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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

fehlte, und daß alle weltliche und geistliche Macht in der Person des Kalifen,
des "Beherrschers der Gläubigen" vereinigt war.

Nachdem Muhammed die arabischen Stämme geeint hatte, besiegte schon
sein zweiter Nachfolger Omar (634 bis 644) Ostrom und Persien. Nach einem
Eroberungszuge, wie er seit Alexander nicht mehr gesehen worden war, dehnte
sich sein Reich vom Oxus bis zum afrikanischen Tripolis aus. Ihm folgen
in der Kalifenwürde die beiden Schwiegersöhne des Propheten, von denen der
ältere, Osman, durch den jüngern, Ali, ermordet wird. Moawija, der Statt¬
halter von Syrien, rächt den Ermordeten an dem Mörder und macht sich im
Jahre 661 selbst zum Kalifen. Er ist der Begründer der Omaijcidendynastie,
die nach ihrem Ursprung der Legitimität entbehrt. Wir haben erwähnt, daß
der Islam in seinem Wesen reiner Monotheismus ist. Natürlich vollzog sich
der Übergang zu einer geläuterten Religion hierbei ebenso wenig wie beim
Judentum und Christentum ohne heftige Kämpfe und mannigfache Rückschläge.
Von diesem Standpunkte aus kann man das Kalifat der Omaijaden als eine
Reaktion des heidnischen Arabertums gegen den Islam und seine asketische
Ausbildung ansehen, während zugleich in Persien durch die Beimischung per¬
sischer und indischer Neligionsvorstellungen die Sekte der Schiiten entsteht.
Der Weltsinn siegt über die strenge Frömmigkeit; am Hofe der Omaijaden
zu Damaskus ging es so ausgelassen zu, daß die altgläubige Richtung an
diesem Treiben ernsten Anstoß nahm. Die Eroberungen wurden fortgesetzt
-- Spanien wurde 711 erobert --, aber Unordnungen und Bestechungen
nahmen zu, und um die Mitte des achte" Jahrhunderts war das Reich mit
Empörung. Bürgerkrieg und Abfall erfüllt.

Da trat als Wiederhersteller der beleidigten Religion und als Rächer des
verletzten Nationalgefühls Abul Abbas auf, der Nachkomme eines Oheims des
Propheten Namens Abbas, und bemächtigte sich 750 der Herrschaft. Sein
Beiname: As-Sassas, der Blutvergießer, zeigt, wie er gegen die Mitglieder
der gestürzten Dynastie verfuhr, und welcher Mittel er sich zur Befestigung
seiner Herrschaft bediente. Sein Bruder und Nachfolger, Al-Manssur (754
bis 775), ist als der Organisator des abbassidischen Reichs anzusehen. Er ver¬
legte die Residenz nach Bagdad, an den mächtigen Strom an der Grenze
Persiens und Arabiens; es ist die Stätte, von der aus Vorderasien im ältesten
Altertum regiert worden ist, an der Seleucia in der Diadochenzeit und später
Ktesiphon. die Hauptstadt der Sassaniden, standen, die Gegend, in "der sich
die wichtigsten Straßen der Vergangenheit kreuzten, wie sich dort einst wieder
die Straßen der Zukunft kreuzen werden."*) Die höchste Blüte erreicht das
Reich der Abbassiden unter den Kalifen Harun al Raschid, dem Zeitgenossen
Karls des Großen, und Mamun (814 bis 833). Dieser ist der Begründer der



*) Aug. Müller, Die Beherrscher der Gläubigen, in der Virchow-Holtzendorffschen Samm¬
lung wissenschaftlicher Vortrage, i8W>
Islam und Zivilisation

fehlte, und daß alle weltliche und geistliche Macht in der Person des Kalifen,
des „Beherrschers der Gläubigen" vereinigt war.

Nachdem Muhammed die arabischen Stämme geeint hatte, besiegte schon
sein zweiter Nachfolger Omar (634 bis 644) Ostrom und Persien. Nach einem
Eroberungszuge, wie er seit Alexander nicht mehr gesehen worden war, dehnte
sich sein Reich vom Oxus bis zum afrikanischen Tripolis aus. Ihm folgen
in der Kalifenwürde die beiden Schwiegersöhne des Propheten, von denen der
ältere, Osman, durch den jüngern, Ali, ermordet wird. Moawija, der Statt¬
halter von Syrien, rächt den Ermordeten an dem Mörder und macht sich im
Jahre 661 selbst zum Kalifen. Er ist der Begründer der Omaijcidendynastie,
die nach ihrem Ursprung der Legitimität entbehrt. Wir haben erwähnt, daß
der Islam in seinem Wesen reiner Monotheismus ist. Natürlich vollzog sich
der Übergang zu einer geläuterten Religion hierbei ebenso wenig wie beim
Judentum und Christentum ohne heftige Kämpfe und mannigfache Rückschläge.
Von diesem Standpunkte aus kann man das Kalifat der Omaijaden als eine
Reaktion des heidnischen Arabertums gegen den Islam und seine asketische
Ausbildung ansehen, während zugleich in Persien durch die Beimischung per¬
sischer und indischer Neligionsvorstellungen die Sekte der Schiiten entsteht.
Der Weltsinn siegt über die strenge Frömmigkeit; am Hofe der Omaijaden
zu Damaskus ging es so ausgelassen zu, daß die altgläubige Richtung an
diesem Treiben ernsten Anstoß nahm. Die Eroberungen wurden fortgesetzt
— Spanien wurde 711 erobert —, aber Unordnungen und Bestechungen
nahmen zu, und um die Mitte des achte» Jahrhunderts war das Reich mit
Empörung. Bürgerkrieg und Abfall erfüllt.

Da trat als Wiederhersteller der beleidigten Religion und als Rächer des
verletzten Nationalgefühls Abul Abbas auf, der Nachkomme eines Oheims des
Propheten Namens Abbas, und bemächtigte sich 750 der Herrschaft. Sein
Beiname: As-Sassas, der Blutvergießer, zeigt, wie er gegen die Mitglieder
der gestürzten Dynastie verfuhr, und welcher Mittel er sich zur Befestigung
seiner Herrschaft bediente. Sein Bruder und Nachfolger, Al-Manssur (754
bis 775), ist als der Organisator des abbassidischen Reichs anzusehen. Er ver¬
legte die Residenz nach Bagdad, an den mächtigen Strom an der Grenze
Persiens und Arabiens; es ist die Stätte, von der aus Vorderasien im ältesten
Altertum regiert worden ist, an der Seleucia in der Diadochenzeit und später
Ktesiphon. die Hauptstadt der Sassaniden, standen, die Gegend, in „der sich
die wichtigsten Straßen der Vergangenheit kreuzten, wie sich dort einst wieder
die Straßen der Zukunft kreuzen werden."*) Die höchste Blüte erreicht das
Reich der Abbassiden unter den Kalifen Harun al Raschid, dem Zeitgenossen
Karls des Großen, und Mamun (814 bis 833). Dieser ist der Begründer der



*) Aug. Müller, Die Beherrscher der Gläubigen, in der Virchow-Holtzendorffschen Samm¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/380>, abgerufen am 03.07.2024.