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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform des Personentarifs der preußischen Lisenbochiien

dem Maße zugenommen, daß die Ausnahmen zur Regel geworden sind, sodaß
sich kein Mensch mehr in dem Wirrsal von Ausnahmen zurechtfindet. Klar¬
heit, Einfachheit, allgemeine Giltigkeit muß für die Reform des Personentarifs
die Parole sein.

Den Gedanken eines Einheitsfahrpreises für alle Fahrstrecken innerhalb
des preußischen Eisenbahnnetzes, der bei früherer Gelegenheit in Preßstimmen
einen schüchternen Ausdruck gefunden hat, wird man freilich für die nächsten
hundert Jahre noch zurückstellen müssen, so verlockend auch die Aussicht sein
mag, gegen Zahlung eines kleinen Betrags, etwa einer Mark, von Berlin nach
jedem Orte in den Provinzen und umgekehrt, und von Köln am Rhein nach
Königsberg am Pregel fahren zu können, etwa wie ein gewöhnlicher Brief mit
einer Zehnpfennigmarke durch ganz Deutschland befördert wird. Und anch der
andre Wunsch, der seinerzeit schon weniger schüchtern laut geworden ist, nach
der Einführung eines Zonentarifs nach österreichisch-ungarischen Muster wird
im Bereiche der preußischen Staatsbahnen fürs erste schwerlich auf Erfüllung
rechnen können. Einheitspreis und Zonentarif sind für den Eisenbahnbetrieb zu
neue Grundsätze, als daß eine Verwaltung wie die der preußischen Eisenbahnen,
die darauf angewiesen ist, durch eine ruhige und stetige Entwicklung ihres Be¬
triebs dem Staate die Einnahmequelle unversehrt zu erhalten, die er in seinen
Eisenbahnen hat, sie zur Richtschnur einer Reform nehmen könnte. Wir ver¬
langen daher einen Einheitsfahrpreis weder für das ganze Staatsgebiet, noch für
einzelne Zonen, aber wir verlangen ihn für das Kilometer mit keiner andern
Unterscheidung als der der Wagenklassen. Das würde dem Tarife die Einfachheit
und die Einheit geben, die wir jetzt vergeblich in ihm suchen. Man kann sich
nicht leicht etwas Komplizierteres oder, um einen deutschen Ausdruck zu ge¬
brauchen, etwas mehr Getüfteltes denken als den Personentarif der Eisenbahnen,
nicht bloß der preußischen; und die preußische Verwaltung könnte sich kein
größeres Verdienst um das gesamte Eisenbahnwesen erwerben, als wenn sie
mit einer gründlichen Vereinfachung des Persvnentarifs voranginge. Eine all¬
gemeine Verbilligung der Fahrpreise ist lange nicht so wünschenswert, als eine
Vereinfachung des Tarifs nach dem Grundsatze: Gleiches Recht für alle.

Sehen wir uns die Sache einmal näher an. Wohl giebt es einen Einheits¬
fahrpreis für das Kilometer, wie wir ihn verlangen. Er soll betragen in der
vierten Wagenklasse 2 Pfennige, in der dritten 4 Pfennige, in der zweiten
6 Pfennige, in der ersten 8 Pfennige. Aber von dieser Regel giebt es so viel
Ausnahmen, daß die Regel dahinter zurücktritt. Nur für die vierte Wagen¬
klasse ist das Prinzip streng durchgeführt, wenn man von den sogenannten
Arbeiterkarten und den Gesellschaftsreisen absieht, die gleich erwähnt werden
sollen. Für die andern Wagenklassen findet nach der einen Richtung eine Er¬
höhung der Normalfahrgeldsätze statt für alle Schnellzuge um 0,67 und um
einen Pfennig für das Kilometer, außerdem für die Durchgangszüge noch in


Zur Reform des Personentarifs der preußischen Lisenbochiien

dem Maße zugenommen, daß die Ausnahmen zur Regel geworden sind, sodaß
sich kein Mensch mehr in dem Wirrsal von Ausnahmen zurechtfindet. Klar¬
heit, Einfachheit, allgemeine Giltigkeit muß für die Reform des Personentarifs
die Parole sein.

Den Gedanken eines Einheitsfahrpreises für alle Fahrstrecken innerhalb
des preußischen Eisenbahnnetzes, der bei früherer Gelegenheit in Preßstimmen
einen schüchternen Ausdruck gefunden hat, wird man freilich für die nächsten
hundert Jahre noch zurückstellen müssen, so verlockend auch die Aussicht sein
mag, gegen Zahlung eines kleinen Betrags, etwa einer Mark, von Berlin nach
jedem Orte in den Provinzen und umgekehrt, und von Köln am Rhein nach
Königsberg am Pregel fahren zu können, etwa wie ein gewöhnlicher Brief mit
einer Zehnpfennigmarke durch ganz Deutschland befördert wird. Und anch der
andre Wunsch, der seinerzeit schon weniger schüchtern laut geworden ist, nach
der Einführung eines Zonentarifs nach österreichisch-ungarischen Muster wird
im Bereiche der preußischen Staatsbahnen fürs erste schwerlich auf Erfüllung
rechnen können. Einheitspreis und Zonentarif sind für den Eisenbahnbetrieb zu
neue Grundsätze, als daß eine Verwaltung wie die der preußischen Eisenbahnen,
die darauf angewiesen ist, durch eine ruhige und stetige Entwicklung ihres Be¬
triebs dem Staate die Einnahmequelle unversehrt zu erhalten, die er in seinen
Eisenbahnen hat, sie zur Richtschnur einer Reform nehmen könnte. Wir ver¬
langen daher einen Einheitsfahrpreis weder für das ganze Staatsgebiet, noch für
einzelne Zonen, aber wir verlangen ihn für das Kilometer mit keiner andern
Unterscheidung als der der Wagenklassen. Das würde dem Tarife die Einfachheit
und die Einheit geben, die wir jetzt vergeblich in ihm suchen. Man kann sich
nicht leicht etwas Komplizierteres oder, um einen deutschen Ausdruck zu ge¬
brauchen, etwas mehr Getüfteltes denken als den Personentarif der Eisenbahnen,
nicht bloß der preußischen; und die preußische Verwaltung könnte sich kein
größeres Verdienst um das gesamte Eisenbahnwesen erwerben, als wenn sie
mit einer gründlichen Vereinfachung des Persvnentarifs voranginge. Eine all¬
gemeine Verbilligung der Fahrpreise ist lange nicht so wünschenswert, als eine
Vereinfachung des Tarifs nach dem Grundsatze: Gleiches Recht für alle.

Sehen wir uns die Sache einmal näher an. Wohl giebt es einen Einheits¬
fahrpreis für das Kilometer, wie wir ihn verlangen. Er soll betragen in der
vierten Wagenklasse 2 Pfennige, in der dritten 4 Pfennige, in der zweiten
6 Pfennige, in der ersten 8 Pfennige. Aber von dieser Regel giebt es so viel
Ausnahmen, daß die Regel dahinter zurücktritt. Nur für die vierte Wagen¬
klasse ist das Prinzip streng durchgeführt, wenn man von den sogenannten
Arbeiterkarten und den Gesellschaftsreisen absieht, die gleich erwähnt werden
sollen. Für die andern Wagenklassen findet nach der einen Richtung eine Er¬
höhung der Normalfahrgeldsätze statt für alle Schnellzuge um 0,67 und um
einen Pfennig für das Kilometer, außerdem für die Durchgangszüge noch in


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[0308] Zur Reform des Personentarifs der preußischen Lisenbochiien dem Maße zugenommen, daß die Ausnahmen zur Regel geworden sind, sodaß sich kein Mensch mehr in dem Wirrsal von Ausnahmen zurechtfindet. Klar¬ heit, Einfachheit, allgemeine Giltigkeit muß für die Reform des Personentarifs die Parole sein. Den Gedanken eines Einheitsfahrpreises für alle Fahrstrecken innerhalb des preußischen Eisenbahnnetzes, der bei früherer Gelegenheit in Preßstimmen einen schüchternen Ausdruck gefunden hat, wird man freilich für die nächsten hundert Jahre noch zurückstellen müssen, so verlockend auch die Aussicht sein mag, gegen Zahlung eines kleinen Betrags, etwa einer Mark, von Berlin nach jedem Orte in den Provinzen und umgekehrt, und von Köln am Rhein nach Königsberg am Pregel fahren zu können, etwa wie ein gewöhnlicher Brief mit einer Zehnpfennigmarke durch ganz Deutschland befördert wird. Und anch der andre Wunsch, der seinerzeit schon weniger schüchtern laut geworden ist, nach der Einführung eines Zonentarifs nach österreichisch-ungarischen Muster wird im Bereiche der preußischen Staatsbahnen fürs erste schwerlich auf Erfüllung rechnen können. Einheitspreis und Zonentarif sind für den Eisenbahnbetrieb zu neue Grundsätze, als daß eine Verwaltung wie die der preußischen Eisenbahnen, die darauf angewiesen ist, durch eine ruhige und stetige Entwicklung ihres Be¬ triebs dem Staate die Einnahmequelle unversehrt zu erhalten, die er in seinen Eisenbahnen hat, sie zur Richtschnur einer Reform nehmen könnte. Wir ver¬ langen daher einen Einheitsfahrpreis weder für das ganze Staatsgebiet, noch für einzelne Zonen, aber wir verlangen ihn für das Kilometer mit keiner andern Unterscheidung als der der Wagenklassen. Das würde dem Tarife die Einfachheit und die Einheit geben, die wir jetzt vergeblich in ihm suchen. Man kann sich nicht leicht etwas Komplizierteres oder, um einen deutschen Ausdruck zu ge¬ brauchen, etwas mehr Getüfteltes denken als den Personentarif der Eisenbahnen, nicht bloß der preußischen; und die preußische Verwaltung könnte sich kein größeres Verdienst um das gesamte Eisenbahnwesen erwerben, als wenn sie mit einer gründlichen Vereinfachung des Persvnentarifs voranginge. Eine all¬ gemeine Verbilligung der Fahrpreise ist lange nicht so wünschenswert, als eine Vereinfachung des Tarifs nach dem Grundsatze: Gleiches Recht für alle. Sehen wir uns die Sache einmal näher an. Wohl giebt es einen Einheits¬ fahrpreis für das Kilometer, wie wir ihn verlangen. Er soll betragen in der vierten Wagenklasse 2 Pfennige, in der dritten 4 Pfennige, in der zweiten 6 Pfennige, in der ersten 8 Pfennige. Aber von dieser Regel giebt es so viel Ausnahmen, daß die Regel dahinter zurücktritt. Nur für die vierte Wagen¬ klasse ist das Prinzip streng durchgeführt, wenn man von den sogenannten Arbeiterkarten und den Gesellschaftsreisen absieht, die gleich erwähnt werden sollen. Für die andern Wagenklassen findet nach der einen Richtung eine Er¬ höhung der Normalfahrgeldsätze statt für alle Schnellzuge um 0,67 und um einen Pfennig für das Kilometer, außerdem für die Durchgangszüge noch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/308>, abgerufen am 23.07.2024.