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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauprmann und sein Biograph

sein Weberdrama -- sagt er -- ließ er sein Bauerndrama folgen. Wie dort, so
geht auch hier, von souveräner Künstlerhand geführt, durch das ganze Stück
der große Zug des sozialen Mitleids. Soziales Mitleid erweckt man nur
durch Wahrhaftigkeit in der Darstellung der mitleidwürdigen Zustände. Auch
im historischen Drama ist Hauptmann seinem konsequenten Realismus treu
geblieben, und hier mehr als je hat er bewiesen, wie unendlich reich der kon¬
sequente Realismus sein kann."

Uns dünkt, daß Hauptmann mit seinem "Florian Geber" etwas ganz,
andres bewiesen hat, nämlich daß dieser Realismus nicht imstande ist, mit
den von ihm geübten Kunst- oder Handwerksmitteln ein historisches Schauspiel,
ein Drama höhern Stils zu schaffen. Oder sollte der Mangel in dem Dichter
selbst begründet sein? Fast scheint es so, als fehle es Hauptmann an der
tiefern geistigen Durchbildung, an jenem höhern Schwung, der in der Er¬
fassung und klaren Durcharbeitung ernster Ideen und Aufgaben liegt. Wenigstens
spricht der Ideengehalt seines idealsten und reifsten Werkes, der "Versunkenen
Glocke" dafür.

Wir haben das Werk in einem größern Aufsatz in dem Jahrbuch "Aus
Höhen und Tiefen" (Band I 1898) zergliedert, seinen poetischen Gehalt an¬
erkennend dargelegt und die Idee herauszuschälen und zu beleuchten versucht,
an deren Gestaltung der Dichter gescheitert ist, was man auch immer sonst
zum Lobe seines neuen Werkes sagen mag. Zunächst ist hervorzuheben und
festzulegen, daß Hauptmann mit der "Versunkenen Glocke" die naturalistischen
Sphären verlassen hat, daß er sich also vom "Biberpelz" durch den verun¬
glückten Versuch des historischen Dramas hindurch zur idealistischen Dichtung
entwickelt hat, wenn es anders eine Entwicklung und nicht nur ein versuchendes
Tappen ist, was erst die Zukunft lehren wird. Schlenther gesteht es mit den
Worten zu: "Der Dichter ist von seiner eigensten Domäne auf fremdes Gebiet
getreten." Hierin liegt zugleich die Anerkennung, daß er hierbei nicht original
gewesen ist. "Er ruft sich den Goethe des zweiten Faustteils und den
schlegelisierten Shakespeare des Sommernachtstraumes zu Hilfe, und diese
Muster helfen ihm nun eine Verssprache schmieden. Die Versunkene Glocke ist
das erste und einzige dramatische Werk G. Hauptmanns, worin er nicht mehr
künstlerisch revoltiert. Er lenkt in schöne alte Traditionen ein."

Daß damit notwendig eine Vernachlässigung in der Charakterisierung der
handelnden Personen verbunden sei, wird niemand behaupten wollen- Haupt¬
mann ist hier aus einer unklaren Vermischung von Allegorie und Vermensch¬
lichung nicht herausgekommen. Er hat statt lebendiger Einzelwesen nur Gat¬
tungswesen geschaffen, und darunter hat doch unzweifelhaft der Schein des
Wirklichen schwer gelitten. Schlenther muß dies, wenn auch in der mildesten
Form, zugestehen. "Mit seiner naturalistischen Kunst des Jndividualisierens
hat der Dichter allerdings gründlich gebrochen. Die Natur liegt hier vielmehr


Gerhart Hauprmann und sein Biograph

sein Weberdrama — sagt er — ließ er sein Bauerndrama folgen. Wie dort, so
geht auch hier, von souveräner Künstlerhand geführt, durch das ganze Stück
der große Zug des sozialen Mitleids. Soziales Mitleid erweckt man nur
durch Wahrhaftigkeit in der Darstellung der mitleidwürdigen Zustände. Auch
im historischen Drama ist Hauptmann seinem konsequenten Realismus treu
geblieben, und hier mehr als je hat er bewiesen, wie unendlich reich der kon¬
sequente Realismus sein kann."

Uns dünkt, daß Hauptmann mit seinem „Florian Geber" etwas ganz,
andres bewiesen hat, nämlich daß dieser Realismus nicht imstande ist, mit
den von ihm geübten Kunst- oder Handwerksmitteln ein historisches Schauspiel,
ein Drama höhern Stils zu schaffen. Oder sollte der Mangel in dem Dichter
selbst begründet sein? Fast scheint es so, als fehle es Hauptmann an der
tiefern geistigen Durchbildung, an jenem höhern Schwung, der in der Er¬
fassung und klaren Durcharbeitung ernster Ideen und Aufgaben liegt. Wenigstens
spricht der Ideengehalt seines idealsten und reifsten Werkes, der „Versunkenen
Glocke" dafür.

Wir haben das Werk in einem größern Aufsatz in dem Jahrbuch „Aus
Höhen und Tiefen" (Band I 1898) zergliedert, seinen poetischen Gehalt an¬
erkennend dargelegt und die Idee herauszuschälen und zu beleuchten versucht,
an deren Gestaltung der Dichter gescheitert ist, was man auch immer sonst
zum Lobe seines neuen Werkes sagen mag. Zunächst ist hervorzuheben und
festzulegen, daß Hauptmann mit der „Versunkenen Glocke" die naturalistischen
Sphären verlassen hat, daß er sich also vom „Biberpelz" durch den verun¬
glückten Versuch des historischen Dramas hindurch zur idealistischen Dichtung
entwickelt hat, wenn es anders eine Entwicklung und nicht nur ein versuchendes
Tappen ist, was erst die Zukunft lehren wird. Schlenther gesteht es mit den
Worten zu: „Der Dichter ist von seiner eigensten Domäne auf fremdes Gebiet
getreten." Hierin liegt zugleich die Anerkennung, daß er hierbei nicht original
gewesen ist. „Er ruft sich den Goethe des zweiten Faustteils und den
schlegelisierten Shakespeare des Sommernachtstraumes zu Hilfe, und diese
Muster helfen ihm nun eine Verssprache schmieden. Die Versunkene Glocke ist
das erste und einzige dramatische Werk G. Hauptmanns, worin er nicht mehr
künstlerisch revoltiert. Er lenkt in schöne alte Traditionen ein."

Daß damit notwendig eine Vernachlässigung in der Charakterisierung der
handelnden Personen verbunden sei, wird niemand behaupten wollen- Haupt¬
mann ist hier aus einer unklaren Vermischung von Allegorie und Vermensch¬
lichung nicht herausgekommen. Er hat statt lebendiger Einzelwesen nur Gat¬
tungswesen geschaffen, und darunter hat doch unzweifelhaft der Schein des
Wirklichen schwer gelitten. Schlenther muß dies, wenn auch in der mildesten
Form, zugestehen. „Mit seiner naturalistischen Kunst des Jndividualisierens
hat der Dichter allerdings gründlich gebrochen. Die Natur liegt hier vielmehr


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[0165] Gerhart Hauprmann und sein Biograph sein Weberdrama — sagt er — ließ er sein Bauerndrama folgen. Wie dort, so geht auch hier, von souveräner Künstlerhand geführt, durch das ganze Stück der große Zug des sozialen Mitleids. Soziales Mitleid erweckt man nur durch Wahrhaftigkeit in der Darstellung der mitleidwürdigen Zustände. Auch im historischen Drama ist Hauptmann seinem konsequenten Realismus treu geblieben, und hier mehr als je hat er bewiesen, wie unendlich reich der kon¬ sequente Realismus sein kann." Uns dünkt, daß Hauptmann mit seinem „Florian Geber" etwas ganz, andres bewiesen hat, nämlich daß dieser Realismus nicht imstande ist, mit den von ihm geübten Kunst- oder Handwerksmitteln ein historisches Schauspiel, ein Drama höhern Stils zu schaffen. Oder sollte der Mangel in dem Dichter selbst begründet sein? Fast scheint es so, als fehle es Hauptmann an der tiefern geistigen Durchbildung, an jenem höhern Schwung, der in der Er¬ fassung und klaren Durcharbeitung ernster Ideen und Aufgaben liegt. Wenigstens spricht der Ideengehalt seines idealsten und reifsten Werkes, der „Versunkenen Glocke" dafür. Wir haben das Werk in einem größern Aufsatz in dem Jahrbuch „Aus Höhen und Tiefen" (Band I 1898) zergliedert, seinen poetischen Gehalt an¬ erkennend dargelegt und die Idee herauszuschälen und zu beleuchten versucht, an deren Gestaltung der Dichter gescheitert ist, was man auch immer sonst zum Lobe seines neuen Werkes sagen mag. Zunächst ist hervorzuheben und festzulegen, daß Hauptmann mit der „Versunkenen Glocke" die naturalistischen Sphären verlassen hat, daß er sich also vom „Biberpelz" durch den verun¬ glückten Versuch des historischen Dramas hindurch zur idealistischen Dichtung entwickelt hat, wenn es anders eine Entwicklung und nicht nur ein versuchendes Tappen ist, was erst die Zukunft lehren wird. Schlenther gesteht es mit den Worten zu: „Der Dichter ist von seiner eigensten Domäne auf fremdes Gebiet getreten." Hierin liegt zugleich die Anerkennung, daß er hierbei nicht original gewesen ist. „Er ruft sich den Goethe des zweiten Faustteils und den schlegelisierten Shakespeare des Sommernachtstraumes zu Hilfe, und diese Muster helfen ihm nun eine Verssprache schmieden. Die Versunkene Glocke ist das erste und einzige dramatische Werk G. Hauptmanns, worin er nicht mehr künstlerisch revoltiert. Er lenkt in schöne alte Traditionen ein." Daß damit notwendig eine Vernachlässigung in der Charakterisierung der handelnden Personen verbunden sei, wird niemand behaupten wollen- Haupt¬ mann ist hier aus einer unklaren Vermischung von Allegorie und Vermensch¬ lichung nicht herausgekommen. Er hat statt lebendiger Einzelwesen nur Gat¬ tungswesen geschaffen, und darunter hat doch unzweifelhaft der Schein des Wirklichen schwer gelitten. Schlenther muß dies, wenn auch in der mildesten Form, zugestehen. „Mit seiner naturalistischen Kunst des Jndividualisierens hat der Dichter allerdings gründlich gebrochen. Die Natur liegt hier vielmehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/165>, abgerufen am 23.07.2024.