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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh

Flaschen zum Präsent. Das Getränk ist vorzüglich, und da haben Sie ein
Beispiel dafür, daß auch die Kasematten einer Festung unter Umständen ver¬
edelnd wirken können." Ich frage nach einer Anekdote, die ich einmal irgendwo
gelesen habe, worauf er mir erwidert: "Ja, die Geschichte ist wahr, aber sie
hat sich etwas anders zugetragen. Ich war während meines Frankfurter Auf¬
enthalts häufig im Taunus auf der Jagd und befand mich eines Tages mit
einem befreundeten Herrn, dem dicken ..... auf einem Berge, wo wir uns
gelagert hatten, um unser Frühstück zu verzehren. Ich hatte schon alles auf¬
gegessen, fühlte aber noch einen furchtbaren Hunger und überlegte, wie ich dem
dicken X wohl zwei prachtvolle Würste abnehmen könnte, die er neben sich
liegen hatte. Da sah ich vor uns in einiger Entfernung den Friedhof eines
Dörfchens, und weil ich wußte, daß der Dicke nichts sehen oder hören konnte,
was ihn an Sterben erinnerte, so blickte ich starr nach der Gegend des Kirch¬
hofs, bis mein Gefährte aufmerksam wurde und mich fragte. Als ich ihm
sagte: "Sehen Sie mal den schönen Kirchhof, er liegt so idyllisch, daß ich dort
wirklich einmal begraben sein möchte", da warf er hastig sein Essen beiseite,
indem er mich wutschnaubend anschrie: "Da habe Se mir mit Ihrer Quatscherei
den ganzen Appetit verdorbe, denn ich kann keinen Happe mehr esse!" Nun
ich hatte meinen Willen und verzehrte seelenvergnügt die beiden Würste, unter
fortwährendem Schimpfen des Dicken." Diese schöne Anekdote bringt uns auf
Jagdgeschichten, der Fürst erzählt Abenteuer aus Nußland und kommt auf
Sonntagsjäger zu spreche", die wohl selten Wild, aber mit großer Sicherheit
Menschen zu treffen verstünde"; auch Herr vou Stephan sei früher ein Nimrod
gewesen, vor dem man seine Beine habe in acht nehmen müssen, später Hütte
er freilich mit zunehmender Vornehmheit auch die Jagd besser erlernt. Er
fragt mich nach den Jagdverhältnissen meines Wohnorts, und ob ich im Winter
viel erlegt hätte. Auf meine Bemerkung, daß mir zwar einige Stück Rotwild
freigegeben worden seien, daß ich aber nicht geschossen hätte, weil das Wild
bei dem hohen Schnee immer vertraut an den Futterplützen gestanden hätte,
sieht er mich scharf an und sagt: "Bravo, das war recht, denn auch die Tiere
sind unsre Gäste, wenn wir sie bewirten, und ich kenne kein Gesetz, das mir
so heilig ist, wie das Gastrecht! Einst gab es einen Markgrafen Gero, der
sich um die Germanisierung der Mark große Verdienste erworben hatte; er soll
auch ein tapfrer Mann gewesen sein, aber ich habe ihn immer verabscheut,
denn er lud die wendischen Fürsten zu einem Gastmahl, um sie dann in seinem
eignen Hause zu erschlagen. Als es uns in Versailles einige Schwierigkeiten
machte, das Deutsche Reich zusammen zu bringen, da war ein hoher Herr,
der wollte von langen Verhandlungen nichts wissen und meinte: "Wir haben
ja die Macht." Aber da ging ich zu meinem alten Herrn und stellte ihm
vor, daß die deutschen Fürsten mit ihren Mannen unsre Gäste seien, die wir
gewissermaßen zum Kampf gegen den Erbfeind eingeladen hatten, und daß man


Erinnerungen an Friedrichsruh

Flaschen zum Präsent. Das Getränk ist vorzüglich, und da haben Sie ein
Beispiel dafür, daß auch die Kasematten einer Festung unter Umständen ver¬
edelnd wirken können." Ich frage nach einer Anekdote, die ich einmal irgendwo
gelesen habe, worauf er mir erwidert: „Ja, die Geschichte ist wahr, aber sie
hat sich etwas anders zugetragen. Ich war während meines Frankfurter Auf¬
enthalts häufig im Taunus auf der Jagd und befand mich eines Tages mit
einem befreundeten Herrn, dem dicken ..... auf einem Berge, wo wir uns
gelagert hatten, um unser Frühstück zu verzehren. Ich hatte schon alles auf¬
gegessen, fühlte aber noch einen furchtbaren Hunger und überlegte, wie ich dem
dicken X wohl zwei prachtvolle Würste abnehmen könnte, die er neben sich
liegen hatte. Da sah ich vor uns in einiger Entfernung den Friedhof eines
Dörfchens, und weil ich wußte, daß der Dicke nichts sehen oder hören konnte,
was ihn an Sterben erinnerte, so blickte ich starr nach der Gegend des Kirch¬
hofs, bis mein Gefährte aufmerksam wurde und mich fragte. Als ich ihm
sagte: »Sehen Sie mal den schönen Kirchhof, er liegt so idyllisch, daß ich dort
wirklich einmal begraben sein möchte«, da warf er hastig sein Essen beiseite,
indem er mich wutschnaubend anschrie: »Da habe Se mir mit Ihrer Quatscherei
den ganzen Appetit verdorbe, denn ich kann keinen Happe mehr esse!« Nun
ich hatte meinen Willen und verzehrte seelenvergnügt die beiden Würste, unter
fortwährendem Schimpfen des Dicken." Diese schöne Anekdote bringt uns auf
Jagdgeschichten, der Fürst erzählt Abenteuer aus Nußland und kommt auf
Sonntagsjäger zu spreche», die wohl selten Wild, aber mit großer Sicherheit
Menschen zu treffen verstünde»; auch Herr vou Stephan sei früher ein Nimrod
gewesen, vor dem man seine Beine habe in acht nehmen müssen, später Hütte
er freilich mit zunehmender Vornehmheit auch die Jagd besser erlernt. Er
fragt mich nach den Jagdverhältnissen meines Wohnorts, und ob ich im Winter
viel erlegt hätte. Auf meine Bemerkung, daß mir zwar einige Stück Rotwild
freigegeben worden seien, daß ich aber nicht geschossen hätte, weil das Wild
bei dem hohen Schnee immer vertraut an den Futterplützen gestanden hätte,
sieht er mich scharf an und sagt: „Bravo, das war recht, denn auch die Tiere
sind unsre Gäste, wenn wir sie bewirten, und ich kenne kein Gesetz, das mir
so heilig ist, wie das Gastrecht! Einst gab es einen Markgrafen Gero, der
sich um die Germanisierung der Mark große Verdienste erworben hatte; er soll
auch ein tapfrer Mann gewesen sein, aber ich habe ihn immer verabscheut,
denn er lud die wendischen Fürsten zu einem Gastmahl, um sie dann in seinem
eignen Hause zu erschlagen. Als es uns in Versailles einige Schwierigkeiten
machte, das Deutsche Reich zusammen zu bringen, da war ein hoher Herr,
der wollte von langen Verhandlungen nichts wissen und meinte: »Wir haben
ja die Macht.« Aber da ging ich zu meinem alten Herrn und stellte ihm
vor, daß die deutschen Fürsten mit ihren Mannen unsre Gäste seien, die wir
gewissermaßen zum Kampf gegen den Erbfeind eingeladen hatten, und daß man


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[0524] Erinnerungen an Friedrichsruh Flaschen zum Präsent. Das Getränk ist vorzüglich, und da haben Sie ein Beispiel dafür, daß auch die Kasematten einer Festung unter Umständen ver¬ edelnd wirken können." Ich frage nach einer Anekdote, die ich einmal irgendwo gelesen habe, worauf er mir erwidert: „Ja, die Geschichte ist wahr, aber sie hat sich etwas anders zugetragen. Ich war während meines Frankfurter Auf¬ enthalts häufig im Taunus auf der Jagd und befand mich eines Tages mit einem befreundeten Herrn, dem dicken ..... auf einem Berge, wo wir uns gelagert hatten, um unser Frühstück zu verzehren. Ich hatte schon alles auf¬ gegessen, fühlte aber noch einen furchtbaren Hunger und überlegte, wie ich dem dicken X wohl zwei prachtvolle Würste abnehmen könnte, die er neben sich liegen hatte. Da sah ich vor uns in einiger Entfernung den Friedhof eines Dörfchens, und weil ich wußte, daß der Dicke nichts sehen oder hören konnte, was ihn an Sterben erinnerte, so blickte ich starr nach der Gegend des Kirch¬ hofs, bis mein Gefährte aufmerksam wurde und mich fragte. Als ich ihm sagte: »Sehen Sie mal den schönen Kirchhof, er liegt so idyllisch, daß ich dort wirklich einmal begraben sein möchte«, da warf er hastig sein Essen beiseite, indem er mich wutschnaubend anschrie: »Da habe Se mir mit Ihrer Quatscherei den ganzen Appetit verdorbe, denn ich kann keinen Happe mehr esse!« Nun ich hatte meinen Willen und verzehrte seelenvergnügt die beiden Würste, unter fortwährendem Schimpfen des Dicken." Diese schöne Anekdote bringt uns auf Jagdgeschichten, der Fürst erzählt Abenteuer aus Nußland und kommt auf Sonntagsjäger zu spreche», die wohl selten Wild, aber mit großer Sicherheit Menschen zu treffen verstünde»; auch Herr vou Stephan sei früher ein Nimrod gewesen, vor dem man seine Beine habe in acht nehmen müssen, später Hütte er freilich mit zunehmender Vornehmheit auch die Jagd besser erlernt. Er fragt mich nach den Jagdverhältnissen meines Wohnorts, und ob ich im Winter viel erlegt hätte. Auf meine Bemerkung, daß mir zwar einige Stück Rotwild freigegeben worden seien, daß ich aber nicht geschossen hätte, weil das Wild bei dem hohen Schnee immer vertraut an den Futterplützen gestanden hätte, sieht er mich scharf an und sagt: „Bravo, das war recht, denn auch die Tiere sind unsre Gäste, wenn wir sie bewirten, und ich kenne kein Gesetz, das mir so heilig ist, wie das Gastrecht! Einst gab es einen Markgrafen Gero, der sich um die Germanisierung der Mark große Verdienste erworben hatte; er soll auch ein tapfrer Mann gewesen sein, aber ich habe ihn immer verabscheut, denn er lud die wendischen Fürsten zu einem Gastmahl, um sie dann in seinem eignen Hause zu erschlagen. Als es uns in Versailles einige Schwierigkeiten machte, das Deutsche Reich zusammen zu bringen, da war ein hoher Herr, der wollte von langen Verhandlungen nichts wissen und meinte: »Wir haben ja die Macht.« Aber da ging ich zu meinem alten Herrn und stellte ihm vor, daß die deutschen Fürsten mit ihren Mannen unsre Gäste seien, die wir gewissermaßen zum Kampf gegen den Erbfeind eingeladen hatten, und daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/524>, abgerufen am 23.07.2024.