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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Spuren im Schnee

loses Haar hatten sie alle, dazu flache, sommersprossige Gesichter und nnlchblaue
Augen -- schön waren sie nicht.

Als der Leutnant mit großer Anstrengung den ersten Punsch hinuntergewürgt
und sich vergebens geweigert hatte, sich den zweiten zu mischen, erzählte er so kurz
wie möglich, weswegen er gekommen sei, und bat, mit dem Kuhhirten sprechen zu
dürfen. Der Schulze machte ein sehr langes Gesicht, aber der Kuhhirte -- alias
Maurer -- Jens wurde, so wie er ging und stand, mit seinem Strickstrumpf in
der Hand in die Stube hereingerufen, und uun fing der Leutnant an, ihn auszu¬
fragen, ob er nicht vor fünfzig Jahren beim Umbau von Midskov beschäftigt ge¬
wesen sei, was damals passirt wäre, und ob er sich nicht eines alten Buchs entsinne,
das bei dieser Gelegenheit gefunden sein sollte.

Jens Kuhhirt sah mißtrauisch aus, und Jens konnte sich natürlich nicht des
Geringsten mehr entsinnen: es sei so grausam lange her, und er sei so alt -- mein,
gefunden sei damals wohl nichts.

Der Leutnant war schon im Begriff, das Ganze aufzugeben, als ihm zum
Glück einfiel, daß die Kriegseriunerungeu das "Scham, thu dich auf!" gewesen
waren, das ihm den Weg zu Kutscher Nielsens Herz erschlossen hatte, und des¬
halb beschloß er Jens Kuhhirt gegenüber dasselbe zu versuchen.

Haben Sie bei der Reiterei gestanden? fragte er.

Nein, Jens hatte bei der Garde gestanden, wirklich und wahrhaftig bei der
Garde.

Und kaum hatte sich der Leutnant selber als Premierleutnant in Sr. Majestät
des Königs Leibgarde präsentirt, als auch schon alles Mißtraue" bei Jens wie weg¬
geblasen war, und als er erst Erlaubnis erhalten hatte, zu erzählen, in welchem
Jahre er gedient hatte, wer sein Konipagniechef gewesen und wer der schärfste von
den Unteroffizieren war, da war er auch mehr als geneigt, über die Nestaurirung
von Midskow zu berichten. -- Ja, das wäre ganz richtig, jetzt entsinne er sich
dessen, daß dort ein altes Buch gefunden worden sei.

War es in ein Loch eingemauert? fragte der Leutnant.

Ja, das war Wohl so was.

Und wo ist es jetzt? Wer mag es jetzt wohl haben? Doch nicht am Ende
>!>eus selber?

Nein, was das anbetrifft, so hat Nasmus Petersen es selbst mitgenommen;
"ber was darin stand, war nicht zu lesen, denn es war wohl lateinische oder
hebräische Schrift -- und der hat es dann später seinem Sohne, dem Rademacher
w Midskov gegeben.

In Midskov? rief der Leutnant, hat der es denn noch?

Ja, zu wissen war das nicht gut, aber anzunehmen war es wohl, denn
Heter Rademacher gehörte uicht zu denen, die verkommen lassen, was sie einmal
haben.

Jens wurde mit einer Krone entlassen, der Leutnant verabschiedete sich dankend
von dem Schulze", und die drei Töchter sahen ihm noch lange nach, als er vom
Hofe hinunterfuhr.

(Schluß folgt)




Spuren im Schnee

loses Haar hatten sie alle, dazu flache, sommersprossige Gesichter und nnlchblaue
Augen — schön waren sie nicht.

Als der Leutnant mit großer Anstrengung den ersten Punsch hinuntergewürgt
und sich vergebens geweigert hatte, sich den zweiten zu mischen, erzählte er so kurz
wie möglich, weswegen er gekommen sei, und bat, mit dem Kuhhirten sprechen zu
dürfen. Der Schulze machte ein sehr langes Gesicht, aber der Kuhhirte — alias
Maurer — Jens wurde, so wie er ging und stand, mit seinem Strickstrumpf in
der Hand in die Stube hereingerufen, und uun fing der Leutnant an, ihn auszu¬
fragen, ob er nicht vor fünfzig Jahren beim Umbau von Midskov beschäftigt ge¬
wesen sei, was damals passirt wäre, und ob er sich nicht eines alten Buchs entsinne,
das bei dieser Gelegenheit gefunden sein sollte.

Jens Kuhhirt sah mißtrauisch aus, und Jens konnte sich natürlich nicht des
Geringsten mehr entsinnen: es sei so grausam lange her, und er sei so alt — mein,
gefunden sei damals wohl nichts.

Der Leutnant war schon im Begriff, das Ganze aufzugeben, als ihm zum
Glück einfiel, daß die Kriegseriunerungeu das „Scham, thu dich auf!" gewesen
waren, das ihm den Weg zu Kutscher Nielsens Herz erschlossen hatte, und des¬
halb beschloß er Jens Kuhhirt gegenüber dasselbe zu versuchen.

Haben Sie bei der Reiterei gestanden? fragte er.

Nein, Jens hatte bei der Garde gestanden, wirklich und wahrhaftig bei der
Garde.

Und kaum hatte sich der Leutnant selber als Premierleutnant in Sr. Majestät
des Königs Leibgarde präsentirt, als auch schon alles Mißtraue» bei Jens wie weg¬
geblasen war, und als er erst Erlaubnis erhalten hatte, zu erzählen, in welchem
Jahre er gedient hatte, wer sein Konipagniechef gewesen und wer der schärfste von
den Unteroffizieren war, da war er auch mehr als geneigt, über die Nestaurirung
von Midskow zu berichten. — Ja, das wäre ganz richtig, jetzt entsinne er sich
dessen, daß dort ein altes Buch gefunden worden sei.

War es in ein Loch eingemauert? fragte der Leutnant.

Ja, das war Wohl so was.

Und wo ist es jetzt? Wer mag es jetzt wohl haben? Doch nicht am Ende
>!>eus selber?

Nein, was das anbetrifft, so hat Nasmus Petersen es selbst mitgenommen;
"ber was darin stand, war nicht zu lesen, denn es war wohl lateinische oder
hebräische Schrift — und der hat es dann später seinem Sohne, dem Rademacher
w Midskov gegeben.

In Midskov? rief der Leutnant, hat der es denn noch?

Ja, zu wissen war das nicht gut, aber anzunehmen war es wohl, denn
Heter Rademacher gehörte uicht zu denen, die verkommen lassen, was sie einmal
haben.

Jens wurde mit einer Krone entlassen, der Leutnant verabschiedete sich dankend
von dem Schulze», und die drei Töchter sahen ihm noch lange nach, als er vom
Hofe hinunterfuhr.

(Schluß folgt)




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[0616] Spuren im Schnee loses Haar hatten sie alle, dazu flache, sommersprossige Gesichter und nnlchblaue Augen — schön waren sie nicht. Als der Leutnant mit großer Anstrengung den ersten Punsch hinuntergewürgt und sich vergebens geweigert hatte, sich den zweiten zu mischen, erzählte er so kurz wie möglich, weswegen er gekommen sei, und bat, mit dem Kuhhirten sprechen zu dürfen. Der Schulze machte ein sehr langes Gesicht, aber der Kuhhirte — alias Maurer — Jens wurde, so wie er ging und stand, mit seinem Strickstrumpf in der Hand in die Stube hereingerufen, und uun fing der Leutnant an, ihn auszu¬ fragen, ob er nicht vor fünfzig Jahren beim Umbau von Midskov beschäftigt ge¬ wesen sei, was damals passirt wäre, und ob er sich nicht eines alten Buchs entsinne, das bei dieser Gelegenheit gefunden sein sollte. Jens Kuhhirt sah mißtrauisch aus, und Jens konnte sich natürlich nicht des Geringsten mehr entsinnen: es sei so grausam lange her, und er sei so alt — mein, gefunden sei damals wohl nichts. Der Leutnant war schon im Begriff, das Ganze aufzugeben, als ihm zum Glück einfiel, daß die Kriegseriunerungeu das „Scham, thu dich auf!" gewesen waren, das ihm den Weg zu Kutscher Nielsens Herz erschlossen hatte, und des¬ halb beschloß er Jens Kuhhirt gegenüber dasselbe zu versuchen. Haben Sie bei der Reiterei gestanden? fragte er. Nein, Jens hatte bei der Garde gestanden, wirklich und wahrhaftig bei der Garde. Und kaum hatte sich der Leutnant selber als Premierleutnant in Sr. Majestät des Königs Leibgarde präsentirt, als auch schon alles Mißtraue» bei Jens wie weg¬ geblasen war, und als er erst Erlaubnis erhalten hatte, zu erzählen, in welchem Jahre er gedient hatte, wer sein Konipagniechef gewesen und wer der schärfste von den Unteroffizieren war, da war er auch mehr als geneigt, über die Nestaurirung von Midskow zu berichten. — Ja, das wäre ganz richtig, jetzt entsinne er sich dessen, daß dort ein altes Buch gefunden worden sei. War es in ein Loch eingemauert? fragte der Leutnant. Ja, das war Wohl so was. Und wo ist es jetzt? Wer mag es jetzt wohl haben? Doch nicht am Ende >!>eus selber? Nein, was das anbetrifft, so hat Nasmus Petersen es selbst mitgenommen; "ber was darin stand, war nicht zu lesen, denn es war wohl lateinische oder hebräische Schrift — und der hat es dann später seinem Sohne, dem Rademacher w Midskov gegeben. In Midskov? rief der Leutnant, hat der es denn noch? Ja, zu wissen war das nicht gut, aber anzunehmen war es wohl, denn Heter Rademacher gehörte uicht zu denen, die verkommen lassen, was sie einmal haben. Jens wurde mit einer Krone entlassen, der Leutnant verabschiedete sich dankend von dem Schulze», und die drei Töchter sahen ihm noch lange nach, als er vom Hofe hinunterfuhr. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/616>, abgerufen am 12.12.2024.