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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Lebensfreude, worauf die Jugend vor allen Dingen ein Recht habe. Wie poetisch
es sei, daß sie über das Alter den Sieg gewinne. Und dann die Wehmut, die
man der Wanda nachfühle, daß auch sie der Natur ihren Tribut zahlen müsse.
Denke dir, Elsa brauchte wörtlich die Phrase- "Der Natur ihren Tribut zahlen."
Wie rührend das alles sei!

,,Der Natur ihren Tribut zahlen," wiederholte ich für mich. Ich hätte viel
darum gegeben, wenn sich meine Schwester wenigstens nicht durch diese Phrase
herabgesetzt hätte. Ich sah sie an -- noch immer das alte gütige Gesicht.

Elsa -- entgegnete ich, so weich und sanft, wie es mir nur möglich war. --
Elsa, wir "vollen uns einigen. Wir sind gar nicht die Parteien, wir erfahren nur
die Ehre, die ewigen, natürlichen Gegensätze unsrer Geschlechter vorzustellen. Und
die siud es allein, die ihre Meiningen austauschen. Aber das kannst und mußt
auch dn als Frau zugeben, daß Geschichten dieser Art einen Hohn auf die Kunst
darstellen, daß sie unsittlich wirken, weil sie das Leben als eine Reihe von Unter¬
haltungen darstellen, weil sie nur das Vergnügen und niemals die Arbeit ideali-
siren, weil sie nur die kleinen Herzenskonflikte und die kleinen Leiden der Gesell¬
schaft, nicht aber die ernsten Kämpfe kennen, bei denen es sich lohnt gerührt zu
sein, weil sie Beweggründe und Ziele als berechtigt und sittlich hinstellen, die eigent¬
lich verwerflich sind, die . . .

Ich hätte gern noch mehr gesagt, aber die Arme sah mich mit ganz erschrocknen
Angen an, als teile sie mit einem Wahnsinnigen die Zelle.

Ich mußte einlenken.

Elsa -- tröstete ich -- sei munter! Es kam uur so heraus. Von meinem
Standpunkte glaube ich freilich auch jetzt noch recht zu haben. Aber wer weiß,
vielleicht dächte ich so wie dn, hieße ich Elsa, trüge Unterröcke und hätte ich ein
so sanftes Gesicht und eine so reizende Theeschürze, wie du.

Ich "ahn alles zurück und flüchtete mich hierher, das verwünschte Zeitungs¬
blatt in der Hand.

Bester Freund, so schloß Gersried seine Bekenntnisse, das ist das Furchtbare
bei dieser Weiberlitteratur. Männer und Frnueu, wir verstehen uns nicht mehr!


Timm Aröger


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Weisheitslehrer. Männer, die unter dem Volke umhergehend, dessen
Denke" aufzuklären und auf ein Höheres zu richten bestrebt waren, sind zuerst
Philosophen genannt worden. Als sie fanden, daß die Masse schwer von Begriffen
und durch geistige Interessen schwer zu erregen sei, haben sie sich mehr und mehr
auf einen Schülerkreis zurückgezogen, der immer enger wurde, und zuletzt ist aus
der Philosophie eine aus spitzfindigen Denkkunstflückchen bestehende, in unverständ¬
licher Sprache vorgetrcigue Fachwissenschaft geworden. Die Folge davon war, daß
in einer Zeit, der es weder an gewinnbringenden noch an stürmisch aufregenden
Interessen fehlt, zuletzt auch dem kleinsten Symmystcnbundc die Rekruten zu fehlen
begannen, und daß die Philosophen, wenn ihre Wissenschaft nicht zu einer bloßen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Lebensfreude, worauf die Jugend vor allen Dingen ein Recht habe. Wie poetisch
es sei, daß sie über das Alter den Sieg gewinne. Und dann die Wehmut, die
man der Wanda nachfühle, daß auch sie der Natur ihren Tribut zahlen müsse.
Denke dir, Elsa brauchte wörtlich die Phrase- „Der Natur ihren Tribut zahlen."
Wie rührend das alles sei!

,,Der Natur ihren Tribut zahlen," wiederholte ich für mich. Ich hätte viel
darum gegeben, wenn sich meine Schwester wenigstens nicht durch diese Phrase
herabgesetzt hätte. Ich sah sie an — noch immer das alte gütige Gesicht.

Elsa — entgegnete ich, so weich und sanft, wie es mir nur möglich war. —
Elsa, wir »vollen uns einigen. Wir sind gar nicht die Parteien, wir erfahren nur
die Ehre, die ewigen, natürlichen Gegensätze unsrer Geschlechter vorzustellen. Und
die siud es allein, die ihre Meiningen austauschen. Aber das kannst und mußt
auch dn als Frau zugeben, daß Geschichten dieser Art einen Hohn auf die Kunst
darstellen, daß sie unsittlich wirken, weil sie das Leben als eine Reihe von Unter¬
haltungen darstellen, weil sie nur das Vergnügen und niemals die Arbeit ideali-
siren, weil sie nur die kleinen Herzenskonflikte und die kleinen Leiden der Gesell¬
schaft, nicht aber die ernsten Kämpfe kennen, bei denen es sich lohnt gerührt zu
sein, weil sie Beweggründe und Ziele als berechtigt und sittlich hinstellen, die eigent¬
lich verwerflich sind, die . . .

Ich hätte gern noch mehr gesagt, aber die Arme sah mich mit ganz erschrocknen
Angen an, als teile sie mit einem Wahnsinnigen die Zelle.

Ich mußte einlenken.

Elsa — tröstete ich — sei munter! Es kam uur so heraus. Von meinem
Standpunkte glaube ich freilich auch jetzt noch recht zu haben. Aber wer weiß,
vielleicht dächte ich so wie dn, hieße ich Elsa, trüge Unterröcke und hätte ich ein
so sanftes Gesicht und eine so reizende Theeschürze, wie du.

Ich »ahn alles zurück und flüchtete mich hierher, das verwünschte Zeitungs¬
blatt in der Hand.

Bester Freund, so schloß Gersried seine Bekenntnisse, das ist das Furchtbare
bei dieser Weiberlitteratur. Männer und Frnueu, wir verstehen uns nicht mehr!


Timm Aröger


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Weisheitslehrer. Männer, die unter dem Volke umhergehend, dessen
Denke» aufzuklären und auf ein Höheres zu richten bestrebt waren, sind zuerst
Philosophen genannt worden. Als sie fanden, daß die Masse schwer von Begriffen
und durch geistige Interessen schwer zu erregen sei, haben sie sich mehr und mehr
auf einen Schülerkreis zurückgezogen, der immer enger wurde, und zuletzt ist aus
der Philosophie eine aus spitzfindigen Denkkunstflückchen bestehende, in unverständ¬
licher Sprache vorgetrcigue Fachwissenschaft geworden. Die Folge davon war, daß
in einer Zeit, der es weder an gewinnbringenden noch an stürmisch aufregenden
Interessen fehlt, zuletzt auch dem kleinsten Symmystcnbundc die Rekruten zu fehlen
begannen, und daß die Philosophen, wenn ihre Wissenschaft nicht zu einer bloßen


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[0721] Maßgebliches und Unmaßgebliches Lebensfreude, worauf die Jugend vor allen Dingen ein Recht habe. Wie poetisch es sei, daß sie über das Alter den Sieg gewinne. Und dann die Wehmut, die man der Wanda nachfühle, daß auch sie der Natur ihren Tribut zahlen müsse. Denke dir, Elsa brauchte wörtlich die Phrase- „Der Natur ihren Tribut zahlen." Wie rührend das alles sei! ,,Der Natur ihren Tribut zahlen," wiederholte ich für mich. Ich hätte viel darum gegeben, wenn sich meine Schwester wenigstens nicht durch diese Phrase herabgesetzt hätte. Ich sah sie an — noch immer das alte gütige Gesicht. Elsa — entgegnete ich, so weich und sanft, wie es mir nur möglich war. — Elsa, wir »vollen uns einigen. Wir sind gar nicht die Parteien, wir erfahren nur die Ehre, die ewigen, natürlichen Gegensätze unsrer Geschlechter vorzustellen. Und die siud es allein, die ihre Meiningen austauschen. Aber das kannst und mußt auch dn als Frau zugeben, daß Geschichten dieser Art einen Hohn auf die Kunst darstellen, daß sie unsittlich wirken, weil sie das Leben als eine Reihe von Unter¬ haltungen darstellen, weil sie nur das Vergnügen und niemals die Arbeit ideali- siren, weil sie nur die kleinen Herzenskonflikte und die kleinen Leiden der Gesell¬ schaft, nicht aber die ernsten Kämpfe kennen, bei denen es sich lohnt gerührt zu sein, weil sie Beweggründe und Ziele als berechtigt und sittlich hinstellen, die eigent¬ lich verwerflich sind, die . . . Ich hätte gern noch mehr gesagt, aber die Arme sah mich mit ganz erschrocknen Angen an, als teile sie mit einem Wahnsinnigen die Zelle. Ich mußte einlenken. Elsa — tröstete ich — sei munter! Es kam uur so heraus. Von meinem Standpunkte glaube ich freilich auch jetzt noch recht zu haben. Aber wer weiß, vielleicht dächte ich so wie dn, hieße ich Elsa, trüge Unterröcke und hätte ich ein so sanftes Gesicht und eine so reizende Theeschürze, wie du. Ich »ahn alles zurück und flüchtete mich hierher, das verwünschte Zeitungs¬ blatt in der Hand. Bester Freund, so schloß Gersried seine Bekenntnisse, das ist das Furchtbare bei dieser Weiberlitteratur. Männer und Frnueu, wir verstehen uns nicht mehr! Timm Aröger Maßgebliches und Unmaßgebliches Weisheitslehrer. Männer, die unter dem Volke umhergehend, dessen Denke» aufzuklären und auf ein Höheres zu richten bestrebt waren, sind zuerst Philosophen genannt worden. Als sie fanden, daß die Masse schwer von Begriffen und durch geistige Interessen schwer zu erregen sei, haben sie sich mehr und mehr auf einen Schülerkreis zurückgezogen, der immer enger wurde, und zuletzt ist aus der Philosophie eine aus spitzfindigen Denkkunstflückchen bestehende, in unverständ¬ licher Sprache vorgetrcigue Fachwissenschaft geworden. Die Folge davon war, daß in einer Zeit, der es weder an gewinnbringenden noch an stürmisch aufregenden Interessen fehlt, zuletzt auch dem kleinsten Symmystcnbundc die Rekruten zu fehlen begannen, und daß die Philosophen, wenn ihre Wissenschaft nicht zu einer bloßen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/721>, abgerufen am 24.07.2024.