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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden des Kleinhandels

Kaufleute in unserm Städtchen einzig auf die Vermittlung der Reisenden an¬
gewiesen. Hat eine Stadt Bahnverbindung, so führt ein Kaufmann bald einmal
nach der Provinzialhauptstadt, nach der nahe gelegnen Fabrikstadt, um an Ort
und Stelle auszuwählen, was ihm für seine Kunden am geeignetsten zu sein
scheint. Eine Reise, die zum Teil mit Gespann zurückgelegt werden muß, ist
immer teurer als eine bloße Eisenbahnfahrt und läßt sich auch selten an einem
Tage abmachen, man muß schon eine Nacht von Hause fortbleiben. Und ist
die Reise mit solchen Kosten und Umständen verbunden, so ist es für beide
Teile vorteilhafter, daß der Kaufmann in der großen Stadt nach dem abgelegnen
Platz, an dem er vier oder fünf Abnehmer hat, seinen Reisenden schickt, als
daß diese vier oder fünf Geschäftsleute selbst zu ihm herüber kommen. Aber
bei dieser Abwicklung der Geschäfte durch die Reisenden wird den Kaufleuten
in der kleinen Stadt das Leben zu bequem gemacht. Die Reisenden bringen
und schaffen ihnen alles, was sie brauchen, ins Haus, und deshalb lernen die
Kaufleute nur die Geschäftshäuser kennen, von deren Vertretern sie besucht
werden, und nur die Waren, die von diesen Geschäftshäusern geführt werden.
Sehr zu ihrem Nachteile. Denn die Handlungen, die viel und namentlich in
kleinen Städten reisen lassen, in denen wegen des geringen Absatzes die Un¬
kosten am meisten ins Gewicht fallen, pflegen nicht gerade die preiswertesten
Waren zu führen. Die Kosten, die die Reisenden verursachen, müssen doch
jedenfalls Herauskommen. Ist die Ware gut, so ist der Preis hoch, und scheint
der Preis mäßig, so ist die Ware dafür um so schlechter.

Und schlecht sind die Kaufmannswaren in unserm kleinen schlesischen
Weberstädtchen, schlecht und teuer. Die Hausfrauen, die aus der größern
Stadt kommen, wissen ein Lied davon zu fingen. Der Zucker süßt nicht, das
Salz salzt nicht, die Streichhölzchen brennen nicht, der Kaffee hat kein Aroma
und schmeckt surrogatartig. Von Wolle kommt nur das Erzeugnis der Neu¬
zeit, die Kunstwolle vor, bei den Hemdenknöpfen reißt der leinene Überzug
nach der ersten Wäsche. Von täglichen Gebrauchsartikeln, Tüchern, Decken,
Bändern führt man nur Ausschußware, an Kleidungsstücken sind nur Laden¬
hüter größerer Geschäfte auf Lager, und will man die einfachsten Wirtschafts¬
gegenstände kaufen, sei es aus Porzellan oder Eisen, so muß mau doppelt
so hohe Preise anlege", als in Berlin oder Breslau. Die besser gestellten
Familien lassen sich Kolonialwaren und Jndustrieerzeugnisse fast durchgängig
von außerhalb schicken, die Kleidungsstücke bringt man sich gelegentlich von
einer Reise mit, zur Schneiderin und Putzmacherin fährt man, schon um für
die Zuthaten mehr Auswahl zu haben, nach der nüchstgelegnen Stadt herüber.
Wer Geld hat, weiß sich zu helfen, nur daß er für Kleidung und Essen und
Trinken eben mehr braucht als in der Großstadt. Zu beklagen bleiben nur
die armen Weber, die bei ihrem kärglichen Verdienste von fünf bis sechs Mark
wöchentlich für die ganze Familie die notwendigen Gebrauchsartikel so ungemein


Die Schäden des Kleinhandels

Kaufleute in unserm Städtchen einzig auf die Vermittlung der Reisenden an¬
gewiesen. Hat eine Stadt Bahnverbindung, so führt ein Kaufmann bald einmal
nach der Provinzialhauptstadt, nach der nahe gelegnen Fabrikstadt, um an Ort
und Stelle auszuwählen, was ihm für seine Kunden am geeignetsten zu sein
scheint. Eine Reise, die zum Teil mit Gespann zurückgelegt werden muß, ist
immer teurer als eine bloße Eisenbahnfahrt und läßt sich auch selten an einem
Tage abmachen, man muß schon eine Nacht von Hause fortbleiben. Und ist
die Reise mit solchen Kosten und Umständen verbunden, so ist es für beide
Teile vorteilhafter, daß der Kaufmann in der großen Stadt nach dem abgelegnen
Platz, an dem er vier oder fünf Abnehmer hat, seinen Reisenden schickt, als
daß diese vier oder fünf Geschäftsleute selbst zu ihm herüber kommen. Aber
bei dieser Abwicklung der Geschäfte durch die Reisenden wird den Kaufleuten
in der kleinen Stadt das Leben zu bequem gemacht. Die Reisenden bringen
und schaffen ihnen alles, was sie brauchen, ins Haus, und deshalb lernen die
Kaufleute nur die Geschäftshäuser kennen, von deren Vertretern sie besucht
werden, und nur die Waren, die von diesen Geschäftshäusern geführt werden.
Sehr zu ihrem Nachteile. Denn die Handlungen, die viel und namentlich in
kleinen Städten reisen lassen, in denen wegen des geringen Absatzes die Un¬
kosten am meisten ins Gewicht fallen, pflegen nicht gerade die preiswertesten
Waren zu führen. Die Kosten, die die Reisenden verursachen, müssen doch
jedenfalls Herauskommen. Ist die Ware gut, so ist der Preis hoch, und scheint
der Preis mäßig, so ist die Ware dafür um so schlechter.

Und schlecht sind die Kaufmannswaren in unserm kleinen schlesischen
Weberstädtchen, schlecht und teuer. Die Hausfrauen, die aus der größern
Stadt kommen, wissen ein Lied davon zu fingen. Der Zucker süßt nicht, das
Salz salzt nicht, die Streichhölzchen brennen nicht, der Kaffee hat kein Aroma
und schmeckt surrogatartig. Von Wolle kommt nur das Erzeugnis der Neu¬
zeit, die Kunstwolle vor, bei den Hemdenknöpfen reißt der leinene Überzug
nach der ersten Wäsche. Von täglichen Gebrauchsartikeln, Tüchern, Decken,
Bändern führt man nur Ausschußware, an Kleidungsstücken sind nur Laden¬
hüter größerer Geschäfte auf Lager, und will man die einfachsten Wirtschafts¬
gegenstände kaufen, sei es aus Porzellan oder Eisen, so muß mau doppelt
so hohe Preise anlege», als in Berlin oder Breslau. Die besser gestellten
Familien lassen sich Kolonialwaren und Jndustrieerzeugnisse fast durchgängig
von außerhalb schicken, die Kleidungsstücke bringt man sich gelegentlich von
einer Reise mit, zur Schneiderin und Putzmacherin fährt man, schon um für
die Zuthaten mehr Auswahl zu haben, nach der nüchstgelegnen Stadt herüber.
Wer Geld hat, weiß sich zu helfen, nur daß er für Kleidung und Essen und
Trinken eben mehr braucht als in der Großstadt. Zu beklagen bleiben nur
die armen Weber, die bei ihrem kärglichen Verdienste von fünf bis sechs Mark
wöchentlich für die ganze Familie die notwendigen Gebrauchsartikel so ungemein


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[0196] Die Schäden des Kleinhandels Kaufleute in unserm Städtchen einzig auf die Vermittlung der Reisenden an¬ gewiesen. Hat eine Stadt Bahnverbindung, so führt ein Kaufmann bald einmal nach der Provinzialhauptstadt, nach der nahe gelegnen Fabrikstadt, um an Ort und Stelle auszuwählen, was ihm für seine Kunden am geeignetsten zu sein scheint. Eine Reise, die zum Teil mit Gespann zurückgelegt werden muß, ist immer teurer als eine bloße Eisenbahnfahrt und läßt sich auch selten an einem Tage abmachen, man muß schon eine Nacht von Hause fortbleiben. Und ist die Reise mit solchen Kosten und Umständen verbunden, so ist es für beide Teile vorteilhafter, daß der Kaufmann in der großen Stadt nach dem abgelegnen Platz, an dem er vier oder fünf Abnehmer hat, seinen Reisenden schickt, als daß diese vier oder fünf Geschäftsleute selbst zu ihm herüber kommen. Aber bei dieser Abwicklung der Geschäfte durch die Reisenden wird den Kaufleuten in der kleinen Stadt das Leben zu bequem gemacht. Die Reisenden bringen und schaffen ihnen alles, was sie brauchen, ins Haus, und deshalb lernen die Kaufleute nur die Geschäftshäuser kennen, von deren Vertretern sie besucht werden, und nur die Waren, die von diesen Geschäftshäusern geführt werden. Sehr zu ihrem Nachteile. Denn die Handlungen, die viel und namentlich in kleinen Städten reisen lassen, in denen wegen des geringen Absatzes die Un¬ kosten am meisten ins Gewicht fallen, pflegen nicht gerade die preiswertesten Waren zu führen. Die Kosten, die die Reisenden verursachen, müssen doch jedenfalls Herauskommen. Ist die Ware gut, so ist der Preis hoch, und scheint der Preis mäßig, so ist die Ware dafür um so schlechter. Und schlecht sind die Kaufmannswaren in unserm kleinen schlesischen Weberstädtchen, schlecht und teuer. Die Hausfrauen, die aus der größern Stadt kommen, wissen ein Lied davon zu fingen. Der Zucker süßt nicht, das Salz salzt nicht, die Streichhölzchen brennen nicht, der Kaffee hat kein Aroma und schmeckt surrogatartig. Von Wolle kommt nur das Erzeugnis der Neu¬ zeit, die Kunstwolle vor, bei den Hemdenknöpfen reißt der leinene Überzug nach der ersten Wäsche. Von täglichen Gebrauchsartikeln, Tüchern, Decken, Bändern führt man nur Ausschußware, an Kleidungsstücken sind nur Laden¬ hüter größerer Geschäfte auf Lager, und will man die einfachsten Wirtschafts¬ gegenstände kaufen, sei es aus Porzellan oder Eisen, so muß mau doppelt so hohe Preise anlege», als in Berlin oder Breslau. Die besser gestellten Familien lassen sich Kolonialwaren und Jndustrieerzeugnisse fast durchgängig von außerhalb schicken, die Kleidungsstücke bringt man sich gelegentlich von einer Reise mit, zur Schneiderin und Putzmacherin fährt man, schon um für die Zuthaten mehr Auswahl zu haben, nach der nüchstgelegnen Stadt herüber. Wer Geld hat, weiß sich zu helfen, nur daß er für Kleidung und Essen und Trinken eben mehr braucht als in der Großstadt. Zu beklagen bleiben nur die armen Weber, die bei ihrem kärglichen Verdienste von fünf bis sechs Mark wöchentlich für die ganze Familie die notwendigen Gebrauchsartikel so ungemein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/196>, abgerufen am 23.07.2024.