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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

steht es, die angeblichen Schmarotzer unsers Staats- und Volkslebens von
denen auszusondern, die es in Wirklichkeit sind. So schätzt er unsre Heeres¬
verfassung nicht nur als Machtmittel, sondern auch als Spiegel und Hort
unsrer Volkskraft und Volksgesundheit, als ihren höchsten Ausdruck. Er kennt
die Fehler der "Junker" sehr wohl und schont sie nicht, weiß aber auch ihre
Verdienste und ihre Unentbehrlichkeit für die Tüchtigkeit unsers Offizierkorps
zu würdigen. Wenn er anf den Wert einer kräftigen und gesunden Arbeiter¬
schaft für den Heeresersatz hinweist, so ist er vor dem Vorwurf bloß utili-
tarischer Auffassung de^> Arbeiterfrage durch zahlreiche Stellen seiner Schrift
bewahrt, aus denen das reinste Wohlwollen für die Not des kleinen Mannes
spricht; allerdings ein Wohlwollen von der starkherzigen Art, nicht von der
weichmütigen, wie sie sich jetzt allenthalben breit macht. In diesen Zusammen¬
hang gehört es, wenn er die, die auf die großen Zahlen ihres Steuerzettels
pochen, dadurch abfertigt, daß doch die kleinen Leute durch die Erziehung ihrer
zahlreichen Kinder für den Staat viel mehr aufwendeten. Sei das keine "frei¬
willige Steuer an die Volkswirtschaft," keine Steuer, "die man nur in Pro¬
zenten des Einkommens zu berechnen braucht, um zu sehen, wie sehr sie alle
andern Bevölkerungsklassen beschämt"? Dann ferner: "Die gelehrten Berufe...
sind durch ihre Interessen von allem Unternehmertum durchaus geschieden; sie
gehören ihren wirtschaftlichen Interessen nach zur Arbeiterschaft. . . . Beamte,
Geistliche, Lehrer sind Gehaltarbeiter, Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller sind
Honorararbeiter." Der Gedanke ist ja nicht neu, aber wie treffend drückt ihn
der Verfasser aus, wie einleuchtend macht er ihn durch diese und andre Worte,
Wie schlagend verwertet er ihn für die Beweisführung! Er hat hoffentlich recht,
wenn er hinzufiigt: "Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir alle stolz
sein werden, wenn wir Anspruch haben auf den Ehrentitel Arbeiter"; und von
dem bald darauf folgenden Satz: "Das Kapital ist und bleibt international,
die Arbeit ist und bleibt national," ist ja der erste Teil schon unzähligem"!
aus- und nachgesprochen worden, aber die politischen Folgerungen daraus hat
kaum je ein Schriftsteller so fest umschrieben und aus dem zweiten satzten so
treffend ergänzt wie der Verfasser.

Wie sich aus dem ebeu angeführten ergiebt, treibt der Verfasser kein Ver¬
steckenspielen mit Interessen. Er ficht dafür, daß sie offen hervortreten und in
ehrlichem Kampf oder Bündnis ausgetragen werden. Für das gemeine Beste
erwartet er davon nur Förderung. Dem "moralischen Entrüstungssturm" gegen
die "schamlose Interessenpolitik" hält er folgenden Spiegel entgegen: "Die
ganze liberale Gesetzgebung -- seit 1866 -- hat keinen andern Erfolg gehabt,
als die Interessen des Händlertums auf Kosten aller übrigen Interessen z"
fördern." ... Dagegen "begann schon in den siebziger Jahren eine immer
stärker werdende Opposition, in deren Führung schon damals die Landwirtschaft
eintrat. Von da an zählt die Bourgeoisie die Tage, von denen sie sagt: Sie


Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

steht es, die angeblichen Schmarotzer unsers Staats- und Volkslebens von
denen auszusondern, die es in Wirklichkeit sind. So schätzt er unsre Heeres¬
verfassung nicht nur als Machtmittel, sondern auch als Spiegel und Hort
unsrer Volkskraft und Volksgesundheit, als ihren höchsten Ausdruck. Er kennt
die Fehler der „Junker" sehr wohl und schont sie nicht, weiß aber auch ihre
Verdienste und ihre Unentbehrlichkeit für die Tüchtigkeit unsers Offizierkorps
zu würdigen. Wenn er anf den Wert einer kräftigen und gesunden Arbeiter¬
schaft für den Heeresersatz hinweist, so ist er vor dem Vorwurf bloß utili-
tarischer Auffassung de^> Arbeiterfrage durch zahlreiche Stellen seiner Schrift
bewahrt, aus denen das reinste Wohlwollen für die Not des kleinen Mannes
spricht; allerdings ein Wohlwollen von der starkherzigen Art, nicht von der
weichmütigen, wie sie sich jetzt allenthalben breit macht. In diesen Zusammen¬
hang gehört es, wenn er die, die auf die großen Zahlen ihres Steuerzettels
pochen, dadurch abfertigt, daß doch die kleinen Leute durch die Erziehung ihrer
zahlreichen Kinder für den Staat viel mehr aufwendeten. Sei das keine „frei¬
willige Steuer an die Volkswirtschaft," keine Steuer, „die man nur in Pro¬
zenten des Einkommens zu berechnen braucht, um zu sehen, wie sehr sie alle
andern Bevölkerungsklassen beschämt"? Dann ferner: „Die gelehrten Berufe...
sind durch ihre Interessen von allem Unternehmertum durchaus geschieden; sie
gehören ihren wirtschaftlichen Interessen nach zur Arbeiterschaft. . . . Beamte,
Geistliche, Lehrer sind Gehaltarbeiter, Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller sind
Honorararbeiter." Der Gedanke ist ja nicht neu, aber wie treffend drückt ihn
der Verfasser aus, wie einleuchtend macht er ihn durch diese und andre Worte,
Wie schlagend verwertet er ihn für die Beweisführung! Er hat hoffentlich recht,
wenn er hinzufiigt: „Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir alle stolz
sein werden, wenn wir Anspruch haben auf den Ehrentitel Arbeiter"; und von
dem bald darauf folgenden Satz: „Das Kapital ist und bleibt international,
die Arbeit ist und bleibt national," ist ja der erste Teil schon unzähligem«!
aus- und nachgesprochen worden, aber die politischen Folgerungen daraus hat
kaum je ein Schriftsteller so fest umschrieben und aus dem zweiten satzten so
treffend ergänzt wie der Verfasser.

Wie sich aus dem ebeu angeführten ergiebt, treibt der Verfasser kein Ver¬
steckenspielen mit Interessen. Er ficht dafür, daß sie offen hervortreten und in
ehrlichem Kampf oder Bündnis ausgetragen werden. Für das gemeine Beste
erwartet er davon nur Förderung. Dem „moralischen Entrüstungssturm" gegen
die „schamlose Interessenpolitik" hält er folgenden Spiegel entgegen: „Die
ganze liberale Gesetzgebung — seit 1866 — hat keinen andern Erfolg gehabt,
als die Interessen des Händlertums auf Kosten aller übrigen Interessen z»
fördern." ... Dagegen „begann schon in den siebziger Jahren eine immer
stärker werdende Opposition, in deren Führung schon damals die Landwirtschaft
eintrat. Von da an zählt die Bourgeoisie die Tage, von denen sie sagt: Sie


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[0629] Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern steht es, die angeblichen Schmarotzer unsers Staats- und Volkslebens von denen auszusondern, die es in Wirklichkeit sind. So schätzt er unsre Heeres¬ verfassung nicht nur als Machtmittel, sondern auch als Spiegel und Hort unsrer Volkskraft und Volksgesundheit, als ihren höchsten Ausdruck. Er kennt die Fehler der „Junker" sehr wohl und schont sie nicht, weiß aber auch ihre Verdienste und ihre Unentbehrlichkeit für die Tüchtigkeit unsers Offizierkorps zu würdigen. Wenn er anf den Wert einer kräftigen und gesunden Arbeiter¬ schaft für den Heeresersatz hinweist, so ist er vor dem Vorwurf bloß utili- tarischer Auffassung de^> Arbeiterfrage durch zahlreiche Stellen seiner Schrift bewahrt, aus denen das reinste Wohlwollen für die Not des kleinen Mannes spricht; allerdings ein Wohlwollen von der starkherzigen Art, nicht von der weichmütigen, wie sie sich jetzt allenthalben breit macht. In diesen Zusammen¬ hang gehört es, wenn er die, die auf die großen Zahlen ihres Steuerzettels pochen, dadurch abfertigt, daß doch die kleinen Leute durch die Erziehung ihrer zahlreichen Kinder für den Staat viel mehr aufwendeten. Sei das keine „frei¬ willige Steuer an die Volkswirtschaft," keine Steuer, „die man nur in Pro¬ zenten des Einkommens zu berechnen braucht, um zu sehen, wie sehr sie alle andern Bevölkerungsklassen beschämt"? Dann ferner: „Die gelehrten Berufe... sind durch ihre Interessen von allem Unternehmertum durchaus geschieden; sie gehören ihren wirtschaftlichen Interessen nach zur Arbeiterschaft. . . . Beamte, Geistliche, Lehrer sind Gehaltarbeiter, Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller sind Honorararbeiter." Der Gedanke ist ja nicht neu, aber wie treffend drückt ihn der Verfasser aus, wie einleuchtend macht er ihn durch diese und andre Worte, Wie schlagend verwertet er ihn für die Beweisführung! Er hat hoffentlich recht, wenn er hinzufiigt: „Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir alle stolz sein werden, wenn wir Anspruch haben auf den Ehrentitel Arbeiter"; und von dem bald darauf folgenden Satz: „Das Kapital ist und bleibt international, die Arbeit ist und bleibt national," ist ja der erste Teil schon unzähligem«! aus- und nachgesprochen worden, aber die politischen Folgerungen daraus hat kaum je ein Schriftsteller so fest umschrieben und aus dem zweiten satzten so treffend ergänzt wie der Verfasser. Wie sich aus dem ebeu angeführten ergiebt, treibt der Verfasser kein Ver¬ steckenspielen mit Interessen. Er ficht dafür, daß sie offen hervortreten und in ehrlichem Kampf oder Bündnis ausgetragen werden. Für das gemeine Beste erwartet er davon nur Förderung. Dem „moralischen Entrüstungssturm" gegen die „schamlose Interessenpolitik" hält er folgenden Spiegel entgegen: „Die ganze liberale Gesetzgebung — seit 1866 — hat keinen andern Erfolg gehabt, als die Interessen des Händlertums auf Kosten aller übrigen Interessen z» fördern." ... Dagegen „begann schon in den siebziger Jahren eine immer stärker werdende Opposition, in deren Führung schon damals die Landwirtschaft eintrat. Von da an zählt die Bourgeoisie die Tage, von denen sie sagt: Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/629>, abgerufen am 24.07.2024.