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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Spuren im Schnee

weis; wo -- ich habe seither nie wieder von ihm gehört oder von ihm hören
wollen.

Eigentlich dachte ich im Augenblick hauptsächlich an Sie selber, Herr Jäger¬
meister! Sie müssen aus der ganzen Geschichte heraus, wie ich Ihnen schon sagte
-- nur auf einige Jahre --, Sie müssen fort und sich beschäftigen lernen, vielleicht
nach Kopenhagen --

Aber meine Töchter!

Ja -- Fräulein Harriet ist verlobt!

Ach, Gott segne Sie, Herr Leutnant, wollen Sie wirklich --

Nein, ich nicht! Aber Reserveleutnant Jörgen Busch, zum Frühling Pächter
von --

Jörgen -- Jörgen Busch?

Ja! Und dann erzählte der Leutnant -- die Cigarre des Jägermeisters
ging dabei aus. -- Können Sie nun wohl sehen, daß Ihre Tochter sich wirklich
verloben können -- trotz des Vaters, den sie haben? schloß er lächelnd.

Das scheint wirklich so! -- Ja, wenn Sie meinen, daß es so sein soll, Herr
Leutnant, dann soll es so sein! Herr Gott, daß sich doch alles zum besten
wenden muß! -- Aber Ellen! Was soll denn aus der werden! Meine liebe
kleine Ellen!

Das will ich Ihnen sagen! entgegnete der Leutnant mit eigentümlich weicher
Stimme. Ellen soll zu meiner Tante, der Kammerherrin. Sie thut alles, worum
ich sie bitte, und ich habe heute nachmittag schon um sie geschrieben, ob sie Ihre
jüngste Tochter zu sich ins Haus nehmen will -- vorläufig auf ein Jahr, und
dann --

Ja, dann muß der liebe Gott für das Weitere sorgen!

7

Der nächste Morgen war sehr bewegt.

Der Jägermeister und Harriet sprachen über eine Stunde mit einander -- das
hatten sie seit vielen Jahren nicht gethan --; Ellen wurde in das Geschehene ein¬
geweiht, sie drückte und küßte die Schwester, weinte ganz unmvtivirt und lachte
zugleich, wagte aber nicht recht, den Leutnant anzusehen.

Der Doktor war sehr trübselig. Er schien sein Vorhaben ganz aufgegeben zu
haben und sagte in einem merkwürdig bescheidnen Ton zu dem Leutnant:

Sie meinten, wir müßten eine neue Spur einschlagen -- haben Sie die ge¬
funden? Denn ich reise heute abend.

Der Leutnant hatte wirklich Mitleid mit ihm, er schüttelte den Kopf und er¬
widerte:

Lieber Herr Doktor, ich glaube fast, wir müssen es aufgeben -- ich reise auch
heute abend!

Aber Ellen ging zu ihm hin und sagte so, daß sonst niemand es hörte:
Das meinen Sie doch nicht, Herr Leutnant! Wollen Sie unverrichteter Sache
abreisen? -- Ich habe vom ersten Augenblick um geglaubt, daß Sie -- Sie und
ich -- das Manuskript finden würden -- und daran glaube ich auch jetzt noch.
Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß jedes alte Gebäude einen Gedanken oder
ein Geheimnis in sich berge -- lind die Chronik, das ist das Geheimnis von
Midskov -- davon bin ich fest überzeugt!

Einen so festen Glauben hatte der Leutnant nnn freilich nicht. Als er aber
nach einer Weile am Fenster stand und über den Hof nach dem Turm hinauf


Spuren im Schnee

weis; wo — ich habe seither nie wieder von ihm gehört oder von ihm hören
wollen.

Eigentlich dachte ich im Augenblick hauptsächlich an Sie selber, Herr Jäger¬
meister! Sie müssen aus der ganzen Geschichte heraus, wie ich Ihnen schon sagte
— nur auf einige Jahre —, Sie müssen fort und sich beschäftigen lernen, vielleicht
nach Kopenhagen —

Aber meine Töchter!

Ja — Fräulein Harriet ist verlobt!

Ach, Gott segne Sie, Herr Leutnant, wollen Sie wirklich —

Nein, ich nicht! Aber Reserveleutnant Jörgen Busch, zum Frühling Pächter
von —

Jörgen — Jörgen Busch?

Ja! Und dann erzählte der Leutnant — die Cigarre des Jägermeisters
ging dabei aus. — Können Sie nun wohl sehen, daß Ihre Tochter sich wirklich
verloben können — trotz des Vaters, den sie haben? schloß er lächelnd.

Das scheint wirklich so! — Ja, wenn Sie meinen, daß es so sein soll, Herr
Leutnant, dann soll es so sein! Herr Gott, daß sich doch alles zum besten
wenden muß! — Aber Ellen! Was soll denn aus der werden! Meine liebe
kleine Ellen!

Das will ich Ihnen sagen! entgegnete der Leutnant mit eigentümlich weicher
Stimme. Ellen soll zu meiner Tante, der Kammerherrin. Sie thut alles, worum
ich sie bitte, und ich habe heute nachmittag schon um sie geschrieben, ob sie Ihre
jüngste Tochter zu sich ins Haus nehmen will — vorläufig auf ein Jahr, und
dann —

Ja, dann muß der liebe Gott für das Weitere sorgen!

7

Der nächste Morgen war sehr bewegt.

Der Jägermeister und Harriet sprachen über eine Stunde mit einander — das
hatten sie seit vielen Jahren nicht gethan —; Ellen wurde in das Geschehene ein¬
geweiht, sie drückte und küßte die Schwester, weinte ganz unmvtivirt und lachte
zugleich, wagte aber nicht recht, den Leutnant anzusehen.

Der Doktor war sehr trübselig. Er schien sein Vorhaben ganz aufgegeben zu
haben und sagte in einem merkwürdig bescheidnen Ton zu dem Leutnant:

Sie meinten, wir müßten eine neue Spur einschlagen — haben Sie die ge¬
funden? Denn ich reise heute abend.

Der Leutnant hatte wirklich Mitleid mit ihm, er schüttelte den Kopf und er¬
widerte:

Lieber Herr Doktor, ich glaube fast, wir müssen es aufgeben — ich reise auch
heute abend!

Aber Ellen ging zu ihm hin und sagte so, daß sonst niemand es hörte:
Das meinen Sie doch nicht, Herr Leutnant! Wollen Sie unverrichteter Sache
abreisen? — Ich habe vom ersten Augenblick um geglaubt, daß Sie — Sie und
ich — das Manuskript finden würden — und daran glaube ich auch jetzt noch.
Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß jedes alte Gebäude einen Gedanken oder
ein Geheimnis in sich berge — lind die Chronik, das ist das Geheimnis von
Midskov — davon bin ich fest überzeugt!

Einen so festen Glauben hatte der Leutnant nnn freilich nicht. Als er aber
nach einer Weile am Fenster stand und über den Hof nach dem Turm hinauf


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[0665] Spuren im Schnee weis; wo — ich habe seither nie wieder von ihm gehört oder von ihm hören wollen. Eigentlich dachte ich im Augenblick hauptsächlich an Sie selber, Herr Jäger¬ meister! Sie müssen aus der ganzen Geschichte heraus, wie ich Ihnen schon sagte — nur auf einige Jahre —, Sie müssen fort und sich beschäftigen lernen, vielleicht nach Kopenhagen — Aber meine Töchter! Ja — Fräulein Harriet ist verlobt! Ach, Gott segne Sie, Herr Leutnant, wollen Sie wirklich — Nein, ich nicht! Aber Reserveleutnant Jörgen Busch, zum Frühling Pächter von — Jörgen — Jörgen Busch? Ja! Und dann erzählte der Leutnant — die Cigarre des Jägermeisters ging dabei aus. — Können Sie nun wohl sehen, daß Ihre Tochter sich wirklich verloben können — trotz des Vaters, den sie haben? schloß er lächelnd. Das scheint wirklich so! — Ja, wenn Sie meinen, daß es so sein soll, Herr Leutnant, dann soll es so sein! Herr Gott, daß sich doch alles zum besten wenden muß! — Aber Ellen! Was soll denn aus der werden! Meine liebe kleine Ellen! Das will ich Ihnen sagen! entgegnete der Leutnant mit eigentümlich weicher Stimme. Ellen soll zu meiner Tante, der Kammerherrin. Sie thut alles, worum ich sie bitte, und ich habe heute nachmittag schon um sie geschrieben, ob sie Ihre jüngste Tochter zu sich ins Haus nehmen will — vorläufig auf ein Jahr, und dann — Ja, dann muß der liebe Gott für das Weitere sorgen! 7 Der nächste Morgen war sehr bewegt. Der Jägermeister und Harriet sprachen über eine Stunde mit einander — das hatten sie seit vielen Jahren nicht gethan —; Ellen wurde in das Geschehene ein¬ geweiht, sie drückte und küßte die Schwester, weinte ganz unmvtivirt und lachte zugleich, wagte aber nicht recht, den Leutnant anzusehen. Der Doktor war sehr trübselig. Er schien sein Vorhaben ganz aufgegeben zu haben und sagte in einem merkwürdig bescheidnen Ton zu dem Leutnant: Sie meinten, wir müßten eine neue Spur einschlagen — haben Sie die ge¬ funden? Denn ich reise heute abend. Der Leutnant hatte wirklich Mitleid mit ihm, er schüttelte den Kopf und er¬ widerte: Lieber Herr Doktor, ich glaube fast, wir müssen es aufgeben — ich reise auch heute abend! Aber Ellen ging zu ihm hin und sagte so, daß sonst niemand es hörte: Das meinen Sie doch nicht, Herr Leutnant! Wollen Sie unverrichteter Sache abreisen? — Ich habe vom ersten Augenblick um geglaubt, daß Sie — Sie und ich — das Manuskript finden würden — und daran glaube ich auch jetzt noch. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß jedes alte Gebäude einen Gedanken oder ein Geheimnis in sich berge — lind die Chronik, das ist das Geheimnis von Midskov — davon bin ich fest überzeugt! Einen so festen Glauben hatte der Leutnant nnn freilich nicht. Als er aber nach einer Weile am Fenster stand und über den Hof nach dem Turm hinauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/665>, abgerufen am 12.12.2024.