¬
leben u. a., die ja vielleicht im Gegensatz zu Hauptmann bisweilen mehr
wagen, als sie können, aber sogar ein gut Stück Naturfrische und Humor vor
ihm voraus haben. Gilt doch die ausschließliche Hauptmannschwärmerei nicht
sowohl einer bestimmten künstlerischen Überzeugung als vielmehr einer be¬
stimmten Person, die von einem die öffentliche Meinung vergewaltigenden
oder mindestens einschüchternden Konventikel in Gencralvertrieb genommen ist.

Der Verfasser dieser Zeilen glaubt zu solchen Erwägungen ein Recht zu
haben, denn er hat zuerst als Litterarhistoriker auf gewisse fruchtbare Keime
in der jüngstdeutschcn Litteraturbewegung zu einer Zeit hingewiesen, wo die
heutigen wissenschaftlichen Vorkämpfer Hauptmanns noch höhnisch beiseite
standen und sogar in ihrem wissenschaftlichen Hauptorgan diese bedingte Sym¬
pathie mit den Jüngsten ausdrücklich getadelt wurde. So liegt denn auch
unserm Protest gegen die rücksichtslose Großsprecherei dieser den Hauptmann¬
kultus betreibenden Klique alles eher als eine Voreingenommenheit gegen
Hauptmann zu Grunde: im Gegenteil bewahrt der Verfasser nur angenehme
Erinnerungen an seinen kurzen persönlichen Verkehr mit dem damals noch vor
Sonnenaufgang seines Ruhmes stehenden Dichter. Wodurch werden wir also
abgehalten, an der kritiklosen Huldigung vor Hauptmanns Werken und ins¬
besondre dem "Fuhrmann Herschel" teilzunehmen?

Mit diesem Stück soll die Naturtreue der Kunst ihren Gipfel erreicht
haben. Nun ja, es ist eine Art naturgetreuer Kopie des Menschen:


Potemkins Dörfer

von Georg Ebers, Epen von Julius Wolff ähnlich Mode wciren — und heute?
Jffland und Kotzebue herrschten auf der Bühne, als sich Schiller, Goethe und
Kleist mühsam ein bescheidnes Plätzchen erobern mußten. Die geschichtliche
Erfahrung spricht nicht dafür, den schwindelerregenden Tageserfolg als Wert¬
maß eines Kunstwerks gelten zu lassen. Im allgemeinen haben die Modewcrke
ihren Lohn dahin.

Für die ruhige Fortentwicklung des künstlerischen Realismus erwächst
sogar aus diesem einseitigen Vorschieben des einen Modenaturalisten eine ernste
Gefahr, wie denn auch die Entwicklung fast aller andern jüngern Realisten
durch die Erfolgsmache für den einen Modegötzen gehemmt erscheint. Der
Realismus gerät aus der künstlerischen, geistvollen Spiegelung der Wirklichkeit
in eine mechanische, geistlose Nachzeichnung, die die Äußerlichkeiten als Selbst¬
zweck, die innern Voraussetzungen und Wirkungen als gleichgiltig oder doch
nebensächlich behandelt. Und die realistischen Dramatiker, die auf eignen
Wegen zu der Linie vordringen, wo sich Natur und Kunst aufs innigste be¬
rühren, werden von der Modeströmung beiseite geschoben: z. B. Halbe, Hart¬
leben u. a., die ja vielleicht im Gegensatz zu Hauptmann bisweilen mehr
wagen, als sie können, aber sogar ein gut Stück Naturfrische und Humor vor
ihm voraus haben. Gilt doch die ausschließliche Hauptmannschwärmerei nicht
sowohl einer bestimmten künstlerischen Überzeugung als vielmehr einer be¬
stimmten Person, die von einem die öffentliche Meinung vergewaltigenden
oder mindestens einschüchternden Konventikel in Gencralvertrieb genommen ist.

Der Verfasser dieser Zeilen glaubt zu solchen Erwägungen ein Recht zu
haben, denn er hat zuerst als Litterarhistoriker auf gewisse fruchtbare Keime
in der jüngstdeutschcn Litteraturbewegung zu einer Zeit hingewiesen, wo die
heutigen wissenschaftlichen Vorkämpfer Hauptmanns noch höhnisch beiseite
standen und sogar in ihrem wissenschaftlichen Hauptorgan diese bedingte Sym¬
pathie mit den Jüngsten ausdrücklich getadelt wurde. So liegt denn auch
unserm Protest gegen die rücksichtslose Großsprecherei dieser den Hauptmann¬
kultus betreibenden Klique alles eher als eine Voreingenommenheit gegen
Hauptmann zu Grunde: im Gegenteil bewahrt der Verfasser nur angenehme
Erinnerungen an seinen kurzen persönlichen Verkehr mit dem damals noch vor
Sonnenaufgang seines Ruhmes stehenden Dichter. Wodurch werden wir also
abgehalten, an der kritiklosen Huldigung vor Hauptmanns Werken und ins¬
besondre dem „Fuhrmann Herschel" teilzunehmen?

Mit diesem Stück soll die Naturtreue der Kunst ihren Gipfel erreicht
haben. Nun ja, es ist eine Art naturgetreuer Kopie des Menschen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/550>, abgerufen am 23.07.2024.