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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Brauchen wir Handelshochschulen?

nicht giebt, so muß es geschaffen werden. Stubenweisheit, Dozentenkram und
Universitätsnachäfferei sind auf den praktischen Handelshochschulen nicht zu
brauchen!

Über das Programm läßt sich streiten. Ein Stündchen National-, oder
Sozialökvnomie per Woche wird nichts schaden. Aber das Hauptgewicht wird
zu legen sein auf die Darstellung der lebendigen, jetzt wirkenden Kräfte im
Handelsleben der verschiednen Nationen. Es müssen Lehrer vorhanden sein,
die an der Quelle Studien gemacht haben, wie z. B. die vor kurzem von Ost¬
asien zurückgekehrte Kommission. Wie die Männer der Wissenschaft ihre inter¬
nationalen Kongresse abhalten, so muß auf den Handelshochschulen das Ge¬
schäftsverfahren, die den Handel beeinflussenden und fördernden Verhältnisse
der ganzen Welt nicht von buchgelehrten, sondern von praktischen sachkundigen
Männern dargestellt werden. Ein vollkommner Ersatz für eigne Erfahrung wird
damit den Hörern freilich nicht gegeben; eigne Erfahrung wird durch nichts
ersetzt. Aber ein Vergleich der heimischen Verhältnisse und Geschäftspraktiken
mit denen andrer Völker wird den Hörern die Augen über das Warum
der überlieferten Geschäftsgrundsätze öffnen und die Sicherheit, die Gewandtheit
des deutschen Kaufmanns fördern. Es muß wiederholt werden: die bestündig
zunehmende, internationale Konkurrenz, die Vervollkommnung der Verkehrs¬
mittel steigern die Ansprüche an die Fertigkeiten und Kenntnisse der deutschen
Kaufleute unausgesetzt. Begrüßen wir es daher mit Freuden, wenn der Staat
einen Versuch machen will, der Ausbildung des Kaufmanns weitere Ziele zu
stecken, dessen Gesichtskreis zu erweitern und ihn zu lehren, weiter zu denken,
als die vier Wände seiner Geschäftsstube reichen. Eine mit erhöhter Bildung
verbundne größere Schärfe und Sicherheit des Urteils wird zu seinem
höchsten Nutzen sein. Die Wirkung der Handelshochschulen braucht deswegen
nicht sogleich einzutreten; es genügt, wenn sie sich in den nächsten Generationen
äußert.

Als kurze Schlußbemerkung sei noch darauf hingewiesen, daß derartige
Institute auch für die Ausbildung unsrer Konsuln sehr nützlich sein würden.
Es bringen heute noch so viele den grünen Tisch und den Aktenkultus von
Berlin mit nach den überseeischen Ländern.




Brauchen wir Handelshochschulen?

nicht giebt, so muß es geschaffen werden. Stubenweisheit, Dozentenkram und
Universitätsnachäfferei sind auf den praktischen Handelshochschulen nicht zu
brauchen!

Über das Programm läßt sich streiten. Ein Stündchen National-, oder
Sozialökvnomie per Woche wird nichts schaden. Aber das Hauptgewicht wird
zu legen sein auf die Darstellung der lebendigen, jetzt wirkenden Kräfte im
Handelsleben der verschiednen Nationen. Es müssen Lehrer vorhanden sein,
die an der Quelle Studien gemacht haben, wie z. B. die vor kurzem von Ost¬
asien zurückgekehrte Kommission. Wie die Männer der Wissenschaft ihre inter¬
nationalen Kongresse abhalten, so muß auf den Handelshochschulen das Ge¬
schäftsverfahren, die den Handel beeinflussenden und fördernden Verhältnisse
der ganzen Welt nicht von buchgelehrten, sondern von praktischen sachkundigen
Männern dargestellt werden. Ein vollkommner Ersatz für eigne Erfahrung wird
damit den Hörern freilich nicht gegeben; eigne Erfahrung wird durch nichts
ersetzt. Aber ein Vergleich der heimischen Verhältnisse und Geschäftspraktiken
mit denen andrer Völker wird den Hörern die Augen über das Warum
der überlieferten Geschäftsgrundsätze öffnen und die Sicherheit, die Gewandtheit
des deutschen Kaufmanns fördern. Es muß wiederholt werden: die bestündig
zunehmende, internationale Konkurrenz, die Vervollkommnung der Verkehrs¬
mittel steigern die Ansprüche an die Fertigkeiten und Kenntnisse der deutschen
Kaufleute unausgesetzt. Begrüßen wir es daher mit Freuden, wenn der Staat
einen Versuch machen will, der Ausbildung des Kaufmanns weitere Ziele zu
stecken, dessen Gesichtskreis zu erweitern und ihn zu lehren, weiter zu denken,
als die vier Wände seiner Geschäftsstube reichen. Eine mit erhöhter Bildung
verbundne größere Schärfe und Sicherheit des Urteils wird zu seinem
höchsten Nutzen sein. Die Wirkung der Handelshochschulen braucht deswegen
nicht sogleich einzutreten; es genügt, wenn sie sich in den nächsten Generationen
äußert.

Als kurze Schlußbemerkung sei noch darauf hingewiesen, daß derartige
Institute auch für die Ausbildung unsrer Konsuln sehr nützlich sein würden.
Es bringen heute noch so viele den grünen Tisch und den Aktenkultus von
Berlin mit nach den überseeischen Ländern.




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[0432] Brauchen wir Handelshochschulen? nicht giebt, so muß es geschaffen werden. Stubenweisheit, Dozentenkram und Universitätsnachäfferei sind auf den praktischen Handelshochschulen nicht zu brauchen! Über das Programm läßt sich streiten. Ein Stündchen National-, oder Sozialökvnomie per Woche wird nichts schaden. Aber das Hauptgewicht wird zu legen sein auf die Darstellung der lebendigen, jetzt wirkenden Kräfte im Handelsleben der verschiednen Nationen. Es müssen Lehrer vorhanden sein, die an der Quelle Studien gemacht haben, wie z. B. die vor kurzem von Ost¬ asien zurückgekehrte Kommission. Wie die Männer der Wissenschaft ihre inter¬ nationalen Kongresse abhalten, so muß auf den Handelshochschulen das Ge¬ schäftsverfahren, die den Handel beeinflussenden und fördernden Verhältnisse der ganzen Welt nicht von buchgelehrten, sondern von praktischen sachkundigen Männern dargestellt werden. Ein vollkommner Ersatz für eigne Erfahrung wird damit den Hörern freilich nicht gegeben; eigne Erfahrung wird durch nichts ersetzt. Aber ein Vergleich der heimischen Verhältnisse und Geschäftspraktiken mit denen andrer Völker wird den Hörern die Augen über das Warum der überlieferten Geschäftsgrundsätze öffnen und die Sicherheit, die Gewandtheit des deutschen Kaufmanns fördern. Es muß wiederholt werden: die bestündig zunehmende, internationale Konkurrenz, die Vervollkommnung der Verkehrs¬ mittel steigern die Ansprüche an die Fertigkeiten und Kenntnisse der deutschen Kaufleute unausgesetzt. Begrüßen wir es daher mit Freuden, wenn der Staat einen Versuch machen will, der Ausbildung des Kaufmanns weitere Ziele zu stecken, dessen Gesichtskreis zu erweitern und ihn zu lehren, weiter zu denken, als die vier Wände seiner Geschäftsstube reichen. Eine mit erhöhter Bildung verbundne größere Schärfe und Sicherheit des Urteils wird zu seinem höchsten Nutzen sein. Die Wirkung der Handelshochschulen braucht deswegen nicht sogleich einzutreten; es genügt, wenn sie sich in den nächsten Generationen äußert. Als kurze Schlußbemerkung sei noch darauf hingewiesen, daß derartige Institute auch für die Ausbildung unsrer Konsuln sehr nützlich sein würden. Es bringen heute noch so viele den grünen Tisch und den Aktenkultus von Berlin mit nach den überseeischen Ländern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/432>, abgerufen am 23.07.2024.