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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

1623, Magdeburg 1626. Augsburg 1627, München 1628. Leipzig 1630.
Hamburg 1631. Königsberg 1648 eine Wochenzeitung. Man sieht, daß der
Rhein auch in dieser Beziehung den Vergleich mit andern Gegenden des
deutschen Vaterlands wohl aushalten kann. Heute hat die Rheinprovinz die
meisten Zeitungen in Preußen.

Wir stellen nun als Endergebnis unsrer Untersuchung folgendes fest:

1. Litterarische Bildung und litterarisches Leben, Sinn und Empfänglich¬
keit für die Litteratur kann nur nach dem Geiste und Geschmacke eines Zeit¬
alters beurteilt werden. Sie waren am Rhein zu keiner Zeit, auch nicht im
Mittelstande erloschen.

2. Da die rheinischen Städte zur Zeit der französischen Fremdherrschaft
von dem größten Teil ihrer gebildeten Bevölkerung verlassen waren, so trat
auch nur während dieser Zeit ein litterarischer Stillstand ein.

3. Im achtzehnten Jahrhundert ist in Stadt und Kurstaat Köln die deutsche
Sprache zu Gunsten der lateinischen Sprache und während der französischen
Fremdherrschaft zu Gunsten der französischen Sprache verdrängt worden.

4. In diesem Zeitalter ist wenigstens Bonn eine aufgeklärte Universität
im Gegensatz zu Köln gewesen.

5. Die litterarische Rückständigkeit der schönen Litteratur im katholischen
Deutschland ist zum Teil auf die mangelhafte Bildung und Erziehung auf
den damaligen Volksschulen, Lyceen und Gymnasien, zum Teil auf die damals
bestehende Zensur, zum Teil auf die Prüderie der Bevölkerung zurückzuführen.
Überall und zu allen Zeiten war die herbe Asketik eine geborne Gegnerin der
Poesie; zu dieser prüden Dame hat sich in unsern Tagen auch der süßliche
Pietist gesellt, der sich eine kräftige Sinnenwelt allenfalls gefallen lassen will,
aber aus Furcht vor der Sünde die Lust neutralisieren möchte.*)

6. Am Rhein war man im achtzehnten Jahrhundert sowohl in katholischen
wie in protestantischen Kreisen nur in beschränktem Maße in der schönen
Litteratur schöpferisch thätig. Dessen ungeachtet haben die Bewohner der
Städte am Rhein denselben offnen Sinn und dieselbe Empfänglichkeit für die
wiedererwachende deutsche Nationallitteratnr an den Tag gelegt, wie auch die
Bewohner andrer Gegenden unsers großen Vaterlandes.

7. Am Rhein hat sich ein reicher Schatz künstlerischer und litterarischer
Befähigung, besonders in den mittlern Stünden erhalten, der bei der Neu¬
gestaltung und Kräftigung unsers Vaterlands nicht gering bewertet werden
darf. Rheinische Männer, deren Wiege im vorigen Jahrhundert am Rhein
stand, waren es, die das schlummernde Feuer der deutschen Kunst und Poesie
treu bewacht und in diesem Jahrhundert zu der gewaltige" Flamme des
Wiedererwachens deutschen Nationalgefühls, deutschen Kunstsinnes und deutscher
Dichtkunst nach besten Kräften entfacht haben.



") Vgl, PoremunduS n, n, O,, Seite 60. 61,
Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

1623, Magdeburg 1626. Augsburg 1627, München 1628. Leipzig 1630.
Hamburg 1631. Königsberg 1648 eine Wochenzeitung. Man sieht, daß der
Rhein auch in dieser Beziehung den Vergleich mit andern Gegenden des
deutschen Vaterlands wohl aushalten kann. Heute hat die Rheinprovinz die
meisten Zeitungen in Preußen.

Wir stellen nun als Endergebnis unsrer Untersuchung folgendes fest:

1. Litterarische Bildung und litterarisches Leben, Sinn und Empfänglich¬
keit für die Litteratur kann nur nach dem Geiste und Geschmacke eines Zeit¬
alters beurteilt werden. Sie waren am Rhein zu keiner Zeit, auch nicht im
Mittelstande erloschen.

2. Da die rheinischen Städte zur Zeit der französischen Fremdherrschaft
von dem größten Teil ihrer gebildeten Bevölkerung verlassen waren, so trat
auch nur während dieser Zeit ein litterarischer Stillstand ein.

3. Im achtzehnten Jahrhundert ist in Stadt und Kurstaat Köln die deutsche
Sprache zu Gunsten der lateinischen Sprache und während der französischen
Fremdherrschaft zu Gunsten der französischen Sprache verdrängt worden.

4. In diesem Zeitalter ist wenigstens Bonn eine aufgeklärte Universität
im Gegensatz zu Köln gewesen.

5. Die litterarische Rückständigkeit der schönen Litteratur im katholischen
Deutschland ist zum Teil auf die mangelhafte Bildung und Erziehung auf
den damaligen Volksschulen, Lyceen und Gymnasien, zum Teil auf die damals
bestehende Zensur, zum Teil auf die Prüderie der Bevölkerung zurückzuführen.
Überall und zu allen Zeiten war die herbe Asketik eine geborne Gegnerin der
Poesie; zu dieser prüden Dame hat sich in unsern Tagen auch der süßliche
Pietist gesellt, der sich eine kräftige Sinnenwelt allenfalls gefallen lassen will,
aber aus Furcht vor der Sünde die Lust neutralisieren möchte.*)

6. Am Rhein war man im achtzehnten Jahrhundert sowohl in katholischen
wie in protestantischen Kreisen nur in beschränktem Maße in der schönen
Litteratur schöpferisch thätig. Dessen ungeachtet haben die Bewohner der
Städte am Rhein denselben offnen Sinn und dieselbe Empfänglichkeit für die
wiedererwachende deutsche Nationallitteratnr an den Tag gelegt, wie auch die
Bewohner andrer Gegenden unsers großen Vaterlandes.

7. Am Rhein hat sich ein reicher Schatz künstlerischer und litterarischer
Befähigung, besonders in den mittlern Stünden erhalten, der bei der Neu¬
gestaltung und Kräftigung unsers Vaterlands nicht gering bewertet werden
darf. Rheinische Männer, deren Wiege im vorigen Jahrhundert am Rhein
stand, waren es, die das schlummernde Feuer der deutschen Kunst und Poesie
treu bewacht und in diesem Jahrhundert zu der gewaltige« Flamme des
Wiedererwachens deutschen Nationalgefühls, deutschen Kunstsinnes und deutscher
Dichtkunst nach besten Kräften entfacht haben.



") Vgl, PoremunduS n, n, O,, Seite 60. 61,
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[0328] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert 1623, Magdeburg 1626. Augsburg 1627, München 1628. Leipzig 1630. Hamburg 1631. Königsberg 1648 eine Wochenzeitung. Man sieht, daß der Rhein auch in dieser Beziehung den Vergleich mit andern Gegenden des deutschen Vaterlands wohl aushalten kann. Heute hat die Rheinprovinz die meisten Zeitungen in Preußen. Wir stellen nun als Endergebnis unsrer Untersuchung folgendes fest: 1. Litterarische Bildung und litterarisches Leben, Sinn und Empfänglich¬ keit für die Litteratur kann nur nach dem Geiste und Geschmacke eines Zeit¬ alters beurteilt werden. Sie waren am Rhein zu keiner Zeit, auch nicht im Mittelstande erloschen. 2. Da die rheinischen Städte zur Zeit der französischen Fremdherrschaft von dem größten Teil ihrer gebildeten Bevölkerung verlassen waren, so trat auch nur während dieser Zeit ein litterarischer Stillstand ein. 3. Im achtzehnten Jahrhundert ist in Stadt und Kurstaat Köln die deutsche Sprache zu Gunsten der lateinischen Sprache und während der französischen Fremdherrschaft zu Gunsten der französischen Sprache verdrängt worden. 4. In diesem Zeitalter ist wenigstens Bonn eine aufgeklärte Universität im Gegensatz zu Köln gewesen. 5. Die litterarische Rückständigkeit der schönen Litteratur im katholischen Deutschland ist zum Teil auf die mangelhafte Bildung und Erziehung auf den damaligen Volksschulen, Lyceen und Gymnasien, zum Teil auf die damals bestehende Zensur, zum Teil auf die Prüderie der Bevölkerung zurückzuführen. Überall und zu allen Zeiten war die herbe Asketik eine geborne Gegnerin der Poesie; zu dieser prüden Dame hat sich in unsern Tagen auch der süßliche Pietist gesellt, der sich eine kräftige Sinnenwelt allenfalls gefallen lassen will, aber aus Furcht vor der Sünde die Lust neutralisieren möchte.*) 6. Am Rhein war man im achtzehnten Jahrhundert sowohl in katholischen wie in protestantischen Kreisen nur in beschränktem Maße in der schönen Litteratur schöpferisch thätig. Dessen ungeachtet haben die Bewohner der Städte am Rhein denselben offnen Sinn und dieselbe Empfänglichkeit für die wiedererwachende deutsche Nationallitteratnr an den Tag gelegt, wie auch die Bewohner andrer Gegenden unsers großen Vaterlandes. 7. Am Rhein hat sich ein reicher Schatz künstlerischer und litterarischer Befähigung, besonders in den mittlern Stünden erhalten, der bei der Neu¬ gestaltung und Kräftigung unsers Vaterlands nicht gering bewertet werden darf. Rheinische Männer, deren Wiege im vorigen Jahrhundert am Rhein stand, waren es, die das schlummernde Feuer der deutschen Kunst und Poesie treu bewacht und in diesem Jahrhundert zu der gewaltige« Flamme des Wiedererwachens deutschen Nationalgefühls, deutschen Kunstsinnes und deutscher Dichtkunst nach besten Kräften entfacht haben. ") Vgl, PoremunduS n, n, O,, Seite 60. 61,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/328>, abgerufen am 23.07.2024.