Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Zur äußern Geschichte unsrer Sprache deutscher Zeit das Romanische in der Westschweiz zurückgedrängt, in der Ost¬ Viel wechselvoller sind die Schicksale der deutschen Sprachgrenze im Osten ^ Beispiele bei Lamprecht, Deutsche Geschichte, IV, 137,
Zur äußern Geschichte unsrer Sprache deutscher Zeit das Romanische in der Westschweiz zurückgedrängt, in der Ost¬ Viel wechselvoller sind die Schicksale der deutschen Sprachgrenze im Osten ^ Beispiele bei Lamprecht, Deutsche Geschichte, IV, 137,
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Zur äußern Geschichte unsrer Sprache
deutscher Zeit das Romanische in der Westschweiz zurückgedrängt, in der Ost¬
schweiz und im Vorarlberg schon seit dem zehnten Jahrhundert, und auch in
Südtirol verlief die Sprachgrenze im vierzehnten Jahrhundert bedeutend weiter
südlich als heute. Die neuern Jahrhunderte zeigen dem gegenüber auch an der
Peripherie die Folgen des Absterbens der Zentralgewalt, der Unterwerfung
der deutschen Kultur unter die italienische und französische, des Verlustes an
Achtung des deutschen Namens im Auslande. Bis 1866 ist das Romanische
in Südtirol unablässig vorgerückt, erst mit der Abtretung Venetiens und der
Lombardei an Italien ist der Verwelschung wirksam gesteuert worden. Das
Französische ist an der obern Rhone wieder heraufgerückt <im siebzehnten Jahr¬
hundert wurde noch bis Sitten hinunter Deutsch gesprochen), namentlich seit
der Revolutionszeit ist es im Schweizer Jura vorgedrungen. Was das aus¬
gehende Mittelalter das Deutschtum in Elsaß-Lothringen hatte gewinnen lassen,
ist von 1550 bis 1870 von den Franzosen zurückerobert worden. Flandern
siel 1385 an Burgund, ein französisch charakterisirtes Reich, die Sprache des
öffentlichen Lebens blieb zwar die vlämische, sie wurde aber so verwelscht, *)
wie es die reichsdeutsche kaum während des dreißigjährigen Krieges erlebt hat,
und das war nur das Vorspiel für den allmählichen Rückgang der Sprach¬
grenze im Volke: im siebzehnten Jahrhundert reichte das deutsche Sprachgebiet
noch südlich bis über Boulogne hinaus, und im Anfange des achtzehnten Jahr¬
hunderts lag die Sprachgrenze immer noch vor den Thoren von Calais, heute
ist längst das letzte vlämische Wort in Lille, Tournay, Douai, Ccimbrai,
Valenciennes verklungen. Hoffentlich wird die vlämische Bewegung unsrer
Tage dem romanischen Vordringen ans nordwestdeutschem Sprachgebiet ein
ebenso entschiednes Halt zurufen, wie es die Jahre 1870 und 1866 an be¬
drohten Punkten im Westen und Süden gethan haben.
Viel wechselvoller sind die Schicksale der deutschen Sprachgrenze im Osten
gewesen, und viel unruhiger ist dementsprechend heute noch das Greuzbild. Die
Nachbarn sind tief ineinander geschoben. Massen von Polen und Tscheche»
sind ans altem deutschen Reichsboden eingesprengt, und mitten in ungarischer Um¬
gebung sitzen die Hermaunstädter, Vistritzer und Kronstüdter Gruppen der sieben-
bürgischen Sachsen, im slowakischen Sprachgebiet die deutschen Bauern der Zips
und im slowenischen die der Gottschee, im tschechischen namentlich die Deutschen
um Iglau, und 10 Prozent der Bewohner Kurlands, Livlands und Esth¬
lands macht in diesen Provinzen die deutsch redende Schicht der Gebildeten aus.
Nieder- und Oberland von Oder und Weichsel und die mittlere Donau wurden
für slawisches und avarisches Heranfluten frei, als die dort ansässigen germanische»
Stämme dem Zuge der Völkerwanderung folgten. So wurden Trave, Elbe,
Saale, Böhmerwald und Enns die Sprachgrenze, bis unter Karl dem Große»
^ Beispiele bei Lamprecht, Deutsche Geschichte, IV, 137,
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