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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

der größern Städte zu erwarten, die wesentlichste aber von den vielen reichen
Leuten, die sich ein Beispiel an der Opferwilligkeit der reichen Franzosen und
Engländer nehmen sollten, die mit einander wetteifern, ihre öffentlichen Museen
mit Kunstwerken zu beschenken. Unsre Kunst soll durchaus in das Volk ge¬
tragen werden, weil man sich von ihr eine sittliche Erhebung und geistige
Veredlung der Massen verspricht; dazu müssen aber vor allem die reichen
Leute noch mehr helfen, als bis jetzt einzelne von ihnen -- das soll gern
anerkannt werden -- gethan haben.

Wenn auch die religiöse und die historische Malerei jetzt zu leiden haben,
so ist daraus keineswegs zu schließen, daß es der Malerei im allgemeinen
schlecht gehe. Im Gegenteil. Obwohl sich nicht wenige Kritiker beflissen
haben, in Berlin und auswärts die Meinung zu verbreiten, als sei die dies¬
jährige Berliner Kunstausstellung die schlechteste von allen bisherigen gewesen,
hat dieses alljährlich wiederkehrende Geschwätz nicht den geringsten Einfluß
auf die Kauflust des Publikums geübt. Nur hat sich diese fast ausschließlich
auf die Nippesfachen der Kunst, auf Einzelfiguren, Studieuköpfe. kleine Genre¬
bilder und Naturausschnitte von intimen Reiz und auf größere Landschaften
beschränkt, die in den Salons und in den "guten Stuben" eine stattliche
Wirkung machen und vielleicht auch noch durch die daran haftenden berühmten
und bekannten Namen dem Kunstverständnis der Besitzer ein ehrenvolles
Zeugnis aufstellen. Darf man darin schon ein Anzeichen des sinkenden Ge¬
schmacks erkennen, der sür ein Geschlecht bezeichnend ist. das im Bewußtsein
eines stetig steigenden Wohlstandes im Schutze einer gewaltigen, überall Furcht
gebietenden Macht langsam dem Shbaritentum entgegengeht? Wir wollen uns
gegen diese Besorgnis erregende Vorstellung so lange wehren, bis die Anzeichen
deutlicher und drohender werden; schon um der Landschaftsmalerei willen,
die der alte Stolz der deutscheu Kunst ist und gerade jetzt unter der Gunst
des Publikums am meisten gedeiht. Wo ist aber die deutsche Genremalerei
geblieben, die über ein halbes Jahrhundert ein ebenso kostbares Kleinod der
deutschen Kunst war? Wir sehen uns überall um und finden nichts. In
Berlin sind Düsseldorf, München und Karlsruhe durch Souderausstellungen
von beträchtlichem Umfang vertreten; aber die Genremalerei, die Art der
Malerei, die zum Volke ging und aus dem Volke ihre Kraft schöpfte, scheint
verschwunden zu sein. Ein paar elegant gemalte Bilder aus den gro߬
städtischen Salons mit ihrer geschminkten und geputzten Staffage und ein paar
.Elendsbilder" aus der jüngern Düsseldorfer Schule können für diesen Verlust
nicht entschädigen. Giebt es kein andres deutsches Volkstum mehr als dieses,
das sich nur in scharfen Gegensätzen kundgiebt?

Wir müssen mit dieser Frage schließen, weil wir jetzt noch keine Antwort
darauf wissen. Eine Kunstausstellung, selbst wenn sie mit der größten Umsicht
und mit den reichsten Mitteln veranstaltet wird, kann auch nicht den aus-
Gre


nzboten IV 1898
Die große Kunstausstellung in Berlin

der größern Städte zu erwarten, die wesentlichste aber von den vielen reichen
Leuten, die sich ein Beispiel an der Opferwilligkeit der reichen Franzosen und
Engländer nehmen sollten, die mit einander wetteifern, ihre öffentlichen Museen
mit Kunstwerken zu beschenken. Unsre Kunst soll durchaus in das Volk ge¬
tragen werden, weil man sich von ihr eine sittliche Erhebung und geistige
Veredlung der Massen verspricht; dazu müssen aber vor allem die reichen
Leute noch mehr helfen, als bis jetzt einzelne von ihnen — das soll gern
anerkannt werden — gethan haben.

Wenn auch die religiöse und die historische Malerei jetzt zu leiden haben,
so ist daraus keineswegs zu schließen, daß es der Malerei im allgemeinen
schlecht gehe. Im Gegenteil. Obwohl sich nicht wenige Kritiker beflissen
haben, in Berlin und auswärts die Meinung zu verbreiten, als sei die dies¬
jährige Berliner Kunstausstellung die schlechteste von allen bisherigen gewesen,
hat dieses alljährlich wiederkehrende Geschwätz nicht den geringsten Einfluß
auf die Kauflust des Publikums geübt. Nur hat sich diese fast ausschließlich
auf die Nippesfachen der Kunst, auf Einzelfiguren, Studieuköpfe. kleine Genre¬
bilder und Naturausschnitte von intimen Reiz und auf größere Landschaften
beschränkt, die in den Salons und in den „guten Stuben" eine stattliche
Wirkung machen und vielleicht auch noch durch die daran haftenden berühmten
und bekannten Namen dem Kunstverständnis der Besitzer ein ehrenvolles
Zeugnis aufstellen. Darf man darin schon ein Anzeichen des sinkenden Ge¬
schmacks erkennen, der sür ein Geschlecht bezeichnend ist. das im Bewußtsein
eines stetig steigenden Wohlstandes im Schutze einer gewaltigen, überall Furcht
gebietenden Macht langsam dem Shbaritentum entgegengeht? Wir wollen uns
gegen diese Besorgnis erregende Vorstellung so lange wehren, bis die Anzeichen
deutlicher und drohender werden; schon um der Landschaftsmalerei willen,
die der alte Stolz der deutscheu Kunst ist und gerade jetzt unter der Gunst
des Publikums am meisten gedeiht. Wo ist aber die deutsche Genremalerei
geblieben, die über ein halbes Jahrhundert ein ebenso kostbares Kleinod der
deutschen Kunst war? Wir sehen uns überall um und finden nichts. In
Berlin sind Düsseldorf, München und Karlsruhe durch Souderausstellungen
von beträchtlichem Umfang vertreten; aber die Genremalerei, die Art der
Malerei, die zum Volke ging und aus dem Volke ihre Kraft schöpfte, scheint
verschwunden zu sein. Ein paar elegant gemalte Bilder aus den gro߬
städtischen Salons mit ihrer geschminkten und geputzten Staffage und ein paar
.Elendsbilder" aus der jüngern Düsseldorfer Schule können für diesen Verlust
nicht entschädigen. Giebt es kein andres deutsches Volkstum mehr als dieses,
das sich nur in scharfen Gegensätzen kundgiebt?

Wir müssen mit dieser Frage schließen, weil wir jetzt noch keine Antwort
darauf wissen. Eine Kunstausstellung, selbst wenn sie mit der größten Umsicht
und mit den reichsten Mitteln veranstaltet wird, kann auch nicht den aus-
Gre


nzboten IV 1898
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[0053] Die große Kunstausstellung in Berlin der größern Städte zu erwarten, die wesentlichste aber von den vielen reichen Leuten, die sich ein Beispiel an der Opferwilligkeit der reichen Franzosen und Engländer nehmen sollten, die mit einander wetteifern, ihre öffentlichen Museen mit Kunstwerken zu beschenken. Unsre Kunst soll durchaus in das Volk ge¬ tragen werden, weil man sich von ihr eine sittliche Erhebung und geistige Veredlung der Massen verspricht; dazu müssen aber vor allem die reichen Leute noch mehr helfen, als bis jetzt einzelne von ihnen — das soll gern anerkannt werden — gethan haben. Wenn auch die religiöse und die historische Malerei jetzt zu leiden haben, so ist daraus keineswegs zu schließen, daß es der Malerei im allgemeinen schlecht gehe. Im Gegenteil. Obwohl sich nicht wenige Kritiker beflissen haben, in Berlin und auswärts die Meinung zu verbreiten, als sei die dies¬ jährige Berliner Kunstausstellung die schlechteste von allen bisherigen gewesen, hat dieses alljährlich wiederkehrende Geschwätz nicht den geringsten Einfluß auf die Kauflust des Publikums geübt. Nur hat sich diese fast ausschließlich auf die Nippesfachen der Kunst, auf Einzelfiguren, Studieuköpfe. kleine Genre¬ bilder und Naturausschnitte von intimen Reiz und auf größere Landschaften beschränkt, die in den Salons und in den „guten Stuben" eine stattliche Wirkung machen und vielleicht auch noch durch die daran haftenden berühmten und bekannten Namen dem Kunstverständnis der Besitzer ein ehrenvolles Zeugnis aufstellen. Darf man darin schon ein Anzeichen des sinkenden Ge¬ schmacks erkennen, der sür ein Geschlecht bezeichnend ist. das im Bewußtsein eines stetig steigenden Wohlstandes im Schutze einer gewaltigen, überall Furcht gebietenden Macht langsam dem Shbaritentum entgegengeht? Wir wollen uns gegen diese Besorgnis erregende Vorstellung so lange wehren, bis die Anzeichen deutlicher und drohender werden; schon um der Landschaftsmalerei willen, die der alte Stolz der deutscheu Kunst ist und gerade jetzt unter der Gunst des Publikums am meisten gedeiht. Wo ist aber die deutsche Genremalerei geblieben, die über ein halbes Jahrhundert ein ebenso kostbares Kleinod der deutschen Kunst war? Wir sehen uns überall um und finden nichts. In Berlin sind Düsseldorf, München und Karlsruhe durch Souderausstellungen von beträchtlichem Umfang vertreten; aber die Genremalerei, die Art der Malerei, die zum Volke ging und aus dem Volke ihre Kraft schöpfte, scheint verschwunden zu sein. Ein paar elegant gemalte Bilder aus den gro߬ städtischen Salons mit ihrer geschminkten und geputzten Staffage und ein paar .Elendsbilder" aus der jüngern Düsseldorfer Schule können für diesen Verlust nicht entschädigen. Giebt es kein andres deutsches Volkstum mehr als dieses, das sich nur in scharfen Gegensätzen kundgiebt? Wir müssen mit dieser Frage schließen, weil wir jetzt noch keine Antwort darauf wissen. Eine Kunstausstellung, selbst wenn sie mit der größten Umsicht und mit den reichsten Mitteln veranstaltet wird, kann auch nicht den aus- Gre nzboten IV 1898

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/53>, abgerufen am 24.07.2024.