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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Spuren im Schnee

aber es könnte doch eine spätere, vollständige Abschrift von Robert von Elhs Chronik
sein, die an demselben Ort wie das Original aufbewahrt wurde -- ja, ich bin im
Grunde fest davon überzeugt, ich habe es im Gefühl! Sind indessen die Bilder
mit gewöhnlichem Kleister festgeklebt, so ist doch Hoffnung vorhanden, daß --

Nein, ich habe sie allerdings mit dünnem Tischlerleim eingeklebt, erklärte der
Rademacher wohlwollend; der hält besser!

Der Doktor sank zerschmettert auf seine" Stuhl zurück, und der Jägermeister
bemerkte später, er sei zusammengebrochen wie ein Stück Wild, das eine schöne Blntt-
ülgel bekommen habe.

Wenn man bedenkt, daß ich hier mit einem historischen Aktenstück vielleicht
bon unberechenbarem Wert stehe! stöhnte er. Und nun ist es begraben, begraben
lvie Pompeji unter der Asche -- und niemand vermag den Grabdeckel zu ent¬
fernen!

Das ist denn doch noch nicht gesagt, wandte der Leutnant ein. Lassen Sie
""es einmal versuchen!

Was wollen Sie thun? fragte der Doktor mißtrauisch und preßte den Folianten
fester an sich.

Ich will die Blätter kochendheißen Wasserdämpfen aussehen, und dann --

Dann wird die Schrift unter den Bildern zerstört sein.

Das bezweifle ich, daß sie das sein werde. Ich bin freilich kein Schrift-
rnndiger --

Nein!

Aber soviel weiß ich doch, daß man vor zweihundert Jahren nur reine Gallus¬
tinte benutzte, und --

Das ist richtig, das that man -- glücklicherweise!

Und alte Gallustinte kann ebenso wie Tusche viel Nässe vertragen ohne aus¬
gelöscht zu werden. Lassen Sie uns nur einmal versuchen!

Aber wenn die Schrift nun doch zerstört wird?

Wer nicht wagt, gewinnt nicht.

Nein, ich habe nicht den Mut dazu! Lassen Sie uns noch damit warten!

Wir könnten es ja mit einem einzelnen Blatt versuchen?

Ja, was sür ein Blatt sollte das aber sein?

Das erste!

Wo denken Sie hin! Darauf stehen ja voraussichtlich die alleriuteressautesteu
chronologischen und personalhistorischen Daten, und wenn die zerstört werden --

Dann also das letzte Blatt!

Dann laufen wir ja Gefahr, den Schluß zu verlieren!

, Ja, aber das Ganze ist ja ein toter Schatz, wenn wir es nicht unter¬
suchen!

Der Doktor erteilte endlich seine Einwilligung dazu, daß der Leutnant einen
^ersuch mit dem ersten Blatt anstelle; der Rademacher bekam zwei Kronen für
°as Bilderbuch, die Kinder heulten über den Verlust, und dann ging man an das
öwße Werk.

Es wurde Feuer unter dem Braukessel gemacht, und alle -- einschließlich
Harriets, die jetzt endlich heimgekommen war -- wohnten dem spannenden Prozeß
bei. Das erste Blatt wurde aus dem Buch herausgeschnitten und oben unter dem
Deckel des Kessels angebracht und dann gedämpft.

. Glauben Sie nicht, daß es jetzt genug hat? fragte der Doktor, der umher-
tnppelte wie ein Huhn, das legen will.


Spuren im Schnee

aber es könnte doch eine spätere, vollständige Abschrift von Robert von Elhs Chronik
sein, die an demselben Ort wie das Original aufbewahrt wurde — ja, ich bin im
Grunde fest davon überzeugt, ich habe es im Gefühl! Sind indessen die Bilder
mit gewöhnlichem Kleister festgeklebt, so ist doch Hoffnung vorhanden, daß —

Nein, ich habe sie allerdings mit dünnem Tischlerleim eingeklebt, erklärte der
Rademacher wohlwollend; der hält besser!

Der Doktor sank zerschmettert auf seine» Stuhl zurück, und der Jägermeister
bemerkte später, er sei zusammengebrochen wie ein Stück Wild, das eine schöne Blntt-
ülgel bekommen habe.

Wenn man bedenkt, daß ich hier mit einem historischen Aktenstück vielleicht
bon unberechenbarem Wert stehe! stöhnte er. Und nun ist es begraben, begraben
lvie Pompeji unter der Asche — und niemand vermag den Grabdeckel zu ent¬
fernen!

Das ist denn doch noch nicht gesagt, wandte der Leutnant ein. Lassen Sie
""es einmal versuchen!

Was wollen Sie thun? fragte der Doktor mißtrauisch und preßte den Folianten
fester an sich.

Ich will die Blätter kochendheißen Wasserdämpfen aussehen, und dann —

Dann wird die Schrift unter den Bildern zerstört sein.

Das bezweifle ich, daß sie das sein werde. Ich bin freilich kein Schrift-
rnndiger —

Nein!

Aber soviel weiß ich doch, daß man vor zweihundert Jahren nur reine Gallus¬
tinte benutzte, und —

Das ist richtig, das that man — glücklicherweise!

Und alte Gallustinte kann ebenso wie Tusche viel Nässe vertragen ohne aus¬
gelöscht zu werden. Lassen Sie uns nur einmal versuchen!

Aber wenn die Schrift nun doch zerstört wird?

Wer nicht wagt, gewinnt nicht.

Nein, ich habe nicht den Mut dazu! Lassen Sie uns noch damit warten!

Wir könnten es ja mit einem einzelnen Blatt versuchen?

Ja, was sür ein Blatt sollte das aber sein?

Das erste!

Wo denken Sie hin! Darauf stehen ja voraussichtlich die alleriuteressautesteu
chronologischen und personalhistorischen Daten, und wenn die zerstört werden —

Dann also das letzte Blatt!

Dann laufen wir ja Gefahr, den Schluß zu verlieren!

, Ja, aber das Ganze ist ja ein toter Schatz, wenn wir es nicht unter¬
suchen!

Der Doktor erteilte endlich seine Einwilligung dazu, daß der Leutnant einen
^ersuch mit dem ersten Blatt anstelle; der Rademacher bekam zwei Kronen für
°as Bilderbuch, die Kinder heulten über den Verlust, und dann ging man an das
öwße Werk.

Es wurde Feuer unter dem Braukessel gemacht, und alle — einschließlich
Harriets, die jetzt endlich heimgekommen war — wohnten dem spannenden Prozeß
bei. Das erste Blatt wurde aus dem Buch herausgeschnitten und oben unter dem
Deckel des Kessels angebracht und dann gedämpft.

. Glauben Sie nicht, daß es jetzt genug hat? fragte der Doktor, der umher-
tnppelte wie ein Huhn, das legen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/662>, abgerufen am 24.07.2024.