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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem (vberelsaß

vernachlässigen. Selbst die eleganteste Fabrikantenfrau von Mulhouse, die sich
nur in Paris kleidet, muß mit ihren Leuten das traute Alemannisch sprechen;
nur im Verkehr mit Altdeutschen leidet sie an Gedächtnisschwäche oder schämt
sich, daß sie sich bloß der Mundart der Bauern bedienen kann. Für die
Mädchen besteht eben leider keine Einjährigenprüfung, die für die besser ge¬
stellte männliche Jugend deutsche Bildung erzwingt. Also muß das VoUs-
schulgesetz Bestimmungen treffen, wodurch die elsüssischen Tochter dem Deutsch¬
tum erhalten werden und die französische Klostererziehung verhindert wird.

Die kleinern Industriestädte sind lediglich Abbilder ihrer eben geschilderten
Schwestern; nur daß hier die Rebbaucrn noch ein erfreuliches Gegengewicht
sind. In Gebweiler, wo in der Kirche der Unterstadt bloß für die paar Fa¬
milien der Industriellen, die natürlich Deutsche sind, ein französischer Gottes¬
dienst gehalten wird, wirkt es ergötzlich, das ausgebreitete Geschlecht der
Bourcart kennen zu lernen, das noch in diesem Jahrhundert den altfranzösischen
Namen Burkhardt führte. Auch hat sich der Fabrikant Müller als echter
Franzose in einen Mr. Müller verwandelt. In diesen Gebirgsstädtchen mit
immer wachsender Industrie ist die französische Strömung überhaupt erst nach
dem Kriege entstanden, da die Unternehmer erst mit zunehmendem Wohlstande
ihre französische Neigung als Zeichen ihrer steigenden sozialen Stellung ent¬
deckten. Ist dieses Frcmzosentum auch nur eine lächerliche Karikatur und ge¬
wissermaßen ein Mangel an wahrer Bildung, so ist der nationale Schaden
darum nicht weniger ernst zu nehmen, zumal da es sich um eine dauernde
Vermehrung dieser Elemente gerade unter der deutschen Herrschaft handelt.
Wie es scheint, schenkt aber die Regierung diesem Staats- und volksfeindlichen
Treiben leine genügende Beachtung. Bekanntlich hat Turenne den letzten Versuch
des alten Reiches, seine alemannische Mark zurückzugewinnen, bei Kolmar sieg¬
reich zurückgeschlagen. In Türkheim, wo sein Hauptquartier war, ist ein Platz
nach ihm benannt worden, wohl erst in diesem Jahrhundert, wie es in Geb¬
weiler eine Magentastraße giebt. Damals verbluteten im Reichsheer gerade
Elsässer unter den französischen Streichen, da ja die Reichsstädte erst zum Teil
in Ludwigs XIV. Hand gefallen waren. Bei Magenta waren es aber Elsasser,
die, wie immer in den napoleonischen Heeren, einen großen Teil der Streiter
ausmachten, die unter fremder Fahne fochten. Ist es der deutschen Gegenwart
der Reichslande würdig, solche Namen zu verewigen, deren einer sicherlich eine
deutsche Schande bedeutet? Nirgends finden sich Straßennamen, die auf die
Vefreiungsschlachten des letzten Krieges hinweisen. Nährt man nicht dadurch
den Glauben, als meine man durch die Erinnerung an diese stolzen Siege das
befreite Elsaß zu kränken, weil das Schicksal es so gefügt habe, daß die Landes-
kinder auf französischer Seite standen? Diese kleinen Züge sind zu lehrreich,
als daß man sie als scheinbar unbedeutende Äußerlichkeiten unberücksichtigt
lassen sollte. Das ganze Schauspiel des elsüssischen Franzosentums ist be-


Aus dem (vberelsaß

vernachlässigen. Selbst die eleganteste Fabrikantenfrau von Mulhouse, die sich
nur in Paris kleidet, muß mit ihren Leuten das traute Alemannisch sprechen;
nur im Verkehr mit Altdeutschen leidet sie an Gedächtnisschwäche oder schämt
sich, daß sie sich bloß der Mundart der Bauern bedienen kann. Für die
Mädchen besteht eben leider keine Einjährigenprüfung, die für die besser ge¬
stellte männliche Jugend deutsche Bildung erzwingt. Also muß das VoUs-
schulgesetz Bestimmungen treffen, wodurch die elsüssischen Tochter dem Deutsch¬
tum erhalten werden und die französische Klostererziehung verhindert wird.

Die kleinern Industriestädte sind lediglich Abbilder ihrer eben geschilderten
Schwestern; nur daß hier die Rebbaucrn noch ein erfreuliches Gegengewicht
sind. In Gebweiler, wo in der Kirche der Unterstadt bloß für die paar Fa¬
milien der Industriellen, die natürlich Deutsche sind, ein französischer Gottes¬
dienst gehalten wird, wirkt es ergötzlich, das ausgebreitete Geschlecht der
Bourcart kennen zu lernen, das noch in diesem Jahrhundert den altfranzösischen
Namen Burkhardt führte. Auch hat sich der Fabrikant Müller als echter
Franzose in einen Mr. Müller verwandelt. In diesen Gebirgsstädtchen mit
immer wachsender Industrie ist die französische Strömung überhaupt erst nach
dem Kriege entstanden, da die Unternehmer erst mit zunehmendem Wohlstande
ihre französische Neigung als Zeichen ihrer steigenden sozialen Stellung ent¬
deckten. Ist dieses Frcmzosentum auch nur eine lächerliche Karikatur und ge¬
wissermaßen ein Mangel an wahrer Bildung, so ist der nationale Schaden
darum nicht weniger ernst zu nehmen, zumal da es sich um eine dauernde
Vermehrung dieser Elemente gerade unter der deutschen Herrschaft handelt.
Wie es scheint, schenkt aber die Regierung diesem Staats- und volksfeindlichen
Treiben leine genügende Beachtung. Bekanntlich hat Turenne den letzten Versuch
des alten Reiches, seine alemannische Mark zurückzugewinnen, bei Kolmar sieg¬
reich zurückgeschlagen. In Türkheim, wo sein Hauptquartier war, ist ein Platz
nach ihm benannt worden, wohl erst in diesem Jahrhundert, wie es in Geb¬
weiler eine Magentastraße giebt. Damals verbluteten im Reichsheer gerade
Elsässer unter den französischen Streichen, da ja die Reichsstädte erst zum Teil
in Ludwigs XIV. Hand gefallen waren. Bei Magenta waren es aber Elsasser,
die, wie immer in den napoleonischen Heeren, einen großen Teil der Streiter
ausmachten, die unter fremder Fahne fochten. Ist es der deutschen Gegenwart
der Reichslande würdig, solche Namen zu verewigen, deren einer sicherlich eine
deutsche Schande bedeutet? Nirgends finden sich Straßennamen, die auf die
Vefreiungsschlachten des letzten Krieges hinweisen. Nährt man nicht dadurch
den Glauben, als meine man durch die Erinnerung an diese stolzen Siege das
befreite Elsaß zu kränken, weil das Schicksal es so gefügt habe, daß die Landes-
kinder auf französischer Seite standen? Diese kleinen Züge sind zu lehrreich,
als daß man sie als scheinbar unbedeutende Äußerlichkeiten unberücksichtigt
lassen sollte. Das ganze Schauspiel des elsüssischen Franzosentums ist be-


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[0487] Aus dem (vberelsaß vernachlässigen. Selbst die eleganteste Fabrikantenfrau von Mulhouse, die sich nur in Paris kleidet, muß mit ihren Leuten das traute Alemannisch sprechen; nur im Verkehr mit Altdeutschen leidet sie an Gedächtnisschwäche oder schämt sich, daß sie sich bloß der Mundart der Bauern bedienen kann. Für die Mädchen besteht eben leider keine Einjährigenprüfung, die für die besser ge¬ stellte männliche Jugend deutsche Bildung erzwingt. Also muß das VoUs- schulgesetz Bestimmungen treffen, wodurch die elsüssischen Tochter dem Deutsch¬ tum erhalten werden und die französische Klostererziehung verhindert wird. Die kleinern Industriestädte sind lediglich Abbilder ihrer eben geschilderten Schwestern; nur daß hier die Rebbaucrn noch ein erfreuliches Gegengewicht sind. In Gebweiler, wo in der Kirche der Unterstadt bloß für die paar Fa¬ milien der Industriellen, die natürlich Deutsche sind, ein französischer Gottes¬ dienst gehalten wird, wirkt es ergötzlich, das ausgebreitete Geschlecht der Bourcart kennen zu lernen, das noch in diesem Jahrhundert den altfranzösischen Namen Burkhardt führte. Auch hat sich der Fabrikant Müller als echter Franzose in einen Mr. Müller verwandelt. In diesen Gebirgsstädtchen mit immer wachsender Industrie ist die französische Strömung überhaupt erst nach dem Kriege entstanden, da die Unternehmer erst mit zunehmendem Wohlstande ihre französische Neigung als Zeichen ihrer steigenden sozialen Stellung ent¬ deckten. Ist dieses Frcmzosentum auch nur eine lächerliche Karikatur und ge¬ wissermaßen ein Mangel an wahrer Bildung, so ist der nationale Schaden darum nicht weniger ernst zu nehmen, zumal da es sich um eine dauernde Vermehrung dieser Elemente gerade unter der deutschen Herrschaft handelt. Wie es scheint, schenkt aber die Regierung diesem Staats- und volksfeindlichen Treiben leine genügende Beachtung. Bekanntlich hat Turenne den letzten Versuch des alten Reiches, seine alemannische Mark zurückzugewinnen, bei Kolmar sieg¬ reich zurückgeschlagen. In Türkheim, wo sein Hauptquartier war, ist ein Platz nach ihm benannt worden, wohl erst in diesem Jahrhundert, wie es in Geb¬ weiler eine Magentastraße giebt. Damals verbluteten im Reichsheer gerade Elsässer unter den französischen Streichen, da ja die Reichsstädte erst zum Teil in Ludwigs XIV. Hand gefallen waren. Bei Magenta waren es aber Elsasser, die, wie immer in den napoleonischen Heeren, einen großen Teil der Streiter ausmachten, die unter fremder Fahne fochten. Ist es der deutschen Gegenwart der Reichslande würdig, solche Namen zu verewigen, deren einer sicherlich eine deutsche Schande bedeutet? Nirgends finden sich Straßennamen, die auf die Vefreiungsschlachten des letzten Krieges hinweisen. Nährt man nicht dadurch den Glauben, als meine man durch die Erinnerung an diese stolzen Siege das befreite Elsaß zu kränken, weil das Schicksal es so gefügt habe, daß die Landes- kinder auf französischer Seite standen? Diese kleinen Züge sind zu lehrreich, als daß man sie als scheinbar unbedeutende Äußerlichkeiten unberücksichtigt lassen sollte. Das ganze Schauspiel des elsüssischen Franzosentums ist be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/487>, abgerufen am 23.07.2024.