Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

widerwillig und murrend, gehorchte. Bekanntlich hat Windthorst wiederholt
gesagt, er wünsche, daß Bismarck bis nach dem konfessionellen Friedensschluß
am Leben und am Ruder bleibe, denn kein andrer Minister würde die Macht
haben, die Aufhebung der Maigesetze durchzusetzen. Es war also ein zwar
verfassungsmäßiger aber thatsächlicher Ministerabsolutismus, der den
Katholiken des Deutschen Reiches zu dem verholfen hat, was sie ihr Recht
'kennen, und nur der Absolutismus, nimmermehr der Konstitutionalismus oder
-Parlamentarismus, könnte auch den Deutschen Österreichs zu ihrem Recht ver¬
helfen. Nun geht es aber uicht gut an, daß gerade die Deutschen den Abso¬
lutismus verlangen, und so weit er schon jetzt herrscht, will er den Deutschen
'"ehe helfe". Warum er nicht will, das weiß alle Welt. Schönerers Fraktion
hat nur wenig Mitglieder, aber Schönerers Geist und Gesinnung ist die Seele
^er deutschuationalen Bewegung. Die deutschen Studenten haben seit fünfzehn
wahren für schönerer, d. h. für Bismarck und für den Anschluß an Deutsch¬
land, Preußen geschwürint (dafür, daß gerade Bismarck diesen Anschluß
Alast wollte, sind sie taub),*) und zehn Jahrgänge dieser Studenten nehmen
letzt amtliche Stellungen ein. Vrba hat eine Anzahl von Kundgebungen großer
Volksversammlungen, die den Anschluß an Deutschland fordern, zusammen¬
gestellt. Wo bliebe denn auch der Schwung der deutschnationalen Bewegung,
wenn ihr entweder die Klerikalen oder die "Judenliberalen" die Seele ein¬
hauchen sollten! Und was nützt es, wenn ehrliche reichsdeutsche Freunde der
österreichischen Deutschen deren Kornblumenenthusiasmus eine verbrecherische
Thorheit schelten! Das ist so, als ob man einen beinahe Ertrinkender, der
"ach dem nahen Ufergras greift, zurufen wollte: Hier darfst du nicht aussteigen,
du mußt ans jenseitige Ufer hinüber schwimmen! Sämtliche Habsburger möchten
deutsch gesinnt sein wie der deutscheste Patriot, wie schönerer selbst, unter
diesen Umstünden wäre es wider die Natur, wenn sie in ihrem Staate den
Deutschen zur Macht verhelfen wollten; nur die Unentbehrlichkeit des Deutschen
als Armeesprache bereitet der offiziellen Slawisirung des Kaiserstaats noch
"nige Hindernisse.

Geht es also weder mit dem Parlamentarismus noch mit dem Absolutismus,
!v bleibt nur noch ein Weg übrig, der wenigstens die kerndeutschen Alpen¬
provinzen vor dem slawischen Einfluß sichern würde: die Dezentmlisirung, die
"Verländerung." In einem die Alpenprovinzen umfassenden Teilstaate würden
dre Südslawen und Italiener zusammen nur etwa ein Viertel der Bevölkerung
ausmachen, könnten also gegen die Deutschen nicht aufkommen. Und dieser
^eg ist gangbar, weil er mit der Verwirklichung des tschechischen Ideals be-
6">"en könnte. So lächerlich die Wenzelkrone und das "böhmische Staats-



, ') Aus privaten Mitteilungen weiß ich. daß die starken und ehrlich gemeinten Zurück¬
weisungen der Kornblumendeutschen in offiziösen Berliner Blättern seiner Zeit in Österreich für
lplvmatischen Schein gehalten worden sind.

widerwillig und murrend, gehorchte. Bekanntlich hat Windthorst wiederholt
gesagt, er wünsche, daß Bismarck bis nach dem konfessionellen Friedensschluß
am Leben und am Ruder bleibe, denn kein andrer Minister würde die Macht
haben, die Aufhebung der Maigesetze durchzusetzen. Es war also ein zwar
verfassungsmäßiger aber thatsächlicher Ministerabsolutismus, der den
Katholiken des Deutschen Reiches zu dem verholfen hat, was sie ihr Recht
'kennen, und nur der Absolutismus, nimmermehr der Konstitutionalismus oder
-Parlamentarismus, könnte auch den Deutschen Österreichs zu ihrem Recht ver¬
helfen. Nun geht es aber uicht gut an, daß gerade die Deutschen den Abso¬
lutismus verlangen, und so weit er schon jetzt herrscht, will er den Deutschen
'"ehe helfe». Warum er nicht will, das weiß alle Welt. Schönerers Fraktion
hat nur wenig Mitglieder, aber Schönerers Geist und Gesinnung ist die Seele
^er deutschuationalen Bewegung. Die deutschen Studenten haben seit fünfzehn
wahren für schönerer, d. h. für Bismarck und für den Anschluß an Deutsch¬
land, Preußen geschwürint (dafür, daß gerade Bismarck diesen Anschluß
Alast wollte, sind sie taub),*) und zehn Jahrgänge dieser Studenten nehmen
letzt amtliche Stellungen ein. Vrba hat eine Anzahl von Kundgebungen großer
Volksversammlungen, die den Anschluß an Deutschland fordern, zusammen¬
gestellt. Wo bliebe denn auch der Schwung der deutschnationalen Bewegung,
wenn ihr entweder die Klerikalen oder die „Judenliberalen" die Seele ein¬
hauchen sollten! Und was nützt es, wenn ehrliche reichsdeutsche Freunde der
österreichischen Deutschen deren Kornblumenenthusiasmus eine verbrecherische
Thorheit schelten! Das ist so, als ob man einen beinahe Ertrinkender, der
"ach dem nahen Ufergras greift, zurufen wollte: Hier darfst du nicht aussteigen,
du mußt ans jenseitige Ufer hinüber schwimmen! Sämtliche Habsburger möchten
deutsch gesinnt sein wie der deutscheste Patriot, wie schönerer selbst, unter
diesen Umstünden wäre es wider die Natur, wenn sie in ihrem Staate den
Deutschen zur Macht verhelfen wollten; nur die Unentbehrlichkeit des Deutschen
als Armeesprache bereitet der offiziellen Slawisirung des Kaiserstaats noch
"nige Hindernisse.

Geht es also weder mit dem Parlamentarismus noch mit dem Absolutismus,
!v bleibt nur noch ein Weg übrig, der wenigstens die kerndeutschen Alpen¬
provinzen vor dem slawischen Einfluß sichern würde: die Dezentmlisirung, die
"Verländerung." In einem die Alpenprovinzen umfassenden Teilstaate würden
dre Südslawen und Italiener zusammen nur etwa ein Viertel der Bevölkerung
ausmachen, könnten also gegen die Deutschen nicht aufkommen. Und dieser
^eg ist gangbar, weil er mit der Verwirklichung des tschechischen Ideals be-
6">"en könnte. So lächerlich die Wenzelkrone und das „böhmische Staats-



, ') Aus privaten Mitteilungen weiß ich. daß die starken und ehrlich gemeinten Zurück¬
weisungen der Kornblumendeutschen in offiziösen Berliner Blättern seiner Zeit in Österreich für
lplvmatischen Schein gehalten worden sind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0702" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229651"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2440" prev="#ID_2439"> widerwillig und murrend, gehorchte. Bekanntlich hat Windthorst wiederholt<lb/>
gesagt, er wünsche, daß Bismarck bis nach dem konfessionellen Friedensschluß<lb/>
am Leben und am Ruder bleibe, denn kein andrer Minister würde die Macht<lb/>
haben, die Aufhebung der Maigesetze durchzusetzen.  Es war also ein zwar<lb/>
verfassungsmäßiger aber thatsächlicher Ministerabsolutismus, der den<lb/>
Katholiken des Deutschen Reiches zu dem verholfen hat, was sie ihr Recht<lb/>
'kennen, und nur der Absolutismus, nimmermehr der Konstitutionalismus oder<lb/>
-Parlamentarismus, könnte auch den Deutschen Österreichs zu ihrem Recht ver¬<lb/>
helfen.  Nun geht es aber uicht gut an, daß gerade die Deutschen den Abso¬<lb/>
lutismus verlangen, und so weit er schon jetzt herrscht, will er den Deutschen<lb/>
'"ehe helfe». Warum er nicht will, das weiß alle Welt. Schönerers Fraktion<lb/>
hat nur wenig Mitglieder, aber Schönerers Geist und Gesinnung ist die Seele<lb/>
^er deutschuationalen Bewegung. Die deutschen Studenten haben seit fünfzehn<lb/>
wahren für schönerer, d. h. für Bismarck und für den Anschluß an Deutsch¬<lb/>
land,   Preußen geschwürint (dafür, daß gerade Bismarck diesen Anschluß<lb/>
Alast wollte, sind sie taub),*) und zehn Jahrgänge dieser Studenten nehmen<lb/>
letzt amtliche Stellungen ein. Vrba hat eine Anzahl von Kundgebungen großer<lb/>
Volksversammlungen, die den Anschluß an Deutschland fordern, zusammen¬<lb/>
gestellt. Wo bliebe denn auch der Schwung der deutschnationalen Bewegung,<lb/>
wenn ihr entweder die Klerikalen oder die &#x201E;Judenliberalen" die Seele ein¬<lb/>
hauchen sollten! Und was nützt es, wenn ehrliche reichsdeutsche Freunde der<lb/>
österreichischen Deutschen deren Kornblumenenthusiasmus eine verbrecherische<lb/>
Thorheit schelten!  Das ist so, als ob man einen beinahe Ertrinkender, der<lb/>
"ach dem nahen Ufergras greift, zurufen wollte: Hier darfst du nicht aussteigen,<lb/>
du mußt ans jenseitige Ufer hinüber schwimmen! Sämtliche Habsburger möchten<lb/>
deutsch gesinnt sein wie der deutscheste Patriot, wie schönerer selbst, unter<lb/>
diesen Umstünden wäre es wider die Natur, wenn sie in ihrem Staate den<lb/>
Deutschen zur Macht verhelfen wollten; nur die Unentbehrlichkeit des Deutschen<lb/>
als Armeesprache bereitet der offiziellen Slawisirung des Kaiserstaats noch<lb/>
"nige Hindernisse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2441" next="#ID_2442"> Geht es also weder mit dem Parlamentarismus noch mit dem Absolutismus,<lb/>
!v bleibt nur noch ein Weg übrig, der wenigstens die kerndeutschen Alpen¬<lb/>
provinzen vor dem slawischen Einfluß sichern würde: die Dezentmlisirung, die<lb/>
"Verländerung." In einem die Alpenprovinzen umfassenden Teilstaate würden<lb/>
dre Südslawen und Italiener zusammen nur etwa ein Viertel der Bevölkerung<lb/>
ausmachen, könnten also gegen die Deutschen nicht aufkommen. Und dieser<lb/>
^eg ist gangbar, weil er mit der Verwirklichung des tschechischen Ideals be-<lb/>
6"&gt;"en könnte.  So lächerlich die Wenzelkrone und das &#x201E;böhmische Staats-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_75" place="foot"> ,  ') Aus privaten Mitteilungen weiß ich. daß die starken und ehrlich gemeinten Zurück¬<lb/>
weisungen der Kornblumendeutschen in offiziösen Berliner Blättern seiner Zeit in Österreich für<lb/>
lplvmatischen Schein gehalten worden sind.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0702] widerwillig und murrend, gehorchte. Bekanntlich hat Windthorst wiederholt gesagt, er wünsche, daß Bismarck bis nach dem konfessionellen Friedensschluß am Leben und am Ruder bleibe, denn kein andrer Minister würde die Macht haben, die Aufhebung der Maigesetze durchzusetzen. Es war also ein zwar verfassungsmäßiger aber thatsächlicher Ministerabsolutismus, der den Katholiken des Deutschen Reiches zu dem verholfen hat, was sie ihr Recht 'kennen, und nur der Absolutismus, nimmermehr der Konstitutionalismus oder -Parlamentarismus, könnte auch den Deutschen Österreichs zu ihrem Recht ver¬ helfen. Nun geht es aber uicht gut an, daß gerade die Deutschen den Abso¬ lutismus verlangen, und so weit er schon jetzt herrscht, will er den Deutschen '"ehe helfe». Warum er nicht will, das weiß alle Welt. Schönerers Fraktion hat nur wenig Mitglieder, aber Schönerers Geist und Gesinnung ist die Seele ^er deutschuationalen Bewegung. Die deutschen Studenten haben seit fünfzehn wahren für schönerer, d. h. für Bismarck und für den Anschluß an Deutsch¬ land, Preußen geschwürint (dafür, daß gerade Bismarck diesen Anschluß Alast wollte, sind sie taub),*) und zehn Jahrgänge dieser Studenten nehmen letzt amtliche Stellungen ein. Vrba hat eine Anzahl von Kundgebungen großer Volksversammlungen, die den Anschluß an Deutschland fordern, zusammen¬ gestellt. Wo bliebe denn auch der Schwung der deutschnationalen Bewegung, wenn ihr entweder die Klerikalen oder die „Judenliberalen" die Seele ein¬ hauchen sollten! Und was nützt es, wenn ehrliche reichsdeutsche Freunde der österreichischen Deutschen deren Kornblumenenthusiasmus eine verbrecherische Thorheit schelten! Das ist so, als ob man einen beinahe Ertrinkender, der "ach dem nahen Ufergras greift, zurufen wollte: Hier darfst du nicht aussteigen, du mußt ans jenseitige Ufer hinüber schwimmen! Sämtliche Habsburger möchten deutsch gesinnt sein wie der deutscheste Patriot, wie schönerer selbst, unter diesen Umstünden wäre es wider die Natur, wenn sie in ihrem Staate den Deutschen zur Macht verhelfen wollten; nur die Unentbehrlichkeit des Deutschen als Armeesprache bereitet der offiziellen Slawisirung des Kaiserstaats noch "nige Hindernisse. Geht es also weder mit dem Parlamentarismus noch mit dem Absolutismus, !v bleibt nur noch ein Weg übrig, der wenigstens die kerndeutschen Alpen¬ provinzen vor dem slawischen Einfluß sichern würde: die Dezentmlisirung, die "Verländerung." In einem die Alpenprovinzen umfassenden Teilstaate würden dre Südslawen und Italiener zusammen nur etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, könnten also gegen die Deutschen nicht aufkommen. Und dieser ^eg ist gangbar, weil er mit der Verwirklichung des tschechischen Ideals be- 6">"en könnte. So lächerlich die Wenzelkrone und das „böhmische Staats- , ') Aus privaten Mitteilungen weiß ich. daß die starken und ehrlich gemeinten Zurück¬ weisungen der Kornblumendeutschen in offiziösen Berliner Blättern seiner Zeit in Österreich für lplvmatischen Schein gehalten worden sind.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/702
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/702>, abgerufen am 24.07.2024.