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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

nächsten Protzkasteu zu setzen und mit davon zu fahren. Inzwischen aber
kommen seine Pferde zurück, und er reitet zum König. Doch dort, wo dieser
jetzt hält, schlagen die Granaten ein. Erst auf Bismarcks dringende Mahnung
verläßt der Monarch die gefährliche Stelle und reitet, während an der Front
der Kampf gegen neun Uhr allmählich erlischt, nach Rezonville zurück. In¬
zwischen ist es völlig dunkel geworden. Beim flackernden Scheine eines Wacht¬
feuers steigt der König ab und nimmt auf einer Leiter Platz, die man als
Bank eingerichtet hat. das eine Ende ruht auf einem erschossenen Schimmel.
Da kam gegen neun Uhr Moltke, der den Vorstoß der Pommern im Abend¬
dunkel geleitet hatte, mit der Meldung, daß der Sieg erföchte" sei. Und nun
diktirte der König dem Grafen Bismarck die Depesche an die Königin Augusta.
die der Kanzler mit Bleistift auf ein herausgerissenes Blatt eines Notizbuches
schrieb. Die schwerste Entscheidung des Krieges war gefallen, erst sie ermög¬
lichte den Sieg von Sedan.

Zehn Monate sind vergangen, es ist der 16. Juni 1871. Ein strahlender
Sommertag, ein wolkenloser Himmel spannt sich über der neuen Neichshaupt-
swdt, Hunderttausende von Menschen füllen die Straßen, die heute die sieg¬
reich heimgekehrte Armee ziehen soll, zahllose Fahne" flattern in den Lüften.
Laubgewinde ziehe" sich von Hans zu Haus, und endlose Reihen eroberter
Geschütze säumen die Linden ein. Da hallen die ersten Glockenschläge durch
die Luft, sie verkünden, daß die Spitze des Zuges beim Hallischen Thore an¬
gelangt sei. allmählich nähert sich das brausende Hurrarufen, und sieh da. nun
kommen sie alle, die siegreichen Heerführer in diesem Kriege ohnegleichen, und
milde., unter ihnen, wie einst in der Schlacht, zwischeu Roon und Moltke.
unmittelbar vor dem Kaiser, der Kanzler des Reichs. Fürst B.smarck! so
reitet er beim Triumphzuge seinem Herrn voran, dem er den Weg gebahnt
hat zum Kaiserthrone; die Freude leuchtet ihm aus deu markige" Zügen, und
scharf schauen die hellen Augen unter dem Stahlhelm hervor auf die jubelnde..
Massen, die die Lüfte erschüttern mit ihrem Zuruf und ihn mit Lorbeerkränzen
bedecken!

Was Fürst Bismarck auf dem Schlachtfelde und im Rate hatte erringen
helfen, das galt es in deu Parlamenten zu vertreten und weiter auszubilden,
fast in beständigem Kampfe mit den verständnislosen, kleinlichen, wohl auch
boshaften Gegnern. So wurde Bismarck zum Redner, zu einem der größten
germanischer Zunge. Und doch war er kein Redner im gewöhnlichen Sinne.
Die Hünengestalt hoch aufgerichtet, immer in Uniform, sprach er mit häufigen
Unterbrechungen, oft stockend, weil er in beständiger Gedankenarbeit unmer erst
die Form, den Ausdruck fand, so sorgfältig er sachlich seine großen Reden vor¬
zubereiten pflegte, und er verschmähte alle rhetorischen Mittel. Aber unwider¬
stehlich wirkten die zwingende Logik, die Weltweite seines Blicks, die ungeheure
Sach- und Personenkenntnis. die urwüchsige Kraft des Ausdrucks und die


Grenzbote" IV 18!"
Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

nächsten Protzkasteu zu setzen und mit davon zu fahren. Inzwischen aber
kommen seine Pferde zurück, und er reitet zum König. Doch dort, wo dieser
jetzt hält, schlagen die Granaten ein. Erst auf Bismarcks dringende Mahnung
verläßt der Monarch die gefährliche Stelle und reitet, während an der Front
der Kampf gegen neun Uhr allmählich erlischt, nach Rezonville zurück. In¬
zwischen ist es völlig dunkel geworden. Beim flackernden Scheine eines Wacht¬
feuers steigt der König ab und nimmt auf einer Leiter Platz, die man als
Bank eingerichtet hat. das eine Ende ruht auf einem erschossenen Schimmel.
Da kam gegen neun Uhr Moltke, der den Vorstoß der Pommern im Abend¬
dunkel geleitet hatte, mit der Meldung, daß der Sieg erföchte» sei. Und nun
diktirte der König dem Grafen Bismarck die Depesche an die Königin Augusta.
die der Kanzler mit Bleistift auf ein herausgerissenes Blatt eines Notizbuches
schrieb. Die schwerste Entscheidung des Krieges war gefallen, erst sie ermög¬
lichte den Sieg von Sedan.

Zehn Monate sind vergangen, es ist der 16. Juni 1871. Ein strahlender
Sommertag, ein wolkenloser Himmel spannt sich über der neuen Neichshaupt-
swdt, Hunderttausende von Menschen füllen die Straßen, die heute die sieg¬
reich heimgekehrte Armee ziehen soll, zahllose Fahne» flattern in den Lüften.
Laubgewinde ziehe» sich von Hans zu Haus, und endlose Reihen eroberter
Geschütze säumen die Linden ein. Da hallen die ersten Glockenschläge durch
die Luft, sie verkünden, daß die Spitze des Zuges beim Hallischen Thore an¬
gelangt sei. allmählich nähert sich das brausende Hurrarufen, und sieh da. nun
kommen sie alle, die siegreichen Heerführer in diesem Kriege ohnegleichen, und
milde., unter ihnen, wie einst in der Schlacht, zwischeu Roon und Moltke.
unmittelbar vor dem Kaiser, der Kanzler des Reichs. Fürst B.smarck! so
reitet er beim Triumphzuge seinem Herrn voran, dem er den Weg gebahnt
hat zum Kaiserthrone; die Freude leuchtet ihm aus deu markige» Zügen, und
scharf schauen die hellen Augen unter dem Stahlhelm hervor auf die jubelnde..
Massen, die die Lüfte erschüttern mit ihrem Zuruf und ihn mit Lorbeerkränzen
bedecken!

Was Fürst Bismarck auf dem Schlachtfelde und im Rate hatte erringen
helfen, das galt es in deu Parlamenten zu vertreten und weiter auszubilden,
fast in beständigem Kampfe mit den verständnislosen, kleinlichen, wohl auch
boshaften Gegnern. So wurde Bismarck zum Redner, zu einem der größten
germanischer Zunge. Und doch war er kein Redner im gewöhnlichen Sinne.
Die Hünengestalt hoch aufgerichtet, immer in Uniform, sprach er mit häufigen
Unterbrechungen, oft stockend, weil er in beständiger Gedankenarbeit unmer erst
die Form, den Ausdruck fand, so sorgfältig er sachlich seine großen Reden vor¬
zubereiten pflegte, und er verschmähte alle rhetorischen Mittel. Aber unwider¬
stehlich wirkten die zwingende Logik, die Weltweite seines Blicks, die ungeheure
Sach- und Personenkenntnis. die urwüchsige Kraft des Ausdrucks und die


Grenzbote» IV 18!«
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[0684] Eine Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis nächsten Protzkasteu zu setzen und mit davon zu fahren. Inzwischen aber kommen seine Pferde zurück, und er reitet zum König. Doch dort, wo dieser jetzt hält, schlagen die Granaten ein. Erst auf Bismarcks dringende Mahnung verläßt der Monarch die gefährliche Stelle und reitet, während an der Front der Kampf gegen neun Uhr allmählich erlischt, nach Rezonville zurück. In¬ zwischen ist es völlig dunkel geworden. Beim flackernden Scheine eines Wacht¬ feuers steigt der König ab und nimmt auf einer Leiter Platz, die man als Bank eingerichtet hat. das eine Ende ruht auf einem erschossenen Schimmel. Da kam gegen neun Uhr Moltke, der den Vorstoß der Pommern im Abend¬ dunkel geleitet hatte, mit der Meldung, daß der Sieg erföchte» sei. Und nun diktirte der König dem Grafen Bismarck die Depesche an die Königin Augusta. die der Kanzler mit Bleistift auf ein herausgerissenes Blatt eines Notizbuches schrieb. Die schwerste Entscheidung des Krieges war gefallen, erst sie ermög¬ lichte den Sieg von Sedan. Zehn Monate sind vergangen, es ist der 16. Juni 1871. Ein strahlender Sommertag, ein wolkenloser Himmel spannt sich über der neuen Neichshaupt- swdt, Hunderttausende von Menschen füllen die Straßen, die heute die sieg¬ reich heimgekehrte Armee ziehen soll, zahllose Fahne» flattern in den Lüften. Laubgewinde ziehe» sich von Hans zu Haus, und endlose Reihen eroberter Geschütze säumen die Linden ein. Da hallen die ersten Glockenschläge durch die Luft, sie verkünden, daß die Spitze des Zuges beim Hallischen Thore an¬ gelangt sei. allmählich nähert sich das brausende Hurrarufen, und sieh da. nun kommen sie alle, die siegreichen Heerführer in diesem Kriege ohnegleichen, und milde., unter ihnen, wie einst in der Schlacht, zwischeu Roon und Moltke. unmittelbar vor dem Kaiser, der Kanzler des Reichs. Fürst B.smarck! so reitet er beim Triumphzuge seinem Herrn voran, dem er den Weg gebahnt hat zum Kaiserthrone; die Freude leuchtet ihm aus deu markige» Zügen, und scharf schauen die hellen Augen unter dem Stahlhelm hervor auf die jubelnde.. Massen, die die Lüfte erschüttern mit ihrem Zuruf und ihn mit Lorbeerkränzen bedecken! Was Fürst Bismarck auf dem Schlachtfelde und im Rate hatte erringen helfen, das galt es in deu Parlamenten zu vertreten und weiter auszubilden, fast in beständigem Kampfe mit den verständnislosen, kleinlichen, wohl auch boshaften Gegnern. So wurde Bismarck zum Redner, zu einem der größten germanischer Zunge. Und doch war er kein Redner im gewöhnlichen Sinne. Die Hünengestalt hoch aufgerichtet, immer in Uniform, sprach er mit häufigen Unterbrechungen, oft stockend, weil er in beständiger Gedankenarbeit unmer erst die Form, den Ausdruck fand, so sorgfältig er sachlich seine großen Reden vor¬ zubereiten pflegte, und er verschmähte alle rhetorischen Mittel. Aber unwider¬ stehlich wirkten die zwingende Logik, die Weltweite seines Blicks, die ungeheure Sach- und Personenkenntnis. die urwüchsige Kraft des Ausdrucks und die Grenzbote» IV 18!«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/684>, abgerufen am 24.07.2024.