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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

diesem Sinne war vor allem die Ernennung des bisherigen preußischen
Militärbevvllmächtigten, des Generals von Beyer, zum badischen Kriegs¬
minister (23. Februar), denn es galt jetzt die Armee mit streng militärisch¬
monarchischem Geiste zu erfüllen und sie in jeder Beziehung möglichst eng
um das norddeutsche Heer anzuschließen. Das gelang in solchem Grade,
daß die badischen Truppen in Bewaffnung, Ausrüstung, Exerzitinm und
Gliederung 1870 eine vollwertige preußische Division bildeten. Noch enger
wurde diese Verbindung durch den Vertrag mit Preußen, der den Unter¬
thanen beider Staaten gestattete, ihrer Wehrpflicht in dem einen oder dem
andern zu genügen. Auch die Einführung der norddeutschen metrischen Maß-
und Gewichtsordnung, des norddeutschen Nechtshilfegesetzes und des preußischen
Unterstütznngswohnsitzes näherten Baden dem Norden, und so mannigfach auch
die Opposition war, die sich im Lande gegen diese zielbewußte Politik erhob,
so ergaben doch die Wahlen zum Zollparlamcnt 1868 insofern ein für Jolly
günstiges Resultat, als die nationalliberale Partei von vierzehn Sitzen acht
gewann, während in Bayern und Württemberg die Pcirtikularisten und die
Ultramontanen siegten. Damit parallel ging die Zurückweisung des bayrischen
Vorschlages im April 1868, eine süddeutsche Militärkommission zu schaffen,
denn das wäre ein erster Schritt zur Bildung eines Südbundes gewesen, von
dem man in Karlsruhe schlechterdings nichts wissen wollte. Einen Schritt,
die förmliche Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund herbeizuführen,
unternahm Jolly trotzdem nicht; er stand deshalb auch dem darauf zielenden
Antrage Lasters im Reichstage am 24. Februar 1870 fern, wenngleich er den
Gegengründen, die Graf Bismarck in seiner sehr scharfen Rede bei der Debatte
wie in einer verbindlichen Note an den preußischen Gesandten in Karlsruhe
vom 28. Februar anführte, nicht ganz beipflichten konnte, denn er meinte, der
Veitritt Badens würde sofort auch Hessen-Darmstadt und Württemberg zu
demselben Schritte zwingen, auf Bayern aber könne man im nächsten Menschen-
nlter ohnehin nicht rechnen. Er übersah dabei offenbar die europäische Lage nicht
völlig, die Graf Bismarck natürlich besser kannte. Wenn sein Biograph hinzufügt,
die Aufnahme der süddeutschen Staaten länger hinauszuschieben sei deshalb
bedenklich gewesen, weil der Nordbund, sich selbst überlassen, mit der Zeit
zum Einheitsstaat werden mußte und in einen solchen der Süden nicht ein¬
treten konnte, so beruht das auf gründlicher Verkennung der norddeutschen
Verhältnisse.

Die nationale Arbeit mußte Jolly unter fortwährenden Kämpfen teils
mit den Ultramontanen, teils mit seinen eignen Parteigenossen durchführen.
Bis in die sechziger Jahre hinein hatte bei der römischem Geistlichkeit Badens
der Einfluß des milden Generalvikars Heinrichs von Wessenberg (1800--1817),
der im Protestantismus nur eine "Kirche linker Hand" sehen wollte, nach¬
gewirkt, unter seinen Nachfolgern waren dagegen die Jesuiten im Rate des


Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

diesem Sinne war vor allem die Ernennung des bisherigen preußischen
Militärbevvllmächtigten, des Generals von Beyer, zum badischen Kriegs¬
minister (23. Februar), denn es galt jetzt die Armee mit streng militärisch¬
monarchischem Geiste zu erfüllen und sie in jeder Beziehung möglichst eng
um das norddeutsche Heer anzuschließen. Das gelang in solchem Grade,
daß die badischen Truppen in Bewaffnung, Ausrüstung, Exerzitinm und
Gliederung 1870 eine vollwertige preußische Division bildeten. Noch enger
wurde diese Verbindung durch den Vertrag mit Preußen, der den Unter¬
thanen beider Staaten gestattete, ihrer Wehrpflicht in dem einen oder dem
andern zu genügen. Auch die Einführung der norddeutschen metrischen Maß-
und Gewichtsordnung, des norddeutschen Nechtshilfegesetzes und des preußischen
Unterstütznngswohnsitzes näherten Baden dem Norden, und so mannigfach auch
die Opposition war, die sich im Lande gegen diese zielbewußte Politik erhob,
so ergaben doch die Wahlen zum Zollparlamcnt 1868 insofern ein für Jolly
günstiges Resultat, als die nationalliberale Partei von vierzehn Sitzen acht
gewann, während in Bayern und Württemberg die Pcirtikularisten und die
Ultramontanen siegten. Damit parallel ging die Zurückweisung des bayrischen
Vorschlages im April 1868, eine süddeutsche Militärkommission zu schaffen,
denn das wäre ein erster Schritt zur Bildung eines Südbundes gewesen, von
dem man in Karlsruhe schlechterdings nichts wissen wollte. Einen Schritt,
die förmliche Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund herbeizuführen,
unternahm Jolly trotzdem nicht; er stand deshalb auch dem darauf zielenden
Antrage Lasters im Reichstage am 24. Februar 1870 fern, wenngleich er den
Gegengründen, die Graf Bismarck in seiner sehr scharfen Rede bei der Debatte
wie in einer verbindlichen Note an den preußischen Gesandten in Karlsruhe
vom 28. Februar anführte, nicht ganz beipflichten konnte, denn er meinte, der
Veitritt Badens würde sofort auch Hessen-Darmstadt und Württemberg zu
demselben Schritte zwingen, auf Bayern aber könne man im nächsten Menschen-
nlter ohnehin nicht rechnen. Er übersah dabei offenbar die europäische Lage nicht
völlig, die Graf Bismarck natürlich besser kannte. Wenn sein Biograph hinzufügt,
die Aufnahme der süddeutschen Staaten länger hinauszuschieben sei deshalb
bedenklich gewesen, weil der Nordbund, sich selbst überlassen, mit der Zeit
zum Einheitsstaat werden mußte und in einen solchen der Süden nicht ein¬
treten konnte, so beruht das auf gründlicher Verkennung der norddeutschen
Verhältnisse.

Die nationale Arbeit mußte Jolly unter fortwährenden Kämpfen teils
mit den Ultramontanen, teils mit seinen eignen Parteigenossen durchführen.
Bis in die sechziger Jahre hinein hatte bei der römischem Geistlichkeit Badens
der Einfluß des milden Generalvikars Heinrichs von Wessenberg (1800—1817),
der im Protestantismus nur eine „Kirche linker Hand" sehen wollte, nach¬
gewirkt, unter seinen Nachfolgern waren dagegen die Jesuiten im Rate des


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[0075] Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung diesem Sinne war vor allem die Ernennung des bisherigen preußischen Militärbevvllmächtigten, des Generals von Beyer, zum badischen Kriegs¬ minister (23. Februar), denn es galt jetzt die Armee mit streng militärisch¬ monarchischem Geiste zu erfüllen und sie in jeder Beziehung möglichst eng um das norddeutsche Heer anzuschließen. Das gelang in solchem Grade, daß die badischen Truppen in Bewaffnung, Ausrüstung, Exerzitinm und Gliederung 1870 eine vollwertige preußische Division bildeten. Noch enger wurde diese Verbindung durch den Vertrag mit Preußen, der den Unter¬ thanen beider Staaten gestattete, ihrer Wehrpflicht in dem einen oder dem andern zu genügen. Auch die Einführung der norddeutschen metrischen Maß- und Gewichtsordnung, des norddeutschen Nechtshilfegesetzes und des preußischen Unterstütznngswohnsitzes näherten Baden dem Norden, und so mannigfach auch die Opposition war, die sich im Lande gegen diese zielbewußte Politik erhob, so ergaben doch die Wahlen zum Zollparlamcnt 1868 insofern ein für Jolly günstiges Resultat, als die nationalliberale Partei von vierzehn Sitzen acht gewann, während in Bayern und Württemberg die Pcirtikularisten und die Ultramontanen siegten. Damit parallel ging die Zurückweisung des bayrischen Vorschlages im April 1868, eine süddeutsche Militärkommission zu schaffen, denn das wäre ein erster Schritt zur Bildung eines Südbundes gewesen, von dem man in Karlsruhe schlechterdings nichts wissen wollte. Einen Schritt, die förmliche Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund herbeizuführen, unternahm Jolly trotzdem nicht; er stand deshalb auch dem darauf zielenden Antrage Lasters im Reichstage am 24. Februar 1870 fern, wenngleich er den Gegengründen, die Graf Bismarck in seiner sehr scharfen Rede bei der Debatte wie in einer verbindlichen Note an den preußischen Gesandten in Karlsruhe vom 28. Februar anführte, nicht ganz beipflichten konnte, denn er meinte, der Veitritt Badens würde sofort auch Hessen-Darmstadt und Württemberg zu demselben Schritte zwingen, auf Bayern aber könne man im nächsten Menschen- nlter ohnehin nicht rechnen. Er übersah dabei offenbar die europäische Lage nicht völlig, die Graf Bismarck natürlich besser kannte. Wenn sein Biograph hinzufügt, die Aufnahme der süddeutschen Staaten länger hinauszuschieben sei deshalb bedenklich gewesen, weil der Nordbund, sich selbst überlassen, mit der Zeit zum Einheitsstaat werden mußte und in einen solchen der Süden nicht ein¬ treten konnte, so beruht das auf gründlicher Verkennung der norddeutschen Verhältnisse. Die nationale Arbeit mußte Jolly unter fortwährenden Kämpfen teils mit den Ultramontanen, teils mit seinen eignen Parteigenossen durchführen. Bis in die sechziger Jahre hinein hatte bei der römischem Geistlichkeit Badens der Einfluß des milden Generalvikars Heinrichs von Wessenberg (1800—1817), der im Protestantismus nur eine „Kirche linker Hand" sehen wollte, nach¬ gewirkt, unter seinen Nachfolgern waren dagegen die Jesuiten im Rate des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/75>, abgerufen am 04.07.2024.