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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsrich

getroffen, wovon ich gleich ein Pud kaufte, um ihn meinem alten Herrn als
Präsent zu schicken. Als ich mich später in Berlin erkundigte, ob die Sen¬
dung richtig eingetroffen war, da erfuhr ich denn, daß mein alter Herr von
diesem guten Kaviar überhaupt nichts bekommen habe, den hatte die Hofgesell¬
schaft allein aufgefressen." Auf die Bemerkung eines Herrn, ob denn so etwas
möglich sei, antwortete der Fürst, lebhaft mit den Händen winkend: "O noch
viel mehr!"

Während des Diners liegen die Hunde Tircis und Rebekka zu beiden
Seiten hart neben dem Stuhl des Hausherrn, der ihnen von Zeit zu Zeit
einen Bissen zuwirft. Tiras bekommt dabei infolge seiner Trägheit und Un-
beholfenheit wenig ab, während die behende Rebekka, bekanntlich eine Tochter
des ersten Tiras, des eigentlichen Neichshundes, durch elegante Luftsprünge
fast alle Bissen auffängt. Das veranlaßt den Fürsten zu der folgenden schon
bekannten Erzählung, die ich hier nochmals mit allen den köstlichen drastischen
Bemerkungen wiedergeben möchte, die ich bei andern Erzählern vermisse: "Der
Tiras ist mir als Geschenk meines alten Herr" lieb und wert, aber seinem
Vorgänger gleicht er wenig. Als mir der ältere Tiras infolge eines Unglücks-
falles eingegangen war, beauftragte mein kaiserlicher Herr den Staatsminister
von B. einen ganz gleichen Hund zu besorgen, den er mir zum Geburtstag
schenken wollte. Herr von B. verstand zwar gar nichts von Hunden, aber
mit dem ihm eigne" Selbstvertrauen übernahm er den Auftrag und führte
eines Tages dem Kaiser diesen Tiras vor, obwohl er damals am ganzen
Körper mit Schwären bedeckt war und -- wie mir später erzählt wurde --
vor Schwäche sein Hinterteil gar nicht vom Erdboden erheben konnte. Der
alte Herr verstand auch nichts davon, aber nachdem er das Tier von allen
Seiten mit seiner Lorgnette betrachtet hatte, erklärte er kopfschüttelnd: "Nein,
so können wir dem Fürsten den Hund nicht bringen, der ist ja krank und muß
erst kuriert werden!" Nachdem mein alter Herr schon 900 Mark für das
kranke Geschöpf bezahlt hatte, mußten für eine dreimonatige Pflege beim Tier¬
arzt noch einmal 600 Mark geblecht werden, sodciß also das kaiserliche Geschenk
schon 1500 Mark kostete. Als es mir nun durch einen Hofbeamten zum Ge¬
burtstag überbracht wurde, war ich zuerst ganz erstaunt über den zwar gut
herausgefütterten, aber noch immer kreuzlahmen Hund, und je länger ich ihn
betrachtete, um so mehr mußte ich lachen, und es kam mir der Gedanke: Du
möchtest wohl wissen, woher der Hund eigentlich stammt. Ich konnte nur er¬
fahren, daß er ans einer größern Handlung bezogen war; wo die ihn aber
her hatten, habe ich trotz aller Mühe und der mir zu Gebote stehenden Mittel
niemals herausbringen können, ich nehme also an, daß er gestohlen war. Na
Tiras -- sagte er darauf, den Hund streichelnd --, du kannst ja nichts dafür,
daß du einen solchen Kalbskopf hast und wahrscheinlich beim Stehlen lahm-
gcprügelt worden bist; als Geschenk meines kaiserlichen Herrn habe ich dich
doch lieb."


Erinnerungen an Friedrichsrich

getroffen, wovon ich gleich ein Pud kaufte, um ihn meinem alten Herrn als
Präsent zu schicken. Als ich mich später in Berlin erkundigte, ob die Sen¬
dung richtig eingetroffen war, da erfuhr ich denn, daß mein alter Herr von
diesem guten Kaviar überhaupt nichts bekommen habe, den hatte die Hofgesell¬
schaft allein aufgefressen." Auf die Bemerkung eines Herrn, ob denn so etwas
möglich sei, antwortete der Fürst, lebhaft mit den Händen winkend: „O noch
viel mehr!"

Während des Diners liegen die Hunde Tircis und Rebekka zu beiden
Seiten hart neben dem Stuhl des Hausherrn, der ihnen von Zeit zu Zeit
einen Bissen zuwirft. Tiras bekommt dabei infolge seiner Trägheit und Un-
beholfenheit wenig ab, während die behende Rebekka, bekanntlich eine Tochter
des ersten Tiras, des eigentlichen Neichshundes, durch elegante Luftsprünge
fast alle Bissen auffängt. Das veranlaßt den Fürsten zu der folgenden schon
bekannten Erzählung, die ich hier nochmals mit allen den köstlichen drastischen
Bemerkungen wiedergeben möchte, die ich bei andern Erzählern vermisse: „Der
Tiras ist mir als Geschenk meines alten Herr» lieb und wert, aber seinem
Vorgänger gleicht er wenig. Als mir der ältere Tiras infolge eines Unglücks-
falles eingegangen war, beauftragte mein kaiserlicher Herr den Staatsminister
von B. einen ganz gleichen Hund zu besorgen, den er mir zum Geburtstag
schenken wollte. Herr von B. verstand zwar gar nichts von Hunden, aber
mit dem ihm eigne» Selbstvertrauen übernahm er den Auftrag und führte
eines Tages dem Kaiser diesen Tiras vor, obwohl er damals am ganzen
Körper mit Schwären bedeckt war und — wie mir später erzählt wurde —
vor Schwäche sein Hinterteil gar nicht vom Erdboden erheben konnte. Der
alte Herr verstand auch nichts davon, aber nachdem er das Tier von allen
Seiten mit seiner Lorgnette betrachtet hatte, erklärte er kopfschüttelnd: »Nein,
so können wir dem Fürsten den Hund nicht bringen, der ist ja krank und muß
erst kuriert werden!« Nachdem mein alter Herr schon 900 Mark für das
kranke Geschöpf bezahlt hatte, mußten für eine dreimonatige Pflege beim Tier¬
arzt noch einmal 600 Mark geblecht werden, sodciß also das kaiserliche Geschenk
schon 1500 Mark kostete. Als es mir nun durch einen Hofbeamten zum Ge¬
burtstag überbracht wurde, war ich zuerst ganz erstaunt über den zwar gut
herausgefütterten, aber noch immer kreuzlahmen Hund, und je länger ich ihn
betrachtete, um so mehr mußte ich lachen, und es kam mir der Gedanke: Du
möchtest wohl wissen, woher der Hund eigentlich stammt. Ich konnte nur er¬
fahren, daß er ans einer größern Handlung bezogen war; wo die ihn aber
her hatten, habe ich trotz aller Mühe und der mir zu Gebote stehenden Mittel
niemals herausbringen können, ich nehme also an, daß er gestohlen war. Na
Tiras — sagte er darauf, den Hund streichelnd —, du kannst ja nichts dafür,
daß du einen solchen Kalbskopf hast und wahrscheinlich beim Stehlen lahm-
gcprügelt worden bist; als Geschenk meines kaiserlichen Herrn habe ich dich
doch lieb."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/468>, abgerufen am 23.07.2024.