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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens (in Bonn am 16. August 1774)
erhob der im Jahre 1761 gewählte Kurfürst Max Friedrich die in Bonn be¬
stehende Lehranstalt der Jesuiten im Jahre 1777 zu einer Akademie, um
"reineres Licht über die Wissenschaften im Erzstifte Köln zu verbreiten." In
der philologischen Fakultät wurde außer dem Unterrichte in der deutschen
Sprache nach Ramlers Einleitung in die schonen Wissenschaften, Gellerts
praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in den Briefen in den Lehr¬
plan aufgenommen, ferner Gottscheds deutsche Sprnchlunst und Stoschs Versuch
in richtiger Bestimmung gleichbedeutender Wörter, später auch die Anweisung
zur deutschen Sprachkunst zum Gebrauch der Erzstiftisch-kölnischen Schulen
(Bonn, 1781). Das geistige Leben am Rhein war zu dieser Zeit schon, wie
wir bei einer unbefangnen Würdigung der Thatsachen finden werden, in hoher
Blüte, als der Osten unsers Vaterlandes noch lange nicht die Sonne Goethes
hatte aufgehn sehen.

Der bekannte Literarhistoriker Hermann Hüffer spricht sich über die
damaligen Zustünde in den geistlichen Fürstentümern folgendermaßen aus:
"Man kann nicht behaupten, daß in diesen geistlichen Territorien die Regierung
schlechter, die wirtschaftlichen und sozialen Zustünde mehr veraltet und zer¬
rüttet gewesen, als in weltlichen Staaten von ungefähr gleicher Bedeutung.
Das alte Sprichwort "Unter dem Krummstab ist gut wohnen" hatte seine
Bedeutung und gerade bei denen, die es am nächsten anging, seine Anerkennung
noch nicht verloren. Selten haben, soweit ich sehen kann, die Einwohner,
und zwar alle Klassen der Einwohner, anderswo so zufrieden, so neidlos und
in ihrer Weise behaglich neben einander gelebt." Namentlich waren zu Ende
des achtzehnten Jahrhunderts die Ereignisse auf der Weltbühne in hohem
Maße geeignet, das Interesse der gebildeten Welt ganz besonders in Anspruch
zu nehmen. Im Westen rangen die Amerikaner mit den Engländern in blutigen
Kämpfen um ihre Unabhängigkeit, im Osten entfalteten sich die glänzenden
Siege Katharinas II. und Josephs II. über die Türken, in der Nähe erwärmte
den Deutschen das Bild des großen Preußenkönigs Friedrich II. Vom benach¬
barten Welschland drohte das Grollen der Empörung in einem unheimlichen
Wetterleuchten, das einem welterschütternden Gewitterstürme vorausging. Doch
weder die Wirren im Auslande, noch die damals unerfreulichen Zustände in
allen Gegenden unsers deutschen Vaterlandes vermochten die litterarische
Bildung in unserm Volke hintanzuhalten. Die Gebildeten unsers Volkes be¬
reicherten sich dessen ungeachtet an den Schätzen der deutschen Dichter und
Denker, die sie für Mit- und Nachwelt aus ihrem Geiste gefördert hatten.
In wenigen deutschen Städten mochten damals die Verhältnisse günstiger ge¬
staltet gewesen sein, als in Bonn am Rhein. (Vgl. Hermann Deiters, Ludwig
van Beethoven. Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1882; Beethoven, Biographische
Notizen von Wegeler und Ferdinand Nies, 1838.)


Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens (in Bonn am 16. August 1774)
erhob der im Jahre 1761 gewählte Kurfürst Max Friedrich die in Bonn be¬
stehende Lehranstalt der Jesuiten im Jahre 1777 zu einer Akademie, um
„reineres Licht über die Wissenschaften im Erzstifte Köln zu verbreiten." In
der philologischen Fakultät wurde außer dem Unterrichte in der deutschen
Sprache nach Ramlers Einleitung in die schonen Wissenschaften, Gellerts
praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in den Briefen in den Lehr¬
plan aufgenommen, ferner Gottscheds deutsche Sprnchlunst und Stoschs Versuch
in richtiger Bestimmung gleichbedeutender Wörter, später auch die Anweisung
zur deutschen Sprachkunst zum Gebrauch der Erzstiftisch-kölnischen Schulen
(Bonn, 1781). Das geistige Leben am Rhein war zu dieser Zeit schon, wie
wir bei einer unbefangnen Würdigung der Thatsachen finden werden, in hoher
Blüte, als der Osten unsers Vaterlandes noch lange nicht die Sonne Goethes
hatte aufgehn sehen.

Der bekannte Literarhistoriker Hermann Hüffer spricht sich über die
damaligen Zustünde in den geistlichen Fürstentümern folgendermaßen aus:
„Man kann nicht behaupten, daß in diesen geistlichen Territorien die Regierung
schlechter, die wirtschaftlichen und sozialen Zustünde mehr veraltet und zer¬
rüttet gewesen, als in weltlichen Staaten von ungefähr gleicher Bedeutung.
Das alte Sprichwort »Unter dem Krummstab ist gut wohnen« hatte seine
Bedeutung und gerade bei denen, die es am nächsten anging, seine Anerkennung
noch nicht verloren. Selten haben, soweit ich sehen kann, die Einwohner,
und zwar alle Klassen der Einwohner, anderswo so zufrieden, so neidlos und
in ihrer Weise behaglich neben einander gelebt." Namentlich waren zu Ende
des achtzehnten Jahrhunderts die Ereignisse auf der Weltbühne in hohem
Maße geeignet, das Interesse der gebildeten Welt ganz besonders in Anspruch
zu nehmen. Im Westen rangen die Amerikaner mit den Engländern in blutigen
Kämpfen um ihre Unabhängigkeit, im Osten entfalteten sich die glänzenden
Siege Katharinas II. und Josephs II. über die Türken, in der Nähe erwärmte
den Deutschen das Bild des großen Preußenkönigs Friedrich II. Vom benach¬
barten Welschland drohte das Grollen der Empörung in einem unheimlichen
Wetterleuchten, das einem welterschütternden Gewitterstürme vorausging. Doch
weder die Wirren im Auslande, noch die damals unerfreulichen Zustände in
allen Gegenden unsers deutschen Vaterlandes vermochten die litterarische
Bildung in unserm Volke hintanzuhalten. Die Gebildeten unsers Volkes be¬
reicherten sich dessen ungeachtet an den Schätzen der deutschen Dichter und
Denker, die sie für Mit- und Nachwelt aus ihrem Geiste gefördert hatten.
In wenigen deutschen Städten mochten damals die Verhältnisse günstiger ge¬
staltet gewesen sein, als in Bonn am Rhein. (Vgl. Hermann Deiters, Ludwig
van Beethoven. Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1882; Beethoven, Biographische
Notizen von Wegeler und Ferdinand Nies, 1838.)


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[0221] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert Nach der Aufhebung des Jesuitenordens (in Bonn am 16. August 1774) erhob der im Jahre 1761 gewählte Kurfürst Max Friedrich die in Bonn be¬ stehende Lehranstalt der Jesuiten im Jahre 1777 zu einer Akademie, um „reineres Licht über die Wissenschaften im Erzstifte Köln zu verbreiten." In der philologischen Fakultät wurde außer dem Unterrichte in der deutschen Sprache nach Ramlers Einleitung in die schonen Wissenschaften, Gellerts praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in den Briefen in den Lehr¬ plan aufgenommen, ferner Gottscheds deutsche Sprnchlunst und Stoschs Versuch in richtiger Bestimmung gleichbedeutender Wörter, später auch die Anweisung zur deutschen Sprachkunst zum Gebrauch der Erzstiftisch-kölnischen Schulen (Bonn, 1781). Das geistige Leben am Rhein war zu dieser Zeit schon, wie wir bei einer unbefangnen Würdigung der Thatsachen finden werden, in hoher Blüte, als der Osten unsers Vaterlandes noch lange nicht die Sonne Goethes hatte aufgehn sehen. Der bekannte Literarhistoriker Hermann Hüffer spricht sich über die damaligen Zustünde in den geistlichen Fürstentümern folgendermaßen aus: „Man kann nicht behaupten, daß in diesen geistlichen Territorien die Regierung schlechter, die wirtschaftlichen und sozialen Zustünde mehr veraltet und zer¬ rüttet gewesen, als in weltlichen Staaten von ungefähr gleicher Bedeutung. Das alte Sprichwort »Unter dem Krummstab ist gut wohnen« hatte seine Bedeutung und gerade bei denen, die es am nächsten anging, seine Anerkennung noch nicht verloren. Selten haben, soweit ich sehen kann, die Einwohner, und zwar alle Klassen der Einwohner, anderswo so zufrieden, so neidlos und in ihrer Weise behaglich neben einander gelebt." Namentlich waren zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Ereignisse auf der Weltbühne in hohem Maße geeignet, das Interesse der gebildeten Welt ganz besonders in Anspruch zu nehmen. Im Westen rangen die Amerikaner mit den Engländern in blutigen Kämpfen um ihre Unabhängigkeit, im Osten entfalteten sich die glänzenden Siege Katharinas II. und Josephs II. über die Türken, in der Nähe erwärmte den Deutschen das Bild des großen Preußenkönigs Friedrich II. Vom benach¬ barten Welschland drohte das Grollen der Empörung in einem unheimlichen Wetterleuchten, das einem welterschütternden Gewitterstürme vorausging. Doch weder die Wirren im Auslande, noch die damals unerfreulichen Zustände in allen Gegenden unsers deutschen Vaterlandes vermochten die litterarische Bildung in unserm Volke hintanzuhalten. Die Gebildeten unsers Volkes be¬ reicherten sich dessen ungeachtet an den Schätzen der deutschen Dichter und Denker, die sie für Mit- und Nachwelt aus ihrem Geiste gefördert hatten. In wenigen deutschen Städten mochten damals die Verhältnisse günstiger ge¬ staltet gewesen sein, als in Bonn am Rhein. (Vgl. Hermann Deiters, Ludwig van Beethoven. Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1882; Beethoven, Biographische Notizen von Wegeler und Ferdinand Nies, 1838.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/221>, abgerufen am 03.07.2024.