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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Griimerungeu an Friedrichsruh

Auf meine Bemerkung, daß auch die Adjutanten unter der Laune ihres
Herrschers viel hätten leiden müssen, antwortete Bismcirck: "Der König von
Holland war eine gewaltthätige Natur und litt an großem Durst -- wahr¬
scheinlich ein russisches Erbstück; aber die armen, vielbeneideten Adjutanten
hatten nicht nur am holländischen Hofe mancherlei zu leiden, das kommt anderswo
auch vor. Selbst Friedrich Wilhelm III., sonst ein so leutseliger, milder
Herr, konnte gegen seine Umgebung ungerecht sein. Einst fuhr er mit einem
seiner Adjutanten -- der Name wurde genannt -- im Tiergarten spazieren;
da er sehr nachdenklich war und während der schon länger als eine Stunde
dauernden Fahrt kein Wort gesagt hatte, hielt es der Offizier für angebracht,
seinen Herrn durch ein Gespräch zu zerstreuen, und erlaubte sich eine Be¬
merkung über das prachtvolle Wetter. Da kam er aber schön an, denn als
Antwort hörte er nur die Worte: "Mundhalten, abwarten, bis gefragt werden."
Am folgenden Morgen wurde derselbe Herr zur Ausfahrt beföhle", saß aber
nun während der ganzen Fahrt mit zusammengebissenen Zähnen da, wie wenn
ihm ein Schloß vor den Mund gehängt wäre. Der König war diesesmal
guter Laune, wollte sich gern unterhalten und ärgerte sich über das Schweigen
seines Begleiters. Schließlich fuhr er ihn an: "Na, haben wohl ganze Nacht
gekneipt, Katzenjammer heute, können daher Ihren König nicht unterhalten, wie
sichs gehört!""

Fürst Bismcirck litt an neuralgischen Schmerzen und zog sich ziemlich früh
zurück, nachdem die Herrschaften aus der Nachbarschaft abgefahren waren; ich
blieb noch bis tief in die Nacht hinein mit einigen Herren zusammensitzen, die
ebenfalls Gastfreundschaft im Schlosse genossen. Natürlich drehte sich das
Gespräch um die Erlebnisse des Tages, und wir alle standen ganz unter dem
Eindruck von Bismarcks überwältigender Persönlichkeit. Die Herren, die zu
den nähern Freunden der fürstlichen Familie gehörten, konnten natürlich
mancherlei interessante Dinge erzählen und sprachen auch von der großen
Menge der täglich einlaufenden Zuschriften, die teilweise ganz wunderbare Zu¬
mutungen enthielten. Als Kuriosa wurden mir einige dieser Briefe vorgelegt,
von denen ich nur folgende erwähnen möchte: Die Witwe eines Tischlers, der
einen Apparat sür Verhütung des Lebendigbegrabenwerdens erfunden hat, bittet
um Unterstützung, damit sie auf diese Erfindung ein Patent erwerben kann;
ein Kurpfuscher, der irgend ein Mittel gegen Krankheiten geschickt hat, bittet
um Bestätigung, daß es mit Nutzen gebraucht ist. Ferner las ich einen Droh¬
brief aus München, etwa folgenden Inhalts:


Durchlaucht!

Sie haben gewagt, sich einige Tage in München aufzuhalten, und er¬
dreisteten sich sogar, unser Hofbrüuhaus zu besuchen! Wenn ich nicht Achtung
vor Ihrem hohen Alter gehabt hätte, dann würde ich Ihnen dort entgegen¬
getreten sein und Sie hinausgeworfen haben. Lassen Sie es sich aber nicht


Griimerungeu an Friedrichsruh

Auf meine Bemerkung, daß auch die Adjutanten unter der Laune ihres
Herrschers viel hätten leiden müssen, antwortete Bismcirck: „Der König von
Holland war eine gewaltthätige Natur und litt an großem Durst — wahr¬
scheinlich ein russisches Erbstück; aber die armen, vielbeneideten Adjutanten
hatten nicht nur am holländischen Hofe mancherlei zu leiden, das kommt anderswo
auch vor. Selbst Friedrich Wilhelm III., sonst ein so leutseliger, milder
Herr, konnte gegen seine Umgebung ungerecht sein. Einst fuhr er mit einem
seiner Adjutanten — der Name wurde genannt — im Tiergarten spazieren;
da er sehr nachdenklich war und während der schon länger als eine Stunde
dauernden Fahrt kein Wort gesagt hatte, hielt es der Offizier für angebracht,
seinen Herrn durch ein Gespräch zu zerstreuen, und erlaubte sich eine Be¬
merkung über das prachtvolle Wetter. Da kam er aber schön an, denn als
Antwort hörte er nur die Worte: »Mundhalten, abwarten, bis gefragt werden.«
Am folgenden Morgen wurde derselbe Herr zur Ausfahrt beföhle», saß aber
nun während der ganzen Fahrt mit zusammengebissenen Zähnen da, wie wenn
ihm ein Schloß vor den Mund gehängt wäre. Der König war diesesmal
guter Laune, wollte sich gern unterhalten und ärgerte sich über das Schweigen
seines Begleiters. Schließlich fuhr er ihn an: »Na, haben wohl ganze Nacht
gekneipt, Katzenjammer heute, können daher Ihren König nicht unterhalten, wie
sichs gehört!«"

Fürst Bismcirck litt an neuralgischen Schmerzen und zog sich ziemlich früh
zurück, nachdem die Herrschaften aus der Nachbarschaft abgefahren waren; ich
blieb noch bis tief in die Nacht hinein mit einigen Herren zusammensitzen, die
ebenfalls Gastfreundschaft im Schlosse genossen. Natürlich drehte sich das
Gespräch um die Erlebnisse des Tages, und wir alle standen ganz unter dem
Eindruck von Bismarcks überwältigender Persönlichkeit. Die Herren, die zu
den nähern Freunden der fürstlichen Familie gehörten, konnten natürlich
mancherlei interessante Dinge erzählen und sprachen auch von der großen
Menge der täglich einlaufenden Zuschriften, die teilweise ganz wunderbare Zu¬
mutungen enthielten. Als Kuriosa wurden mir einige dieser Briefe vorgelegt,
von denen ich nur folgende erwähnen möchte: Die Witwe eines Tischlers, der
einen Apparat sür Verhütung des Lebendigbegrabenwerdens erfunden hat, bittet
um Unterstützung, damit sie auf diese Erfindung ein Patent erwerben kann;
ein Kurpfuscher, der irgend ein Mittel gegen Krankheiten geschickt hat, bittet
um Bestätigung, daß es mit Nutzen gebraucht ist. Ferner las ich einen Droh¬
brief aus München, etwa folgenden Inhalts:


Durchlaucht!

Sie haben gewagt, sich einige Tage in München aufzuhalten, und er¬
dreisteten sich sogar, unser Hofbrüuhaus zu besuchen! Wenn ich nicht Achtung
vor Ihrem hohen Alter gehabt hätte, dann würde ich Ihnen dort entgegen¬
getreten sein und Sie hinausgeworfen haben. Lassen Sie es sich aber nicht


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[0528] Griimerungeu an Friedrichsruh Auf meine Bemerkung, daß auch die Adjutanten unter der Laune ihres Herrschers viel hätten leiden müssen, antwortete Bismcirck: „Der König von Holland war eine gewaltthätige Natur und litt an großem Durst — wahr¬ scheinlich ein russisches Erbstück; aber die armen, vielbeneideten Adjutanten hatten nicht nur am holländischen Hofe mancherlei zu leiden, das kommt anderswo auch vor. Selbst Friedrich Wilhelm III., sonst ein so leutseliger, milder Herr, konnte gegen seine Umgebung ungerecht sein. Einst fuhr er mit einem seiner Adjutanten — der Name wurde genannt — im Tiergarten spazieren; da er sehr nachdenklich war und während der schon länger als eine Stunde dauernden Fahrt kein Wort gesagt hatte, hielt es der Offizier für angebracht, seinen Herrn durch ein Gespräch zu zerstreuen, und erlaubte sich eine Be¬ merkung über das prachtvolle Wetter. Da kam er aber schön an, denn als Antwort hörte er nur die Worte: »Mundhalten, abwarten, bis gefragt werden.« Am folgenden Morgen wurde derselbe Herr zur Ausfahrt beföhle», saß aber nun während der ganzen Fahrt mit zusammengebissenen Zähnen da, wie wenn ihm ein Schloß vor den Mund gehängt wäre. Der König war diesesmal guter Laune, wollte sich gern unterhalten und ärgerte sich über das Schweigen seines Begleiters. Schließlich fuhr er ihn an: »Na, haben wohl ganze Nacht gekneipt, Katzenjammer heute, können daher Ihren König nicht unterhalten, wie sichs gehört!«" Fürst Bismcirck litt an neuralgischen Schmerzen und zog sich ziemlich früh zurück, nachdem die Herrschaften aus der Nachbarschaft abgefahren waren; ich blieb noch bis tief in die Nacht hinein mit einigen Herren zusammensitzen, die ebenfalls Gastfreundschaft im Schlosse genossen. Natürlich drehte sich das Gespräch um die Erlebnisse des Tages, und wir alle standen ganz unter dem Eindruck von Bismarcks überwältigender Persönlichkeit. Die Herren, die zu den nähern Freunden der fürstlichen Familie gehörten, konnten natürlich mancherlei interessante Dinge erzählen und sprachen auch von der großen Menge der täglich einlaufenden Zuschriften, die teilweise ganz wunderbare Zu¬ mutungen enthielten. Als Kuriosa wurden mir einige dieser Briefe vorgelegt, von denen ich nur folgende erwähnen möchte: Die Witwe eines Tischlers, der einen Apparat sür Verhütung des Lebendigbegrabenwerdens erfunden hat, bittet um Unterstützung, damit sie auf diese Erfindung ein Patent erwerben kann; ein Kurpfuscher, der irgend ein Mittel gegen Krankheiten geschickt hat, bittet um Bestätigung, daß es mit Nutzen gebraucht ist. Ferner las ich einen Droh¬ brief aus München, etwa folgenden Inhalts: Durchlaucht! Sie haben gewagt, sich einige Tage in München aufzuhalten, und er¬ dreisteten sich sogar, unser Hofbrüuhaus zu besuchen! Wenn ich nicht Achtung vor Ihrem hohen Alter gehabt hätte, dann würde ich Ihnen dort entgegen¬ getreten sein und Sie hinausgeworfen haben. Lassen Sie es sich aber nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/528>, abgerufen am 23.07.2024.