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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Eine'Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

schwarzgrauer Pulverqualm, den die schwere Nebelluft am Boden hielt, und
noch immer keine Entscheidung. Denn nur der Kronprinz konnte sie bringen,
und der Kronprinz kam nicht. Auch die letzte Reserve, das brandenburgische
Armeekorps, wurde ins Gefecht geschickt. Stumm hielt Graf Bismarck hinter
dem König -- er war an diesem Tage dreizehn Stunden ununterbrochen im
Sattel -- denn hier hatte er keinen Rat zu erteilen. Wenn nun die Schlacht
verloren ging, die seiner Politik den Sieg und damit die Rechtfertigung gebe"
sollte? Er hat später erzählt, eine Niederlage hätte er nicht überlebt; er
würde in diesem Falle mit dem ersten besten Kavallerieregiment in den Feind
geritten sein und den Tod gesucht haben. Doch ruhig, unbeweglich blickte
neben ihm Moltke auf die Schlacht; er hatte in diesem kritischen Augenblick
noch die Kaltblütigkeit, von den beiden letzten Cigarren Bismarcks, die dieser
ihm bot, sich die bessere auszusuchen. Dann endlich, endlich nach elf Uhr.
zeigten sich weit links am Horizonte die dunkeln Kolonnen der kronprinzlichen
Armee, bald stiegen die Rauchwolken ihrer Batterien empor, die Gefahr war
vorüber, und Moltke sagte zum König: ..Jetzt ist Ew. Majestät der Sieg nicht
mehr zu nehmen." Roon aber rief freudig aus: ..Bismarck, diesmal hat uns
der brave Musketier noch einmal herausgerissen!" Gegen drei Uhr, als die
Sonne endlich durch die Wolken brach, gingen auch die Bataillone des Prinzen
Friedrich Karl mit entrollten Fahnen zum Sturm auf die Höhen vor. Der
König folgte, von dem Hurra seiner siegreichen Truppen umbraust, und befahl
auf den Höhen von Lipa der Reiterei zur Verfolgung vorzugehen, er selber
ritt mit vor. Granaten sausen und heulen um ihn und schlagen ein, ein
Knäuel in einander geratner österreichischer und preußischer Reiter wälzt sich
dicht an ihm vorüber, und vor ihm brechen Roß und Reiter zusammen, die
Stabswache zieht den Säbel. Er aber scheint das alles nicht zu bemerken,
"ruhig und behaglich wie am Kreuzberg"; auf eine Mahnung Bismarcks
^ denn die Generale wagten nichts zu sagen -- entgegnet der König: "Der
oberste Kriegsherr steht dort, wohin er gehört." Endlich reitet Bismarck dicht
an ihn heran: "Majestät, da Sie keine Rücksicht auf Ihre Person nehmen, so
haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, von dem Ihr
getreues preußisches Volk seinen König fordern wird; im Namen dieses Volkes
bitte ich: verlassen Sie diese gefährliche Stelle." Da reicht ihm der König
die Hand mit den Worten: "Nun. Bismarck. lassen Sie uns weiter reiten."
und wendet seinen Rappen, schlägt aber ein so langsames Tempo em, "als
wäre es ein Spazierritt unter den Linden," bis Bismarck ungeduldig dem
Tiere mit dem Fuße einen kräftigen Stoß versetzt, sodaß es in langen Sätzen
davonjagt. Es war am Abend, und alles vorüber, da sagte Moltke zum
König: "Ew. Majestät haben nicht nur die Schlacht, sondern auch den Feld¬
zug gewonnen"; Bismarck aber setzte mit jener klaren, leidenschaftslosen Um¬
sicht, die ihn auszeichnete, hinzu: "Die Streitfrage ist also entschieden; jetzt


Eine'Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

schwarzgrauer Pulverqualm, den die schwere Nebelluft am Boden hielt, und
noch immer keine Entscheidung. Denn nur der Kronprinz konnte sie bringen,
und der Kronprinz kam nicht. Auch die letzte Reserve, das brandenburgische
Armeekorps, wurde ins Gefecht geschickt. Stumm hielt Graf Bismarck hinter
dem König — er war an diesem Tage dreizehn Stunden ununterbrochen im
Sattel — denn hier hatte er keinen Rat zu erteilen. Wenn nun die Schlacht
verloren ging, die seiner Politik den Sieg und damit die Rechtfertigung gebe»
sollte? Er hat später erzählt, eine Niederlage hätte er nicht überlebt; er
würde in diesem Falle mit dem ersten besten Kavallerieregiment in den Feind
geritten sein und den Tod gesucht haben. Doch ruhig, unbeweglich blickte
neben ihm Moltke auf die Schlacht; er hatte in diesem kritischen Augenblick
noch die Kaltblütigkeit, von den beiden letzten Cigarren Bismarcks, die dieser
ihm bot, sich die bessere auszusuchen. Dann endlich, endlich nach elf Uhr.
zeigten sich weit links am Horizonte die dunkeln Kolonnen der kronprinzlichen
Armee, bald stiegen die Rauchwolken ihrer Batterien empor, die Gefahr war
vorüber, und Moltke sagte zum König: ..Jetzt ist Ew. Majestät der Sieg nicht
mehr zu nehmen." Roon aber rief freudig aus: ..Bismarck, diesmal hat uns
der brave Musketier noch einmal herausgerissen!" Gegen drei Uhr, als die
Sonne endlich durch die Wolken brach, gingen auch die Bataillone des Prinzen
Friedrich Karl mit entrollten Fahnen zum Sturm auf die Höhen vor. Der
König folgte, von dem Hurra seiner siegreichen Truppen umbraust, und befahl
auf den Höhen von Lipa der Reiterei zur Verfolgung vorzugehen, er selber
ritt mit vor. Granaten sausen und heulen um ihn und schlagen ein, ein
Knäuel in einander geratner österreichischer und preußischer Reiter wälzt sich
dicht an ihm vorüber, und vor ihm brechen Roß und Reiter zusammen, die
Stabswache zieht den Säbel. Er aber scheint das alles nicht zu bemerken,
»ruhig und behaglich wie am Kreuzberg"; auf eine Mahnung Bismarcks
^ denn die Generale wagten nichts zu sagen — entgegnet der König: „Der
oberste Kriegsherr steht dort, wohin er gehört." Endlich reitet Bismarck dicht
an ihn heran: „Majestät, da Sie keine Rücksicht auf Ihre Person nehmen, so
haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, von dem Ihr
getreues preußisches Volk seinen König fordern wird; im Namen dieses Volkes
bitte ich: verlassen Sie diese gefährliche Stelle." Da reicht ihm der König
die Hand mit den Worten: „Nun. Bismarck. lassen Sie uns weiter reiten."
und wendet seinen Rappen, schlägt aber ein so langsames Tempo em, „als
wäre es ein Spazierritt unter den Linden," bis Bismarck ungeduldig dem
Tiere mit dem Fuße einen kräftigen Stoß versetzt, sodaß es in langen Sätzen
davonjagt. Es war am Abend, und alles vorüber, da sagte Moltke zum
König: „Ew. Majestät haben nicht nur die Schlacht, sondern auch den Feld¬
zug gewonnen"; Bismarck aber setzte mit jener klaren, leidenschaftslosen Um¬
sicht, die ihn auszeichnete, hinzu: „Die Streitfrage ist also entschieden; jetzt


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[0682] Eine'Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis schwarzgrauer Pulverqualm, den die schwere Nebelluft am Boden hielt, und noch immer keine Entscheidung. Denn nur der Kronprinz konnte sie bringen, und der Kronprinz kam nicht. Auch die letzte Reserve, das brandenburgische Armeekorps, wurde ins Gefecht geschickt. Stumm hielt Graf Bismarck hinter dem König — er war an diesem Tage dreizehn Stunden ununterbrochen im Sattel — denn hier hatte er keinen Rat zu erteilen. Wenn nun die Schlacht verloren ging, die seiner Politik den Sieg und damit die Rechtfertigung gebe» sollte? Er hat später erzählt, eine Niederlage hätte er nicht überlebt; er würde in diesem Falle mit dem ersten besten Kavallerieregiment in den Feind geritten sein und den Tod gesucht haben. Doch ruhig, unbeweglich blickte neben ihm Moltke auf die Schlacht; er hatte in diesem kritischen Augenblick noch die Kaltblütigkeit, von den beiden letzten Cigarren Bismarcks, die dieser ihm bot, sich die bessere auszusuchen. Dann endlich, endlich nach elf Uhr. zeigten sich weit links am Horizonte die dunkeln Kolonnen der kronprinzlichen Armee, bald stiegen die Rauchwolken ihrer Batterien empor, die Gefahr war vorüber, und Moltke sagte zum König: ..Jetzt ist Ew. Majestät der Sieg nicht mehr zu nehmen." Roon aber rief freudig aus: ..Bismarck, diesmal hat uns der brave Musketier noch einmal herausgerissen!" Gegen drei Uhr, als die Sonne endlich durch die Wolken brach, gingen auch die Bataillone des Prinzen Friedrich Karl mit entrollten Fahnen zum Sturm auf die Höhen vor. Der König folgte, von dem Hurra seiner siegreichen Truppen umbraust, und befahl auf den Höhen von Lipa der Reiterei zur Verfolgung vorzugehen, er selber ritt mit vor. Granaten sausen und heulen um ihn und schlagen ein, ein Knäuel in einander geratner österreichischer und preußischer Reiter wälzt sich dicht an ihm vorüber, und vor ihm brechen Roß und Reiter zusammen, die Stabswache zieht den Säbel. Er aber scheint das alles nicht zu bemerken, »ruhig und behaglich wie am Kreuzberg"; auf eine Mahnung Bismarcks ^ denn die Generale wagten nichts zu sagen — entgegnet der König: „Der oberste Kriegsherr steht dort, wohin er gehört." Endlich reitet Bismarck dicht an ihn heran: „Majestät, da Sie keine Rücksicht auf Ihre Person nehmen, so haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, von dem Ihr getreues preußisches Volk seinen König fordern wird; im Namen dieses Volkes bitte ich: verlassen Sie diese gefährliche Stelle." Da reicht ihm der König die Hand mit den Worten: „Nun. Bismarck. lassen Sie uns weiter reiten." und wendet seinen Rappen, schlägt aber ein so langsames Tempo em, „als wäre es ein Spazierritt unter den Linden," bis Bismarck ungeduldig dem Tiere mit dem Fuße einen kräftigen Stoß versetzt, sodaß es in langen Sätzen davonjagt. Es war am Abend, und alles vorüber, da sagte Moltke zum König: „Ew. Majestät haben nicht nur die Schlacht, sondern auch den Feld¬ zug gewonnen"; Bismarck aber setzte mit jener klaren, leidenschaftslosen Um¬ sicht, die ihn auszeichnete, hinzu: „Die Streitfrage ist also entschieden; jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/682>, abgerufen am 24.07.2024.