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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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den willkommnen Vorwand, sich vor sich und Europa zu rechtfertigen. Und es
schmeichelte allerdings dem Nationalstolz der Amerikaner gewaltig, einmal an
der Reihe zu sein, zivilisatorische Absichten gegen Europa geltend zu machen.
Schon der junge Amerikaner berauscht sich ja beim Studium jeder Seite seiner
Geschichte -- von der des Auslands lernt er durchschnittlich recht wenig --
Mi den Zauberworten "Freiheit" und - nicht "Gleichheit." wie man es bei
uns der Revolution nachspricht, sondern "Unabhängigkeit," und zwar von den
Bedrückungen Europas. Nur diese traditionelle Schwärmerei macht es ver¬
ständlich, daß man vor dem Kriege fast von jedem Amerikaner, mit dem
"wu zu thun hatte, von entrüsteten Auslassungen über die Barbarei und
Roheit der Spanier überschüttet wurde, während die eigne Bildung dabei im
hellsten Lichte erstrahlte. So etwas gehört nun einmal in Amerika zum festen
Bestand der sonst nicht sehr reichen geistigen Überlieferung. Umso lohnender
ist die Untersuchung, inwieweit denn in der Zeit ihrer politischen Selbständig¬
keit wirkliche Thaten und Opfer der Vereinigten Staaten diesem so beliebten
Reden von Freiheit und Menschenwürde entsprochen haben.

In dem Unabhängigkeitskampfe von 1775 bis 1783 gegen das Mutter¬
land verschlingen sich merkwürdig die nüchternsten Erwerbsinteressen, die Be¬
teiligung an der Besteuerung und Kontrolle ihres Handels, mit trotzigem
Selbstgefühl und Unabhängigkeitsbewußtsein, wie es so vereinigt nur un eng¬
lischen Volkscharakter vorzukommen pflegt. Auch damals wurde zwar genug
von angebornen Freiheiten und Menschenrechten geredet und von den Führern
das politisch noch ungeschulte Volk aufgestachelt, mit Erfolg aber nur. weil
die hohen Ideen den bedrohten Erwerbsinteressen und dem angebornen Frei¬
heitsgefühl des amerikanischen Farmers Worte liehen. Niemals aber hat man
sich für diese Gedanken rein um ihres überzeugenden und menschlich groneu
Wahrheitsgehalts willen zu begeistern verstanden, wie in den Revolutionen
Europas - abgesehen von der englischen. Ob die ungeheuern Eiseuvorrate.
die der amerikanische Boden barg, nur zollfrei als Roheisen in die Walzwerke
und Gießereien des Mutterlandes wandern sollten, statt von den gewerbflelß.geu
Kolonisten selbst bearbeitet zu werden - ob Amerika gezwungen werden könnte,
seine Ackergeräte und Kleidungsstoffe nur aus England zu beziehen, statt sie
selbst zu machen - kurz ob das englische Parlament das Recht habe, die
Kolonisten über ihre Köpfe hinweg zu regieren und zu besteuern, das waren
die praktischen Fragen, um die der große Unabhängigkeitskrieg entbrannte, an
dem noch heute jeder amerikanische Bürger seinen Patriotismus entzündet.
Der oft zu abstrakt angelegte Deutsche könnte daran immerhin lernen. Denn
haben nicht die Amerikaner damals vorausgefühlt, daß gerade ihre Technik,
die mächtigen Hilfsquellen ihres Landes, ihr Handelsgeist sie einst zu der
großen und reichen Nation von heute machen würden? Man hatte das Recht
geltend gemacht: Freiheit und Selbstverwaltung auf der eignen Scholle; weiter


den willkommnen Vorwand, sich vor sich und Europa zu rechtfertigen. Und es
schmeichelte allerdings dem Nationalstolz der Amerikaner gewaltig, einmal an
der Reihe zu sein, zivilisatorische Absichten gegen Europa geltend zu machen.
Schon der junge Amerikaner berauscht sich ja beim Studium jeder Seite seiner
Geschichte — von der des Auslands lernt er durchschnittlich recht wenig —
Mi den Zauberworten „Freiheit" und - nicht „Gleichheit." wie man es bei
uns der Revolution nachspricht, sondern „Unabhängigkeit," und zwar von den
Bedrückungen Europas. Nur diese traditionelle Schwärmerei macht es ver¬
ständlich, daß man vor dem Kriege fast von jedem Amerikaner, mit dem
"wu zu thun hatte, von entrüsteten Auslassungen über die Barbarei und
Roheit der Spanier überschüttet wurde, während die eigne Bildung dabei im
hellsten Lichte erstrahlte. So etwas gehört nun einmal in Amerika zum festen
Bestand der sonst nicht sehr reichen geistigen Überlieferung. Umso lohnender
ist die Untersuchung, inwieweit denn in der Zeit ihrer politischen Selbständig¬
keit wirkliche Thaten und Opfer der Vereinigten Staaten diesem so beliebten
Reden von Freiheit und Menschenwürde entsprochen haben.

In dem Unabhängigkeitskampfe von 1775 bis 1783 gegen das Mutter¬
land verschlingen sich merkwürdig die nüchternsten Erwerbsinteressen, die Be¬
teiligung an der Besteuerung und Kontrolle ihres Handels, mit trotzigem
Selbstgefühl und Unabhängigkeitsbewußtsein, wie es so vereinigt nur un eng¬
lischen Volkscharakter vorzukommen pflegt. Auch damals wurde zwar genug
von angebornen Freiheiten und Menschenrechten geredet und von den Führern
das politisch noch ungeschulte Volk aufgestachelt, mit Erfolg aber nur. weil
die hohen Ideen den bedrohten Erwerbsinteressen und dem angebornen Frei¬
heitsgefühl des amerikanischen Farmers Worte liehen. Niemals aber hat man
sich für diese Gedanken rein um ihres überzeugenden und menschlich groneu
Wahrheitsgehalts willen zu begeistern verstanden, wie in den Revolutionen
Europas - abgesehen von der englischen. Ob die ungeheuern Eiseuvorrate.
die der amerikanische Boden barg, nur zollfrei als Roheisen in die Walzwerke
und Gießereien des Mutterlandes wandern sollten, statt von den gewerbflelß.geu
Kolonisten selbst bearbeitet zu werden - ob Amerika gezwungen werden könnte,
seine Ackergeräte und Kleidungsstoffe nur aus England zu beziehen, statt sie
selbst zu machen - kurz ob das englische Parlament das Recht habe, die
Kolonisten über ihre Köpfe hinweg zu regieren und zu besteuern, das waren
die praktischen Fragen, um die der große Unabhängigkeitskrieg entbrannte, an
dem noch heute jeder amerikanische Bürger seinen Patriotismus entzündet.
Der oft zu abstrakt angelegte Deutsche könnte daran immerhin lernen. Denn
haben nicht die Amerikaner damals vorausgefühlt, daß gerade ihre Technik,
die mächtigen Hilfsquellen ihres Landes, ihr Handelsgeist sie einst zu der
großen und reichen Nation von heute machen würden? Man hatte das Recht
geltend gemacht: Freiheit und Selbstverwaltung auf der eignen Scholle; weiter


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[0690] den willkommnen Vorwand, sich vor sich und Europa zu rechtfertigen. Und es schmeichelte allerdings dem Nationalstolz der Amerikaner gewaltig, einmal an der Reihe zu sein, zivilisatorische Absichten gegen Europa geltend zu machen. Schon der junge Amerikaner berauscht sich ja beim Studium jeder Seite seiner Geschichte — von der des Auslands lernt er durchschnittlich recht wenig — Mi den Zauberworten „Freiheit" und - nicht „Gleichheit." wie man es bei uns der Revolution nachspricht, sondern „Unabhängigkeit," und zwar von den Bedrückungen Europas. Nur diese traditionelle Schwärmerei macht es ver¬ ständlich, daß man vor dem Kriege fast von jedem Amerikaner, mit dem "wu zu thun hatte, von entrüsteten Auslassungen über die Barbarei und Roheit der Spanier überschüttet wurde, während die eigne Bildung dabei im hellsten Lichte erstrahlte. So etwas gehört nun einmal in Amerika zum festen Bestand der sonst nicht sehr reichen geistigen Überlieferung. Umso lohnender ist die Untersuchung, inwieweit denn in der Zeit ihrer politischen Selbständig¬ keit wirkliche Thaten und Opfer der Vereinigten Staaten diesem so beliebten Reden von Freiheit und Menschenwürde entsprochen haben. In dem Unabhängigkeitskampfe von 1775 bis 1783 gegen das Mutter¬ land verschlingen sich merkwürdig die nüchternsten Erwerbsinteressen, die Be¬ teiligung an der Besteuerung und Kontrolle ihres Handels, mit trotzigem Selbstgefühl und Unabhängigkeitsbewußtsein, wie es so vereinigt nur un eng¬ lischen Volkscharakter vorzukommen pflegt. Auch damals wurde zwar genug von angebornen Freiheiten und Menschenrechten geredet und von den Führern das politisch noch ungeschulte Volk aufgestachelt, mit Erfolg aber nur. weil die hohen Ideen den bedrohten Erwerbsinteressen und dem angebornen Frei¬ heitsgefühl des amerikanischen Farmers Worte liehen. Niemals aber hat man sich für diese Gedanken rein um ihres überzeugenden und menschlich groneu Wahrheitsgehalts willen zu begeistern verstanden, wie in den Revolutionen Europas - abgesehen von der englischen. Ob die ungeheuern Eiseuvorrate. die der amerikanische Boden barg, nur zollfrei als Roheisen in die Walzwerke und Gießereien des Mutterlandes wandern sollten, statt von den gewerbflelß.geu Kolonisten selbst bearbeitet zu werden - ob Amerika gezwungen werden könnte, seine Ackergeräte und Kleidungsstoffe nur aus England zu beziehen, statt sie selbst zu machen - kurz ob das englische Parlament das Recht habe, die Kolonisten über ihre Köpfe hinweg zu regieren und zu besteuern, das waren die praktischen Fragen, um die der große Unabhängigkeitskrieg entbrannte, an dem noch heute jeder amerikanische Bürger seinen Patriotismus entzündet. Der oft zu abstrakt angelegte Deutsche könnte daran immerhin lernen. Denn haben nicht die Amerikaner damals vorausgefühlt, daß gerade ihre Technik, die mächtigen Hilfsquellen ihres Landes, ihr Handelsgeist sie einst zu der großen und reichen Nation von heute machen würden? Man hatte das Recht geltend gemacht: Freiheit und Selbstverwaltung auf der eignen Scholle; weiter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/690>, abgerufen am 24.07.2024.