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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der goldne Engel
Luise Glaß Lrzählung von
(Forschung)

nngsam kam die Johannisdämmcrung herauf, sie ließ Line Stadel
Zeit; der goldne Himmel warf sein heitres Licht auf ihren Stein,
aber er machte sie nicht froh. Dem Gespenst, das die Arbeitszeit
der Männer verschlang, fühlte sie sich widerwillig dienstbar, und
das bittre Gefühl, das ihr Herz beengte, wurde stärker, als sie Vater
und Bruder endlich zusammen den Gang entlang kommen horte.

Heiter klang des Alten Stimme über den Hof hin, er redete vom Gas --
welches das kräftigste sei, und vom Metall -- welches das leichteste sei.

Denn leicht, leicht muß es werden, alles andre ist Kinderspiel, alles andre
folgt daraus, wie das Fliegen ans den Luftröhren der Vogelfeder folgt -- leicht --
leicht -- die Erde darf uicht mehr --

Da kam er am Werkstattfettster vorbei nud sah Karolinen sitzen. Er ließ un¬
ausgesprochen, was die Erde nicht mehr durfte, er ließ aber auch das Mißbehagen,
das ihn bei Karolinens Anblick packte, nicht über sich Herr werde". Er hatte es
völlig aufgegeben, Neue zu empfinden, wenn er sah, daß sich die Kinder für ihn
aufopferte", ohne vorwärts zu kommen. Sie opferten sich ja gar nicht für ihn,
sondern für die Menschheit, der er Flügel geben würde, und nebenbei für sich selber,
denen die beflügelte Menschheit ihr Opfer mit Gold und Ehre lohnen mußte --
mir noch ein wenig Geduld! Einstweilen aber hatte die Line ruhig ein freundliches
Gesicht machen können.

Das Mädchen stand mit einer Miene des Vorwurfs auf nud ging in die
Küche; dort stellte sie schnell und ohne freundliche Anordnung das Abendbrot auf
den wachstuchbezognen Tisch, holte Bier aus dem Keller und rief nach den Männern.
Karl hatte inzwischen die Reinschrift vollendet, räumte in den Schrank, was nicht
verstanden durfte, und eilte in die Küche, wo Vater und Schwester sich stumm gegen¬
über saßen.

Sie aßen auch zu dritt einsam weiter; der Vater fing noch ein, zwei mal an
von seinem Neusten zu reden, mit einem kindlichen Eifer um Lineus verschlossenem
Gesicht vorbei; da aber der Sohn hier keine Autwort wagte, schwieg auch er
endlich.

Karl empfand heftig das Unrecht, das an der Schwester geschah, die müde
vom vollendeten Tagewerk heimkam und dann noch der Männer versäumte Arbeit




Der goldne Engel
Luise Glaß Lrzählung von
(Forschung)

nngsam kam die Johannisdämmcrung herauf, sie ließ Line Stadel
Zeit; der goldne Himmel warf sein heitres Licht auf ihren Stein,
aber er machte sie nicht froh. Dem Gespenst, das die Arbeitszeit
der Männer verschlang, fühlte sie sich widerwillig dienstbar, und
das bittre Gefühl, das ihr Herz beengte, wurde stärker, als sie Vater
und Bruder endlich zusammen den Gang entlang kommen horte.

Heiter klang des Alten Stimme über den Hof hin, er redete vom Gas —
welches das kräftigste sei, und vom Metall — welches das leichteste sei.

Denn leicht, leicht muß es werden, alles andre ist Kinderspiel, alles andre
folgt daraus, wie das Fliegen ans den Luftröhren der Vogelfeder folgt — leicht —
leicht — die Erde darf uicht mehr —

Da kam er am Werkstattfettster vorbei nud sah Karolinen sitzen. Er ließ un¬
ausgesprochen, was die Erde nicht mehr durfte, er ließ aber auch das Mißbehagen,
das ihn bei Karolinens Anblick packte, nicht über sich Herr werde». Er hatte es
völlig aufgegeben, Neue zu empfinden, wenn er sah, daß sich die Kinder für ihn
aufopferte«, ohne vorwärts zu kommen. Sie opferten sich ja gar nicht für ihn,
sondern für die Menschheit, der er Flügel geben würde, und nebenbei für sich selber,
denen die beflügelte Menschheit ihr Opfer mit Gold und Ehre lohnen mußte —
mir noch ein wenig Geduld! Einstweilen aber hatte die Line ruhig ein freundliches
Gesicht machen können.

Das Mädchen stand mit einer Miene des Vorwurfs auf nud ging in die
Küche; dort stellte sie schnell und ohne freundliche Anordnung das Abendbrot auf
den wachstuchbezognen Tisch, holte Bier aus dem Keller und rief nach den Männern.
Karl hatte inzwischen die Reinschrift vollendet, räumte in den Schrank, was nicht
verstanden durfte, und eilte in die Küche, wo Vater und Schwester sich stumm gegen¬
über saßen.

Sie aßen auch zu dritt einsam weiter; der Vater fing noch ein, zwei mal an
von seinem Neusten zu reden, mit einem kindlichen Eifer um Lineus verschlossenem
Gesicht vorbei; da aber der Sohn hier keine Autwort wagte, schwieg auch er
endlich.

Karl empfand heftig das Unrecht, das an der Schwester geschah, die müde
vom vollendeten Tagewerk heimkam und dann noch der Männer versäumte Arbeit


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[0114] [Abbildung] Der goldne Engel Luise Glaß Lrzählung von (Forschung) nngsam kam die Johannisdämmcrung herauf, sie ließ Line Stadel Zeit; der goldne Himmel warf sein heitres Licht auf ihren Stein, aber er machte sie nicht froh. Dem Gespenst, das die Arbeitszeit der Männer verschlang, fühlte sie sich widerwillig dienstbar, und das bittre Gefühl, das ihr Herz beengte, wurde stärker, als sie Vater und Bruder endlich zusammen den Gang entlang kommen horte. Heiter klang des Alten Stimme über den Hof hin, er redete vom Gas — welches das kräftigste sei, und vom Metall — welches das leichteste sei. Denn leicht, leicht muß es werden, alles andre ist Kinderspiel, alles andre folgt daraus, wie das Fliegen ans den Luftröhren der Vogelfeder folgt — leicht — leicht — die Erde darf uicht mehr — Da kam er am Werkstattfettster vorbei nud sah Karolinen sitzen. Er ließ un¬ ausgesprochen, was die Erde nicht mehr durfte, er ließ aber auch das Mißbehagen, das ihn bei Karolinens Anblick packte, nicht über sich Herr werde». Er hatte es völlig aufgegeben, Neue zu empfinden, wenn er sah, daß sich die Kinder für ihn aufopferte«, ohne vorwärts zu kommen. Sie opferten sich ja gar nicht für ihn, sondern für die Menschheit, der er Flügel geben würde, und nebenbei für sich selber, denen die beflügelte Menschheit ihr Opfer mit Gold und Ehre lohnen mußte — mir noch ein wenig Geduld! Einstweilen aber hatte die Line ruhig ein freundliches Gesicht machen können. Das Mädchen stand mit einer Miene des Vorwurfs auf nud ging in die Küche; dort stellte sie schnell und ohne freundliche Anordnung das Abendbrot auf den wachstuchbezognen Tisch, holte Bier aus dem Keller und rief nach den Männern. Karl hatte inzwischen die Reinschrift vollendet, räumte in den Schrank, was nicht verstanden durfte, und eilte in die Küche, wo Vater und Schwester sich stumm gegen¬ über saßen. Sie aßen auch zu dritt einsam weiter; der Vater fing noch ein, zwei mal an von seinem Neusten zu reden, mit einem kindlichen Eifer um Lineus verschlossenem Gesicht vorbei; da aber der Sohn hier keine Autwort wagte, schwieg auch er endlich. Karl empfand heftig das Unrecht, das an der Schwester geschah, die müde vom vollendeten Tagewerk heimkam und dann noch der Männer versäumte Arbeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/114>, abgerufen am 23.07.2024.