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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtnngen aus dem deutschen Süden

undeutsche Sinn des zum Teil italienischen Klerus ohne Einfluß ans die
Volksstimmung bleiben sollte. Der etwas unzeitgemäß gewordne Bannstrahl
des Trientiner Bischofs in Welschtirol gegen die deutsche Bozener Zeitung und
die Protestversammlung der aufgewiegelten Bauern gegen dieses Blatt, der
sich grobe Ausschreitungen gegen harmlose Veranstalter der üblichen Sonnen-
wendfener anschlössen, sind üble Zeichen einer deutschen Gesinnung. Selbst
die uralte germanische Volkssitte des Johannisfeners, die die Kirche klug ge¬
duldet hat, wurde den verdummten Bauern als deutsch-nationale Veranstaltung
anstößig, da liberalerseits das Entfachen der Holzstöße auf den stolzen Berg¬
häuptern als Sinnbild der deutschen Freiheit gedeutet wurde. Sicherlich ein
durchaus harmloser Vorgang, wovon wir selbst Zeugen gewesen sind. Trotz¬
dem unterfingen sich deutsche Tiroler, selbst zufällig anwesende reichsdeutsche
Zuschauer mit den alten Freiheitsstntzen zu bedrohen, als ob die Kirche durch
die von ihr gebilligte Feier bedroht gewesen wäre. Zweifellos lag die gemeinste
demagogische Hetze des Klerus vor, wogegen die vielleicht unangemessene Haltung
des Bozener Blättchens ein Kinderspiel war.

Die gewaltige Alpennatur, der gegenüber sich der Mensch so klein und
hilflos fühlt, wirkt ja auf den schlichten Sinn der in abgelegnen Thälern und
auf einsamen Almen zerstreuten Bevölkerung und erzeugt ein tiefes religiöses
Gefühl. Mag auch ein Teil der Geistlichkeit diese reine Gottesfurcht zu eigen¬
nützigen Zwecken zum Schaden des eignen Volkstums mißbrauchen und Haß
zwischen den einzelnen Volkskreisen säen, so muß man doch mit dieser innigen
religiösen Überzeugung rechnen und die Gefühle der Gotteseinfalt schonen. Der
Liberalismus hat hier schwer geirrt, wenn er glaubte, die Kirche durch politische
Ideale zu ersetzen. Auch hat er das Band des gemeinsamen Volkstums lange
Zeit unterschätzt. Nun gilt es, die tiefe Kluft zu überbrücken, die beide Lager
scheidet. Die aufgeklärten Geister mit warmem nationalem Gefühl und das
schlichte, beschränkte Volk, dem die Kirche über alles geht, stehen sich feindlich
gegenüber. Die Kirche hat klug durch unzählige Feiertage und einen rührenden
Mangel an Unterricht das arme Volk der Alpler in feste Banden geschlagen.
Das Wort der Vernunft und der nationale Weckruf finden taube Ohren.

Andrerseits schreitet der nationale Gegner, der Italiener, auch wirtschaftlich
rasch vorwärts, nachdem er seit einem Jahrhundert die Kirche gewonnen hat.
Über Innsbruck hinaus findet man nordwärts überall italienische Arbeiter, die
unt ihrer Anspruchslosigkeit den behäbiger" Deutschen verdrängen. Das arme
Vettlervolk nimmt jede Arbeit. Das Hofsystem mit dem streng durchgeführten
Anerbenrecht hindert auf deutschem Volksboden außerdem die Zunahme der
Bevölkerung, während sich die besitzlosen Italiener schnell vermehren und die
hohe Obrigkeit für das Fortkommen der Sprößlinge sorgen lassen. In den
Grenzbezirken richten Regierung und Geistlichkeit zuvorkommend italienische
Schulen und Gottesdienste ein, und so schreitet die Jtalienisirung vom Gcirdasee


Politische Reisebetrachtnngen aus dem deutschen Süden

undeutsche Sinn des zum Teil italienischen Klerus ohne Einfluß ans die
Volksstimmung bleiben sollte. Der etwas unzeitgemäß gewordne Bannstrahl
des Trientiner Bischofs in Welschtirol gegen die deutsche Bozener Zeitung und
die Protestversammlung der aufgewiegelten Bauern gegen dieses Blatt, der
sich grobe Ausschreitungen gegen harmlose Veranstalter der üblichen Sonnen-
wendfener anschlössen, sind üble Zeichen einer deutschen Gesinnung. Selbst
die uralte germanische Volkssitte des Johannisfeners, die die Kirche klug ge¬
duldet hat, wurde den verdummten Bauern als deutsch-nationale Veranstaltung
anstößig, da liberalerseits das Entfachen der Holzstöße auf den stolzen Berg¬
häuptern als Sinnbild der deutschen Freiheit gedeutet wurde. Sicherlich ein
durchaus harmloser Vorgang, wovon wir selbst Zeugen gewesen sind. Trotz¬
dem unterfingen sich deutsche Tiroler, selbst zufällig anwesende reichsdeutsche
Zuschauer mit den alten Freiheitsstntzen zu bedrohen, als ob die Kirche durch
die von ihr gebilligte Feier bedroht gewesen wäre. Zweifellos lag die gemeinste
demagogische Hetze des Klerus vor, wogegen die vielleicht unangemessene Haltung
des Bozener Blättchens ein Kinderspiel war.

Die gewaltige Alpennatur, der gegenüber sich der Mensch so klein und
hilflos fühlt, wirkt ja auf den schlichten Sinn der in abgelegnen Thälern und
auf einsamen Almen zerstreuten Bevölkerung und erzeugt ein tiefes religiöses
Gefühl. Mag auch ein Teil der Geistlichkeit diese reine Gottesfurcht zu eigen¬
nützigen Zwecken zum Schaden des eignen Volkstums mißbrauchen und Haß
zwischen den einzelnen Volkskreisen säen, so muß man doch mit dieser innigen
religiösen Überzeugung rechnen und die Gefühle der Gotteseinfalt schonen. Der
Liberalismus hat hier schwer geirrt, wenn er glaubte, die Kirche durch politische
Ideale zu ersetzen. Auch hat er das Band des gemeinsamen Volkstums lange
Zeit unterschätzt. Nun gilt es, die tiefe Kluft zu überbrücken, die beide Lager
scheidet. Die aufgeklärten Geister mit warmem nationalem Gefühl und das
schlichte, beschränkte Volk, dem die Kirche über alles geht, stehen sich feindlich
gegenüber. Die Kirche hat klug durch unzählige Feiertage und einen rührenden
Mangel an Unterricht das arme Volk der Alpler in feste Banden geschlagen.
Das Wort der Vernunft und der nationale Weckruf finden taube Ohren.

Andrerseits schreitet der nationale Gegner, der Italiener, auch wirtschaftlich
rasch vorwärts, nachdem er seit einem Jahrhundert die Kirche gewonnen hat.
Über Innsbruck hinaus findet man nordwärts überall italienische Arbeiter, die
unt ihrer Anspruchslosigkeit den behäbiger» Deutschen verdrängen. Das arme
Vettlervolk nimmt jede Arbeit. Das Hofsystem mit dem streng durchgeführten
Anerbenrecht hindert auf deutschem Volksboden außerdem die Zunahme der
Bevölkerung, während sich die besitzlosen Italiener schnell vermehren und die
hohe Obrigkeit für das Fortkommen der Sprößlinge sorgen lassen. In den
Grenzbezirken richten Regierung und Geistlichkeit zuvorkommend italienische
Schulen und Gottesdienste ein, und so schreitet die Jtalienisirung vom Gcirdasee


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[0522] Politische Reisebetrachtnngen aus dem deutschen Süden undeutsche Sinn des zum Teil italienischen Klerus ohne Einfluß ans die Volksstimmung bleiben sollte. Der etwas unzeitgemäß gewordne Bannstrahl des Trientiner Bischofs in Welschtirol gegen die deutsche Bozener Zeitung und die Protestversammlung der aufgewiegelten Bauern gegen dieses Blatt, der sich grobe Ausschreitungen gegen harmlose Veranstalter der üblichen Sonnen- wendfener anschlössen, sind üble Zeichen einer deutschen Gesinnung. Selbst die uralte germanische Volkssitte des Johannisfeners, die die Kirche klug ge¬ duldet hat, wurde den verdummten Bauern als deutsch-nationale Veranstaltung anstößig, da liberalerseits das Entfachen der Holzstöße auf den stolzen Berg¬ häuptern als Sinnbild der deutschen Freiheit gedeutet wurde. Sicherlich ein durchaus harmloser Vorgang, wovon wir selbst Zeugen gewesen sind. Trotz¬ dem unterfingen sich deutsche Tiroler, selbst zufällig anwesende reichsdeutsche Zuschauer mit den alten Freiheitsstntzen zu bedrohen, als ob die Kirche durch die von ihr gebilligte Feier bedroht gewesen wäre. Zweifellos lag die gemeinste demagogische Hetze des Klerus vor, wogegen die vielleicht unangemessene Haltung des Bozener Blättchens ein Kinderspiel war. Die gewaltige Alpennatur, der gegenüber sich der Mensch so klein und hilflos fühlt, wirkt ja auf den schlichten Sinn der in abgelegnen Thälern und auf einsamen Almen zerstreuten Bevölkerung und erzeugt ein tiefes religiöses Gefühl. Mag auch ein Teil der Geistlichkeit diese reine Gottesfurcht zu eigen¬ nützigen Zwecken zum Schaden des eignen Volkstums mißbrauchen und Haß zwischen den einzelnen Volkskreisen säen, so muß man doch mit dieser innigen religiösen Überzeugung rechnen und die Gefühle der Gotteseinfalt schonen. Der Liberalismus hat hier schwer geirrt, wenn er glaubte, die Kirche durch politische Ideale zu ersetzen. Auch hat er das Band des gemeinsamen Volkstums lange Zeit unterschätzt. Nun gilt es, die tiefe Kluft zu überbrücken, die beide Lager scheidet. Die aufgeklärten Geister mit warmem nationalem Gefühl und das schlichte, beschränkte Volk, dem die Kirche über alles geht, stehen sich feindlich gegenüber. Die Kirche hat klug durch unzählige Feiertage und einen rührenden Mangel an Unterricht das arme Volk der Alpler in feste Banden geschlagen. Das Wort der Vernunft und der nationale Weckruf finden taube Ohren. Andrerseits schreitet der nationale Gegner, der Italiener, auch wirtschaftlich rasch vorwärts, nachdem er seit einem Jahrhundert die Kirche gewonnen hat. Über Innsbruck hinaus findet man nordwärts überall italienische Arbeiter, die unt ihrer Anspruchslosigkeit den behäbiger» Deutschen verdrängen. Das arme Vettlervolk nimmt jede Arbeit. Das Hofsystem mit dem streng durchgeführten Anerbenrecht hindert auf deutschem Volksboden außerdem die Zunahme der Bevölkerung, während sich die besitzlosen Italiener schnell vermehren und die hohe Obrigkeit für das Fortkommen der Sprößlinge sorgen lassen. In den Grenzbezirken richten Regierung und Geistlichkeit zuvorkommend italienische Schulen und Gottesdienste ein, und so schreitet die Jtalienisirung vom Gcirdasee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/522>, abgerufen am 12.12.2024.