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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

nationale Anziehungskraft Rußlands und Italiens so groß sein, daß die außer¬
deutschen Lande rettungslos den beutegierigen Nachbarn verfallen, was uns
Deutschen einerlei sein könnte, befänden sich unter den Läuderbrocken nicht weite
deutsche Landstriche, wie Welschtirol, die Bukowina und die Länder der so¬
genannten Wenzelskrone. Welschtirol ist am meisten gefährdet, da man an
leitender Stelle das Land als fremdes Sprachgebiet ansieht, obwohl man erst
künstlich diese Sprachtrennuug zwischen Nord und Süd mit kirchlicher Hilfe
geschaffen hat. Nun pocht die ItRlig, irrsclsntg. an die Thore Tirols. Zur
Abwehr verwelscht man amtlich das Laud lustig weiter. Die Beamten ver¬
stehen in Welschtirol kaum deutsch; alle Bekanntmachungen sind italienisch, und
der deutsche Reisende, der fast allein das ungastliche Land besucht, muß im
eignen deutschen Land italienische Aufschriften studiren. Ergötzlich ist es nur,
wenn der Deutsche in seiner Muttersprache seinem Unmute über diese Mi߬
wirtschaft deutlichen Ausdruck giebt. Denn mit einemmal versteht dieser Ur-
italiener aus Welschtirol das verhaßte Deutsch und antwortet sogar in dieser
verachteten Sprache. Dieses sich selbst verraten stimmt schlecht mit dem offi¬
ziellen Welschtum der Südtiroler überein. Freilich, die italienische Bettelhaftig-
keit macht sich dafür auch schon nördlich vom Gardasee breit; ein bedenkliches
Zeichen, daß der sonst so stolze deutsche Sohn der Berge, wo der Zwergkönig
Laurin seinen Rosengarten auf schwindelnder Dolomitenhöhe hütet, zum italie¬
nischen Trinkgeldjüger hinabgesunken ist.

Es sei erlaubt, an diesem Orte darauf hinzuweisen, welcher Unterschied
Zwischen der Lombardei im alten Sinne und Venedig besteht. Nur Venedig
ist von ganz Oberitalien von der deutschen Überflutung verschont geblieben.
Die deutsche Einwanderung hat bis über die Hohenstaufenzeit gedauert, sodaß
kaum noch romanisirte Kelten im Lande geblieben sind. Die nationale Schwäche
und mangelnde Widerstandskraft haben allein neben der ungeschickten kaiser¬
lichen Politik, die das trotzige aufstrebende Bürgertum uicht für seine Zwecke
zu gewinnen wußte, dem Polcinde den romanischen Firnis gegeben. Die Lom¬
bardei ein fleißig angebautes, hochentwickeltes Kulturland; Venedig trotz der
vergangnen Handelsherrlichkeit ein elendes Bettlervolk. Tizians vollbusigen,
blonden Frauengestalten von hohem Wuchs sind keine venetianischen Schön¬
heiten, sondern die germanischen Töchter des langobardischen Festlands, das
steh die Lagunenstadt beim Verfall der kaiserlichen Gewalt langsam, aber un¬
aufhaltsam unterworfen hatte, nachdem die deutschen Edelinge und Stadtfürsten,
wie die Scaliger, Visconti und Este besiegt waren. Noch heute haben wir
dieses unverfälschte Bild der Nationalitätenscheidung. Aber selbst auf deutschem
Boden ist man sich dieser langsamen Entdeutschung alten germanischen Vvlks-
bodens nicht mehr bewußt und läßt das feindliche Romcmentum über die
Grenze bis tief in die deutschen Alpenthäler dringen.

Mag man auch den Parteistandpunkt der liberalen Tiroler nicht teilen


Grenzboten IV 1898 W
Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

nationale Anziehungskraft Rußlands und Italiens so groß sein, daß die außer¬
deutschen Lande rettungslos den beutegierigen Nachbarn verfallen, was uns
Deutschen einerlei sein könnte, befänden sich unter den Läuderbrocken nicht weite
deutsche Landstriche, wie Welschtirol, die Bukowina und die Länder der so¬
genannten Wenzelskrone. Welschtirol ist am meisten gefährdet, da man an
leitender Stelle das Land als fremdes Sprachgebiet ansieht, obwohl man erst
künstlich diese Sprachtrennuug zwischen Nord und Süd mit kirchlicher Hilfe
geschaffen hat. Nun pocht die ItRlig, irrsclsntg. an die Thore Tirols. Zur
Abwehr verwelscht man amtlich das Laud lustig weiter. Die Beamten ver¬
stehen in Welschtirol kaum deutsch; alle Bekanntmachungen sind italienisch, und
der deutsche Reisende, der fast allein das ungastliche Land besucht, muß im
eignen deutschen Land italienische Aufschriften studiren. Ergötzlich ist es nur,
wenn der Deutsche in seiner Muttersprache seinem Unmute über diese Mi߬
wirtschaft deutlichen Ausdruck giebt. Denn mit einemmal versteht dieser Ur-
italiener aus Welschtirol das verhaßte Deutsch und antwortet sogar in dieser
verachteten Sprache. Dieses sich selbst verraten stimmt schlecht mit dem offi¬
ziellen Welschtum der Südtiroler überein. Freilich, die italienische Bettelhaftig-
keit macht sich dafür auch schon nördlich vom Gardasee breit; ein bedenkliches
Zeichen, daß der sonst so stolze deutsche Sohn der Berge, wo der Zwergkönig
Laurin seinen Rosengarten auf schwindelnder Dolomitenhöhe hütet, zum italie¬
nischen Trinkgeldjüger hinabgesunken ist.

Es sei erlaubt, an diesem Orte darauf hinzuweisen, welcher Unterschied
Zwischen der Lombardei im alten Sinne und Venedig besteht. Nur Venedig
ist von ganz Oberitalien von der deutschen Überflutung verschont geblieben.
Die deutsche Einwanderung hat bis über die Hohenstaufenzeit gedauert, sodaß
kaum noch romanisirte Kelten im Lande geblieben sind. Die nationale Schwäche
und mangelnde Widerstandskraft haben allein neben der ungeschickten kaiser¬
lichen Politik, die das trotzige aufstrebende Bürgertum uicht für seine Zwecke
zu gewinnen wußte, dem Polcinde den romanischen Firnis gegeben. Die Lom¬
bardei ein fleißig angebautes, hochentwickeltes Kulturland; Venedig trotz der
vergangnen Handelsherrlichkeit ein elendes Bettlervolk. Tizians vollbusigen,
blonden Frauengestalten von hohem Wuchs sind keine venetianischen Schön¬
heiten, sondern die germanischen Töchter des langobardischen Festlands, das
steh die Lagunenstadt beim Verfall der kaiserlichen Gewalt langsam, aber un¬
aufhaltsam unterworfen hatte, nachdem die deutschen Edelinge und Stadtfürsten,
wie die Scaliger, Visconti und Este besiegt waren. Noch heute haben wir
dieses unverfälschte Bild der Nationalitätenscheidung. Aber selbst auf deutschem
Boden ist man sich dieser langsamen Entdeutschung alten germanischen Vvlks-
bodens nicht mehr bewußt und läßt das feindliche Romcmentum über die
Grenze bis tief in die deutschen Alpenthäler dringen.

Mag man auch den Parteistandpunkt der liberalen Tiroler nicht teilen


Grenzboten IV 1898 W
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[0524] Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden nationale Anziehungskraft Rußlands und Italiens so groß sein, daß die außer¬ deutschen Lande rettungslos den beutegierigen Nachbarn verfallen, was uns Deutschen einerlei sein könnte, befänden sich unter den Läuderbrocken nicht weite deutsche Landstriche, wie Welschtirol, die Bukowina und die Länder der so¬ genannten Wenzelskrone. Welschtirol ist am meisten gefährdet, da man an leitender Stelle das Land als fremdes Sprachgebiet ansieht, obwohl man erst künstlich diese Sprachtrennuug zwischen Nord und Süd mit kirchlicher Hilfe geschaffen hat. Nun pocht die ItRlig, irrsclsntg. an die Thore Tirols. Zur Abwehr verwelscht man amtlich das Laud lustig weiter. Die Beamten ver¬ stehen in Welschtirol kaum deutsch; alle Bekanntmachungen sind italienisch, und der deutsche Reisende, der fast allein das ungastliche Land besucht, muß im eignen deutschen Land italienische Aufschriften studiren. Ergötzlich ist es nur, wenn der Deutsche in seiner Muttersprache seinem Unmute über diese Mi߬ wirtschaft deutlichen Ausdruck giebt. Denn mit einemmal versteht dieser Ur- italiener aus Welschtirol das verhaßte Deutsch und antwortet sogar in dieser verachteten Sprache. Dieses sich selbst verraten stimmt schlecht mit dem offi¬ ziellen Welschtum der Südtiroler überein. Freilich, die italienische Bettelhaftig- keit macht sich dafür auch schon nördlich vom Gardasee breit; ein bedenkliches Zeichen, daß der sonst so stolze deutsche Sohn der Berge, wo der Zwergkönig Laurin seinen Rosengarten auf schwindelnder Dolomitenhöhe hütet, zum italie¬ nischen Trinkgeldjüger hinabgesunken ist. Es sei erlaubt, an diesem Orte darauf hinzuweisen, welcher Unterschied Zwischen der Lombardei im alten Sinne und Venedig besteht. Nur Venedig ist von ganz Oberitalien von der deutschen Überflutung verschont geblieben. Die deutsche Einwanderung hat bis über die Hohenstaufenzeit gedauert, sodaß kaum noch romanisirte Kelten im Lande geblieben sind. Die nationale Schwäche und mangelnde Widerstandskraft haben allein neben der ungeschickten kaiser¬ lichen Politik, die das trotzige aufstrebende Bürgertum uicht für seine Zwecke zu gewinnen wußte, dem Polcinde den romanischen Firnis gegeben. Die Lom¬ bardei ein fleißig angebautes, hochentwickeltes Kulturland; Venedig trotz der vergangnen Handelsherrlichkeit ein elendes Bettlervolk. Tizians vollbusigen, blonden Frauengestalten von hohem Wuchs sind keine venetianischen Schön¬ heiten, sondern die germanischen Töchter des langobardischen Festlands, das steh die Lagunenstadt beim Verfall der kaiserlichen Gewalt langsam, aber un¬ aufhaltsam unterworfen hatte, nachdem die deutschen Edelinge und Stadtfürsten, wie die Scaliger, Visconti und Este besiegt waren. Noch heute haben wir dieses unverfälschte Bild der Nationalitätenscheidung. Aber selbst auf deutschem Boden ist man sich dieser langsamen Entdeutschung alten germanischen Vvlks- bodens nicht mehr bewußt und läßt das feindliche Romcmentum über die Grenze bis tief in die deutschen Alpenthäler dringen. Mag man auch den Parteistandpunkt der liberalen Tiroler nicht teilen Grenzboten IV 1898 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/524>, abgerufen am 24.07.2024.