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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen

einer eingehenden Erörterung enthalten. Denn es ist Wohl nicht möglich, daß
der Oberreichsanwalt nur allgemeine Redensarten vorgebracht hat, unter andern
die, "daß wir ein Land, in das wir unsre Misstonare schicken, um den Ein-
gebornen die Segnungen der Kultur und des Christentums zu bringen, mit
diesem verrotteten Gesindel (d. h. den Deportirten) nicht anfüllen dürfen; denn
dadurch begaben wir uns jedes Rechts der Besitzergreifung." Die Missionare
sind als Erzieher der Eingebornen gewiß recht brauchbar. Aber ihnen zuliebe
hat das Deutsche Reich ebensowenig wie irgend ein andrer europäischer Staat
afrikanisches Gebiet in Besitz genommen. Der Hauptzweck war überall die
sa1u8 rst xuK1i(ZÄ6. Übrigens verfolgen gerade die Leute, die die Deportation
empfehlen, nur humanitäre und zugleich patriotische Zwecke. Sie wollen in
erster Linie dem Verbrecher durch einen rationellen Strafvollzug helfen. Dies
geschieht dadurch, daß sie ihn im Dienste der Kolonie für seine künftige Bestim¬
mung arbeiten lehren und ihm dann nach Verbüßung der Strafknechtschaft zu
ökonomischer Selbststä'ndigkeit verhelfen, indem sie ihn als Ackerbauer ansiedeln.
Auf diese Weise wird zugleich das Vaterland von verbrecherischen Elementen
befreit und die Kolonie durch die Kulturarbeit der Sträflinge für die Ein¬
wanderung unsers überschüssigen Menschenmaterials aufnahmefähig gemacht.

Ebenso unverständlich ist die in verschiednen Zeitungsberichten dem Ober¬
reichsanwalt in den Mund gelegte Äußerung, "in Zukunft müßten dann die
Erwerbsgesellschaften, welche sich in Deutsch-Südwestafrika niedergelassen haben,
den kleinen Leuten, welche Land zur Ansiedlung wünschten, zurufen: Liebe
Freunde, kommt wieder, wenn ihr gewerbsmäßige Verbrecher geworden seid.
Erst dann seid ihr für uns geeignet." Als ob die Deportationsfrage nicht
völlig unabhängig ist von der Frage der Besiedlung des den Erwerbsgesell¬
schaften vom Deutschen Reiche geschenkten Areals mit kleinen Leuten. Weshalb
sollten diese Gesellschaften, wenn auch das Reich die Deportation einführte,
nicht auch mittellose" ehrlichen kleinen Leuten ein Stück Scholle zur Ansiedlung
überlassen, bevor diese von Not getrieben zu Verbrechern geworden sind?

Außer diesen beiden Rednern meldete sich niemand zum Wort, und nur
das Faktum wird berichtet, daß im Anschluß an die Ausführungen der Herren
Korn und Hamm die dritte Abteilung des Juristentages zu Posen mit allen
gegen etwa fünf Stimmen die Frage, ob ein Versuch der Deportation nach
Kolonien zu empfehlen sei, verneint hat.

In der Plenarsitzung, die tags darauf stattfand, wurde nochmals diese
Frage zur Diskussion gestellt. Hier nahm die Debatte einen wunderlichen
Verlauf. Nach den übereinstimmenden Zeitungsberichten wurde der Rechts¬
anwalt Baumert, der einzige Redner, der sich zu Gunsten der Deportation
aussprach, in seinen Ausführungen, in denen er die Widerlegung der einzelnen
Bedenken der Gegner versuchte, vielfach durch Heiterkeitsausbrüche der Ver¬
sammlung derart unterbrochen, daß er ins weitere Ausführungen verzichtete.


Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen

einer eingehenden Erörterung enthalten. Denn es ist Wohl nicht möglich, daß
der Oberreichsanwalt nur allgemeine Redensarten vorgebracht hat, unter andern
die, „daß wir ein Land, in das wir unsre Misstonare schicken, um den Ein-
gebornen die Segnungen der Kultur und des Christentums zu bringen, mit
diesem verrotteten Gesindel (d. h. den Deportirten) nicht anfüllen dürfen; denn
dadurch begaben wir uns jedes Rechts der Besitzergreifung." Die Missionare
sind als Erzieher der Eingebornen gewiß recht brauchbar. Aber ihnen zuliebe
hat das Deutsche Reich ebensowenig wie irgend ein andrer europäischer Staat
afrikanisches Gebiet in Besitz genommen. Der Hauptzweck war überall die
sa1u8 rst xuK1i(ZÄ6. Übrigens verfolgen gerade die Leute, die die Deportation
empfehlen, nur humanitäre und zugleich patriotische Zwecke. Sie wollen in
erster Linie dem Verbrecher durch einen rationellen Strafvollzug helfen. Dies
geschieht dadurch, daß sie ihn im Dienste der Kolonie für seine künftige Bestim¬
mung arbeiten lehren und ihm dann nach Verbüßung der Strafknechtschaft zu
ökonomischer Selbststä'ndigkeit verhelfen, indem sie ihn als Ackerbauer ansiedeln.
Auf diese Weise wird zugleich das Vaterland von verbrecherischen Elementen
befreit und die Kolonie durch die Kulturarbeit der Sträflinge für die Ein¬
wanderung unsers überschüssigen Menschenmaterials aufnahmefähig gemacht.

Ebenso unverständlich ist die in verschiednen Zeitungsberichten dem Ober¬
reichsanwalt in den Mund gelegte Äußerung, „in Zukunft müßten dann die
Erwerbsgesellschaften, welche sich in Deutsch-Südwestafrika niedergelassen haben,
den kleinen Leuten, welche Land zur Ansiedlung wünschten, zurufen: Liebe
Freunde, kommt wieder, wenn ihr gewerbsmäßige Verbrecher geworden seid.
Erst dann seid ihr für uns geeignet." Als ob die Deportationsfrage nicht
völlig unabhängig ist von der Frage der Besiedlung des den Erwerbsgesell¬
schaften vom Deutschen Reiche geschenkten Areals mit kleinen Leuten. Weshalb
sollten diese Gesellschaften, wenn auch das Reich die Deportation einführte,
nicht auch mittellose« ehrlichen kleinen Leuten ein Stück Scholle zur Ansiedlung
überlassen, bevor diese von Not getrieben zu Verbrechern geworden sind?

Außer diesen beiden Rednern meldete sich niemand zum Wort, und nur
das Faktum wird berichtet, daß im Anschluß an die Ausführungen der Herren
Korn und Hamm die dritte Abteilung des Juristentages zu Posen mit allen
gegen etwa fünf Stimmen die Frage, ob ein Versuch der Deportation nach
Kolonien zu empfehlen sei, verneint hat.

In der Plenarsitzung, die tags darauf stattfand, wurde nochmals diese
Frage zur Diskussion gestellt. Hier nahm die Debatte einen wunderlichen
Verlauf. Nach den übereinstimmenden Zeitungsberichten wurde der Rechts¬
anwalt Baumert, der einzige Redner, der sich zu Gunsten der Deportation
aussprach, in seinen Ausführungen, in denen er die Widerlegung der einzelnen
Bedenken der Gegner versuchte, vielfach durch Heiterkeitsausbrüche der Ver¬
sammlung derart unterbrochen, daß er ins weitere Ausführungen verzichtete.


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[0581] Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen einer eingehenden Erörterung enthalten. Denn es ist Wohl nicht möglich, daß der Oberreichsanwalt nur allgemeine Redensarten vorgebracht hat, unter andern die, „daß wir ein Land, in das wir unsre Misstonare schicken, um den Ein- gebornen die Segnungen der Kultur und des Christentums zu bringen, mit diesem verrotteten Gesindel (d. h. den Deportirten) nicht anfüllen dürfen; denn dadurch begaben wir uns jedes Rechts der Besitzergreifung." Die Missionare sind als Erzieher der Eingebornen gewiß recht brauchbar. Aber ihnen zuliebe hat das Deutsche Reich ebensowenig wie irgend ein andrer europäischer Staat afrikanisches Gebiet in Besitz genommen. Der Hauptzweck war überall die sa1u8 rst xuK1i(ZÄ6. Übrigens verfolgen gerade die Leute, die die Deportation empfehlen, nur humanitäre und zugleich patriotische Zwecke. Sie wollen in erster Linie dem Verbrecher durch einen rationellen Strafvollzug helfen. Dies geschieht dadurch, daß sie ihn im Dienste der Kolonie für seine künftige Bestim¬ mung arbeiten lehren und ihm dann nach Verbüßung der Strafknechtschaft zu ökonomischer Selbststä'ndigkeit verhelfen, indem sie ihn als Ackerbauer ansiedeln. Auf diese Weise wird zugleich das Vaterland von verbrecherischen Elementen befreit und die Kolonie durch die Kulturarbeit der Sträflinge für die Ein¬ wanderung unsers überschüssigen Menschenmaterials aufnahmefähig gemacht. Ebenso unverständlich ist die in verschiednen Zeitungsberichten dem Ober¬ reichsanwalt in den Mund gelegte Äußerung, „in Zukunft müßten dann die Erwerbsgesellschaften, welche sich in Deutsch-Südwestafrika niedergelassen haben, den kleinen Leuten, welche Land zur Ansiedlung wünschten, zurufen: Liebe Freunde, kommt wieder, wenn ihr gewerbsmäßige Verbrecher geworden seid. Erst dann seid ihr für uns geeignet." Als ob die Deportationsfrage nicht völlig unabhängig ist von der Frage der Besiedlung des den Erwerbsgesell¬ schaften vom Deutschen Reiche geschenkten Areals mit kleinen Leuten. Weshalb sollten diese Gesellschaften, wenn auch das Reich die Deportation einführte, nicht auch mittellose« ehrlichen kleinen Leuten ein Stück Scholle zur Ansiedlung überlassen, bevor diese von Not getrieben zu Verbrechern geworden sind? Außer diesen beiden Rednern meldete sich niemand zum Wort, und nur das Faktum wird berichtet, daß im Anschluß an die Ausführungen der Herren Korn und Hamm die dritte Abteilung des Juristentages zu Posen mit allen gegen etwa fünf Stimmen die Frage, ob ein Versuch der Deportation nach Kolonien zu empfehlen sei, verneint hat. In der Plenarsitzung, die tags darauf stattfand, wurde nochmals diese Frage zur Diskussion gestellt. Hier nahm die Debatte einen wunderlichen Verlauf. Nach den übereinstimmenden Zeitungsberichten wurde der Rechts¬ anwalt Baumert, der einzige Redner, der sich zu Gunsten der Deportation aussprach, in seinen Ausführungen, in denen er die Widerlegung der einzelnen Bedenken der Gegner versuchte, vielfach durch Heiterkeitsausbrüche der Ver¬ sammlung derart unterbrochen, daß er ins weitere Ausführungen verzichtete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/581>, abgerufen am 24.07.2024.