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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Geldreform

Gründen zu verteidigen -- theoretisch nur, denn thatsächlich, Gott sei Dank,
steht sie unangreifbar da; fest wurzelt sie in dem Bedürfnis wie in den Herzen
(wo euer Schatz ist, da ist euer Herz!), und das Volk würde sehr unangenehm
werden, wenn gewisse komische Käuze im Ernst drangehen wollten, ihm seine
Zwanzigmarkstücke zu nehmen. Helfferichs Werk*) giebt in zwei starken Bänden
(474 und 509 Seiten groß 8°) die urkundliche Geschichte der erfreulichen
Wandlung des deutschen Geldwesens so vollständig und lichtvoll, daß spätern
Forschern und Darstellern auf diesem Felde kaum noch Ährenlesearbeit übrig
bleibt. Der zweite Band enthält außer Tabellen und Urkunden einige Ab¬
handlungen über einzelne Gegenstände, die in der zusammenhängenden Dar¬
stellung nicht unterzubringen waren. Solchen, die nicht Zeit haben, das Werk
selbst zu lesen, wollen wir nach ihm die Geschichte der Reform kurz erzählen.

Die Hauptsache ist, daß nicht etwa eine Gruppe von Staatsweisen oder
eine Verschwörung von Kapitalisten bestanden hat, die den Plan gefaßt Hütten,
Deutschland durch die Goldwährung zu Grunde zu richten, und denen es denn
auch gelungen wäre, ihren höllischen Plan durchzuführen. Sondern die Sache
ist ganz von selbst gekommen, als das Endergebnis zweier konvergierender
Strömungen, die mit den großen politischen Ereignissen von 1870 zusammen¬
trafen. Die eine dieser beiden Strömungen war auf Münzeinheit, die andre
auf eine feste Währung gerichtet. Daß die Deutschen nach Münzeinheit ver¬
langen mußten, war selbstverständlich, denn die aus der Geldverwirrung ent¬
springenden Leiden waren unerträglich. Während sich England schon im Mittel¬
alter eines einheitlichen Münzsystems erfreute, hatte Deutschland beinahe so
vielerlei Münzen, als es Landesherren hatte, und da, wenn neue Münzen
geprägt wurden, niemand daran dachte, die alten einzuziehen, so stieg dadurch
die Verwirrung aufs höchste. Der deutsche Bundestag, schon in allen andern
Dingen ohnmächtig, vermochte gerade im Münzwesen am allerwenigsten etwas
auszurichten, denn das Münzregal bringt die Souveränität am alleraugen-
fälligsten zur Erscheinung, und ihre Souveränität verteidigte jede Hoheit, jede
Durch- und Erlaucht, wie die Bärin ihr Junges. Weh ist das Bild und die
Umschrift? fragte Christus die Fallensteller. Und da sie antworteten: Des
Kaisers, so spottete er: Nun, so gebet auch dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!
Nehmt ihr das Geld eines Monarchen in Zahlung, so bekennt ihr euch da¬
durch als seine Unterthanen! In einer Reihe von Münzkonventionen suchten
sich die Einzelstaaten auf dem Wege des Vertrages zu helfen. Am inter¬
essantesten erscheinen unter diesen Verhandlungen und Vereinbarungen die mit
Österreich, weil man daran sieht, wie dieser Staat die politische Bedeutung
des Münzwesens erkannte. Nachdem ihm der Versuch, entweder selbst in den



Die Reform des deutschen Geldwesens muh der Gründung des Reiches. 1. Bcmd-
Geschichte der deutschen Geldreform. Band! Beiträge zur Geschichte der deutschen Geldreform.
Von Karl Helfferich. Leipzig, Duncker und Humblot, 1808.
Die deutsche Geldreform

Gründen zu verteidigen — theoretisch nur, denn thatsächlich, Gott sei Dank,
steht sie unangreifbar da; fest wurzelt sie in dem Bedürfnis wie in den Herzen
(wo euer Schatz ist, da ist euer Herz!), und das Volk würde sehr unangenehm
werden, wenn gewisse komische Käuze im Ernst drangehen wollten, ihm seine
Zwanzigmarkstücke zu nehmen. Helfferichs Werk*) giebt in zwei starken Bänden
(474 und 509 Seiten groß 8°) die urkundliche Geschichte der erfreulichen
Wandlung des deutschen Geldwesens so vollständig und lichtvoll, daß spätern
Forschern und Darstellern auf diesem Felde kaum noch Ährenlesearbeit übrig
bleibt. Der zweite Band enthält außer Tabellen und Urkunden einige Ab¬
handlungen über einzelne Gegenstände, die in der zusammenhängenden Dar¬
stellung nicht unterzubringen waren. Solchen, die nicht Zeit haben, das Werk
selbst zu lesen, wollen wir nach ihm die Geschichte der Reform kurz erzählen.

Die Hauptsache ist, daß nicht etwa eine Gruppe von Staatsweisen oder
eine Verschwörung von Kapitalisten bestanden hat, die den Plan gefaßt Hütten,
Deutschland durch die Goldwährung zu Grunde zu richten, und denen es denn
auch gelungen wäre, ihren höllischen Plan durchzuführen. Sondern die Sache
ist ganz von selbst gekommen, als das Endergebnis zweier konvergierender
Strömungen, die mit den großen politischen Ereignissen von 1870 zusammen¬
trafen. Die eine dieser beiden Strömungen war auf Münzeinheit, die andre
auf eine feste Währung gerichtet. Daß die Deutschen nach Münzeinheit ver¬
langen mußten, war selbstverständlich, denn die aus der Geldverwirrung ent¬
springenden Leiden waren unerträglich. Während sich England schon im Mittel¬
alter eines einheitlichen Münzsystems erfreute, hatte Deutschland beinahe so
vielerlei Münzen, als es Landesherren hatte, und da, wenn neue Münzen
geprägt wurden, niemand daran dachte, die alten einzuziehen, so stieg dadurch
die Verwirrung aufs höchste. Der deutsche Bundestag, schon in allen andern
Dingen ohnmächtig, vermochte gerade im Münzwesen am allerwenigsten etwas
auszurichten, denn das Münzregal bringt die Souveränität am alleraugen-
fälligsten zur Erscheinung, und ihre Souveränität verteidigte jede Hoheit, jede
Durch- und Erlaucht, wie die Bärin ihr Junges. Weh ist das Bild und die
Umschrift? fragte Christus die Fallensteller. Und da sie antworteten: Des
Kaisers, so spottete er: Nun, so gebet auch dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!
Nehmt ihr das Geld eines Monarchen in Zahlung, so bekennt ihr euch da¬
durch als seine Unterthanen! In einer Reihe von Münzkonventionen suchten
sich die Einzelstaaten auf dem Wege des Vertrages zu helfen. Am inter¬
essantesten erscheinen unter diesen Verhandlungen und Vereinbarungen die mit
Österreich, weil man daran sieht, wie dieser Staat die politische Bedeutung
des Münzwesens erkannte. Nachdem ihm der Versuch, entweder selbst in den



Die Reform des deutschen Geldwesens muh der Gründung des Reiches. 1. Bcmd-
Geschichte der deutschen Geldreform. Band! Beiträge zur Geschichte der deutschen Geldreform.
Von Karl Helfferich. Leipzig, Duncker und Humblot, 1808.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/14>, abgerufen am 23.07.2024.