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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aur Reform des Personentarifs der preußischen Liseubahnen

diese kein Freigepäck gewähren. Diese Thatsache ist noch befremdlicher, weil
man bei einer 45 tägigen Reisedauer an Kleidung, Wäsche und sonstigem Reise¬
bedarf mehr mitzuführen pflegt, als wenn man nur auf einige Tage von Hause
weggeht.

Ja, hinsichtlich der zusammenstellbaren Fahrscheinhefte ist manches unbe¬
greiflich. Vor allem der amtliche Name. Was ist zusammenstellbar, die
Fahrscheine oder die Hefte? Ich habe vor dem seit Jahren an den Tag ge¬
legten Streben der Eisenbahnverwaltung nach Sprachreinheit und Sprachrichtig¬
keit eine zu hohe Achtung, als daß ich ihr eine sprachliche Bildung nach dem
Muster der reitenden Artilleriekaserne und des baumwollner Regenschirmfabri¬
kanten zutrauen könnte. Ich kaun also nur annehmen, daß die Hefte als zu¬
sammenstellbar bezeichnet werden sollen. Dieser Ausdruck ist aber logisch
falsch. Er wäre richtig, wenn der Sinn wäre, daß die Fahrscheinhefte mit
einander zu größern Einheiten zusammengestellt werden können, aber nicht in
dem Sinne, daß das einzelne Heft aus Fahrscheinen zusammengestellt werden
kann. In diesem Sinne ist das Fahrscheinheft ebenso wenig zusammenstellbar,
wie ein Verein gründbar, ein Brot dankbar, ein Urteil fällbar ist. Das Heft
ist zusammengestellt, der Verein ist gegründet, das Brot ist gebacken, das
Urteil ist gefällt und kann es nicht noch einmal werden, so wenig wie ein
Ding zum zweitenmale entstehen kann. Die Verwaltung will durch die Be¬
zeichnung zusammenstellbar einen Unterschied machen zwischen den Fahrschein¬
heften, die erst auf Bestellung aus beliebigen Fahrscheinen zusammengestellt
werden, und denen, die aus bestimmten Fahrscheinen fertig zusammengestellt
sind und vorrätig gehalten werden. Aber diese letzten führen ja den amtlichen
Namen Rundreisehefte für feste Rundreisen. Warum genügt da für jene Art
nicht die Bezeichnung Fahrscheinheft?

Die Unterscheidung zwischen zusammenstellbaren Fahrscheinheften und fer¬
tigen Rundreiseheften hat aber auch eine sehr sachliche Bedeutung. Die fer¬
tigen Rundreisehefte berechtigen innerhalb des Gebiets der preußischen Staats-
eisenbahnverwaltuug nämlich zur Mitnahme von 25 Kilogramm Freigepäck und
sind somit eine neue Nuance in der bunten Mannigfaltigkeit der Reisegelegen¬
heiten und der Fahrtausweise -- wie der Gattungsbegriff für alle Arten von
Fahrkarten, Fahrscheinheften und sonstigen ein Anrecht auf die Benutzung der
Bahn gebenden Papiere lautet -- und damit eine neue Schwierigkeit für den
Entwurf des Reiseplans. Schwierigkeiten und lästige Umstände an allen
Ecken -- und das alles "zur Erleichterung des Reiseverkehrs." Mit diesen
Worten werden nämlich die amtlichen Bestimmungen über die Ausgabe von
zusammenstellbaren Fahrscheinheften und von Rundreiseheften für feste Rund¬
reisen eingeleitet. Wer jemals in der Lage gewesen ist, an der Hand dieser
Bestimmungen einen Reiseplan zusammenzustellen und ein zusammeustellbares
Fahrscheinheft zu kaufen und zu benutzen, der muß in diesen Worten eine arge


Aur Reform des Personentarifs der preußischen Liseubahnen

diese kein Freigepäck gewähren. Diese Thatsache ist noch befremdlicher, weil
man bei einer 45 tägigen Reisedauer an Kleidung, Wäsche und sonstigem Reise¬
bedarf mehr mitzuführen pflegt, als wenn man nur auf einige Tage von Hause
weggeht.

Ja, hinsichtlich der zusammenstellbaren Fahrscheinhefte ist manches unbe¬
greiflich. Vor allem der amtliche Name. Was ist zusammenstellbar, die
Fahrscheine oder die Hefte? Ich habe vor dem seit Jahren an den Tag ge¬
legten Streben der Eisenbahnverwaltung nach Sprachreinheit und Sprachrichtig¬
keit eine zu hohe Achtung, als daß ich ihr eine sprachliche Bildung nach dem
Muster der reitenden Artilleriekaserne und des baumwollner Regenschirmfabri¬
kanten zutrauen könnte. Ich kaun also nur annehmen, daß die Hefte als zu¬
sammenstellbar bezeichnet werden sollen. Dieser Ausdruck ist aber logisch
falsch. Er wäre richtig, wenn der Sinn wäre, daß die Fahrscheinhefte mit
einander zu größern Einheiten zusammengestellt werden können, aber nicht in
dem Sinne, daß das einzelne Heft aus Fahrscheinen zusammengestellt werden
kann. In diesem Sinne ist das Fahrscheinheft ebenso wenig zusammenstellbar,
wie ein Verein gründbar, ein Brot dankbar, ein Urteil fällbar ist. Das Heft
ist zusammengestellt, der Verein ist gegründet, das Brot ist gebacken, das
Urteil ist gefällt und kann es nicht noch einmal werden, so wenig wie ein
Ding zum zweitenmale entstehen kann. Die Verwaltung will durch die Be¬
zeichnung zusammenstellbar einen Unterschied machen zwischen den Fahrschein¬
heften, die erst auf Bestellung aus beliebigen Fahrscheinen zusammengestellt
werden, und denen, die aus bestimmten Fahrscheinen fertig zusammengestellt
sind und vorrätig gehalten werden. Aber diese letzten führen ja den amtlichen
Namen Rundreisehefte für feste Rundreisen. Warum genügt da für jene Art
nicht die Bezeichnung Fahrscheinheft?

Die Unterscheidung zwischen zusammenstellbaren Fahrscheinheften und fer¬
tigen Rundreiseheften hat aber auch eine sehr sachliche Bedeutung. Die fer¬
tigen Rundreisehefte berechtigen innerhalb des Gebiets der preußischen Staats-
eisenbahnverwaltuug nämlich zur Mitnahme von 25 Kilogramm Freigepäck und
sind somit eine neue Nuance in der bunten Mannigfaltigkeit der Reisegelegen¬
heiten und der Fahrtausweise — wie der Gattungsbegriff für alle Arten von
Fahrkarten, Fahrscheinheften und sonstigen ein Anrecht auf die Benutzung der
Bahn gebenden Papiere lautet — und damit eine neue Schwierigkeit für den
Entwurf des Reiseplans. Schwierigkeiten und lästige Umstände an allen
Ecken — und das alles „zur Erleichterung des Reiseverkehrs." Mit diesen
Worten werden nämlich die amtlichen Bestimmungen über die Ausgabe von
zusammenstellbaren Fahrscheinheften und von Rundreiseheften für feste Rund¬
reisen eingeleitet. Wer jemals in der Lage gewesen ist, an der Hand dieser
Bestimmungen einen Reiseplan zusammenzustellen und ein zusammeustellbares
Fahrscheinheft zu kaufen und zu benutzen, der muß in diesen Worten eine arge


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[0314] Aur Reform des Personentarifs der preußischen Liseubahnen diese kein Freigepäck gewähren. Diese Thatsache ist noch befremdlicher, weil man bei einer 45 tägigen Reisedauer an Kleidung, Wäsche und sonstigem Reise¬ bedarf mehr mitzuführen pflegt, als wenn man nur auf einige Tage von Hause weggeht. Ja, hinsichtlich der zusammenstellbaren Fahrscheinhefte ist manches unbe¬ greiflich. Vor allem der amtliche Name. Was ist zusammenstellbar, die Fahrscheine oder die Hefte? Ich habe vor dem seit Jahren an den Tag ge¬ legten Streben der Eisenbahnverwaltung nach Sprachreinheit und Sprachrichtig¬ keit eine zu hohe Achtung, als daß ich ihr eine sprachliche Bildung nach dem Muster der reitenden Artilleriekaserne und des baumwollner Regenschirmfabri¬ kanten zutrauen könnte. Ich kaun also nur annehmen, daß die Hefte als zu¬ sammenstellbar bezeichnet werden sollen. Dieser Ausdruck ist aber logisch falsch. Er wäre richtig, wenn der Sinn wäre, daß die Fahrscheinhefte mit einander zu größern Einheiten zusammengestellt werden können, aber nicht in dem Sinne, daß das einzelne Heft aus Fahrscheinen zusammengestellt werden kann. In diesem Sinne ist das Fahrscheinheft ebenso wenig zusammenstellbar, wie ein Verein gründbar, ein Brot dankbar, ein Urteil fällbar ist. Das Heft ist zusammengestellt, der Verein ist gegründet, das Brot ist gebacken, das Urteil ist gefällt und kann es nicht noch einmal werden, so wenig wie ein Ding zum zweitenmale entstehen kann. Die Verwaltung will durch die Be¬ zeichnung zusammenstellbar einen Unterschied machen zwischen den Fahrschein¬ heften, die erst auf Bestellung aus beliebigen Fahrscheinen zusammengestellt werden, und denen, die aus bestimmten Fahrscheinen fertig zusammengestellt sind und vorrätig gehalten werden. Aber diese letzten führen ja den amtlichen Namen Rundreisehefte für feste Rundreisen. Warum genügt da für jene Art nicht die Bezeichnung Fahrscheinheft? Die Unterscheidung zwischen zusammenstellbaren Fahrscheinheften und fer¬ tigen Rundreiseheften hat aber auch eine sehr sachliche Bedeutung. Die fer¬ tigen Rundreisehefte berechtigen innerhalb des Gebiets der preußischen Staats- eisenbahnverwaltuug nämlich zur Mitnahme von 25 Kilogramm Freigepäck und sind somit eine neue Nuance in der bunten Mannigfaltigkeit der Reisegelegen¬ heiten und der Fahrtausweise — wie der Gattungsbegriff für alle Arten von Fahrkarten, Fahrscheinheften und sonstigen ein Anrecht auf die Benutzung der Bahn gebenden Papiere lautet — und damit eine neue Schwierigkeit für den Entwurf des Reiseplans. Schwierigkeiten und lästige Umstände an allen Ecken — und das alles „zur Erleichterung des Reiseverkehrs." Mit diesen Worten werden nämlich die amtlichen Bestimmungen über die Ausgabe von zusammenstellbaren Fahrscheinheften und von Rundreiseheften für feste Rund¬ reisen eingeleitet. Wer jemals in der Lage gewesen ist, an der Hand dieser Bestimmungen einen Reiseplan zusammenzustellen und ein zusammeustellbares Fahrscheinheft zu kaufen und zu benutzen, der muß in diesen Worten eine arge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/314>, abgerufen am 23.07.2024.