Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland ein vernichtendes Urteil darüber gefüllt. Bülows Schrift, schreibt Dohna unter Der 1810 und 1814 vorausgesagte Zusammenbruch trat, wie erwähnt, noch Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland ein vernichtendes Urteil darüber gefüllt. Bülows Schrift, schreibt Dohna unter Der 1810 und 1814 vorausgesagte Zusammenbruch trat, wie erwähnt, noch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229431"/> <fw type="header" place="top"> Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1372" prev="#ID_1371"> ein vernichtendes Urteil darüber gefüllt. Bülows Schrift, schreibt Dohna unter<lb/> anderen, finde den höchsten Beifall „bei der unendlich zahlreichen und über alles<lb/> mächtigen Klasse von Bankrotteurs und Glücksuchern; erstere wollen urplötzlich<lb/> alle ihre Schulden quitt und los sein; letztere hoffen bei Ausführung des<lb/> Bülowschen Gewebes, wie solches auch nicht fehlen kann, sich artig zu bereichern."<lb/> Die gerechten Entschädigungsansprüche der Gutsbesitzer sind, soweit es die Mittel<lb/> des Staates erlaubten, im Laufe der Zeit auf andre Weise befriedigt worden, und<lb/> Staatsmänner wie der um Handel und Gewerbe hochverdiente Staatsrat Kunth<lb/> klagten sogar, daß ihnen viele Millionen als Geschenk zugeflossen seien (Brief<lb/> Knnths vom 22. August 1826 an den Freiherrn von Stein in der Biographie<lb/> Knuths von Friedrich und Paul Goldschmidt). Über die Zinsenindnlte, die den<lb/> Gutsbesitzern vom Jahre 1806 an wiederholt gewährt wurden, haben Kunth und<lb/> Theodor von Schön noch schärfer geurteilt als Boyen. Der Vorschlag Bülows<lb/> muß schon darum ungerecht genannt werden, weil darin kein Unterschied ge¬<lb/> macht wird zwischen den aus der Kriegslast entsprungnen und den vor dem<lb/> Kriege leichtsinnigerwcise gemachten Schulden. Besonders ist es als ein Glück<lb/> anzusehen, daß sich die Regierung nicht dazu hat verlocken oder drängen lassen,<lb/> die Domänen zu verschleudern, die auch heute noch ein außerordentlich wert¬<lb/> voller Staatsbesitz sind. Vielleicht darum nicht, weil, wie Unke nachweist, die<lb/> Zahl der Überschuldeten gar nicht so groß war, wie die Klagen der Moral¬<lb/> prediger einerseits und das Geschrei der Notleidenden andrerseits glauben<lb/> machten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1373" next="#ID_1374"> Der 1810 und 1814 vorausgesagte Zusammenbruch trat, wie erwähnt, noch<lb/> nicht ein; vorläufig waren die Armen übler dran als die Rittergutsbesitzer,<lb/> denn das durch den Krieg verwüstete Land wurde von Teurung heimgesucht;<lb/> über eine Million Soldaten hatte es zu ernähren gehabt, die Hände zur Be¬<lb/> bauung des Ackers hatten gefehlt, Freund und Feind hatten viele Vorräte<lb/> zerstört, und so herrschte denn von 1813 bis 1815 schrecklicher Mangel. Das<lb/> erste Friedensjahr brachte eine Mißernte, und die Not stieg noch höher als im<lb/> Teurungsjahre 1805. Ostpreußen hatte nach Unke im Jahre 1807 22 Prozent<lb/> der Pferde und 27 Prozent des Rindviehs, 1813 40 Prozent der Pferde und<lb/> 30 Prozent der Rinder verloren. Zu einer dem Mangel angemessenen Höhe,<lb/> schreibt Knobloch, sei der Getreidepreis deswegen nicht gestiegen, weil, in Ost¬<lb/> preußen wenigstens, die Leute so verarmt gewesen seien, daß sie überhaupt<lb/> kein Brot hätten kaufen können; sie Hütten sich von Wurzeln, Kräutern, Beeren<lb/> und Pilze» eruührt, monatelang kein Fleisch und kein Brot, höchstens ein wenig<lb/> Milch genossen. Sie Hütten ganz elend ausgesehen, und ihre Haut sei mit<lb/> schwarzen Flecken bedeckt gewesen. Mit Jubel, schreibt Langethal, begrüßte die<lb/> Bevölkerung die ersten Erntewagen des Jahres 1817, die einen reichen Ernte-<lb/> scgen einleiteten und eine bessere Zeit ankündigten. In der That gingen mit<lb/> diesem Jahre der arbeitenden Bevölkerung glückliche Zeiten auf. Meine Mutter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland
ein vernichtendes Urteil darüber gefüllt. Bülows Schrift, schreibt Dohna unter
anderen, finde den höchsten Beifall „bei der unendlich zahlreichen und über alles
mächtigen Klasse von Bankrotteurs und Glücksuchern; erstere wollen urplötzlich
alle ihre Schulden quitt und los sein; letztere hoffen bei Ausführung des
Bülowschen Gewebes, wie solches auch nicht fehlen kann, sich artig zu bereichern."
Die gerechten Entschädigungsansprüche der Gutsbesitzer sind, soweit es die Mittel
des Staates erlaubten, im Laufe der Zeit auf andre Weise befriedigt worden, und
Staatsmänner wie der um Handel und Gewerbe hochverdiente Staatsrat Kunth
klagten sogar, daß ihnen viele Millionen als Geschenk zugeflossen seien (Brief
Knnths vom 22. August 1826 an den Freiherrn von Stein in der Biographie
Knuths von Friedrich und Paul Goldschmidt). Über die Zinsenindnlte, die den
Gutsbesitzern vom Jahre 1806 an wiederholt gewährt wurden, haben Kunth und
Theodor von Schön noch schärfer geurteilt als Boyen. Der Vorschlag Bülows
muß schon darum ungerecht genannt werden, weil darin kein Unterschied ge¬
macht wird zwischen den aus der Kriegslast entsprungnen und den vor dem
Kriege leichtsinnigerwcise gemachten Schulden. Besonders ist es als ein Glück
anzusehen, daß sich die Regierung nicht dazu hat verlocken oder drängen lassen,
die Domänen zu verschleudern, die auch heute noch ein außerordentlich wert¬
voller Staatsbesitz sind. Vielleicht darum nicht, weil, wie Unke nachweist, die
Zahl der Überschuldeten gar nicht so groß war, wie die Klagen der Moral¬
prediger einerseits und das Geschrei der Notleidenden andrerseits glauben
machten.
Der 1810 und 1814 vorausgesagte Zusammenbruch trat, wie erwähnt, noch
nicht ein; vorläufig waren die Armen übler dran als die Rittergutsbesitzer,
denn das durch den Krieg verwüstete Land wurde von Teurung heimgesucht;
über eine Million Soldaten hatte es zu ernähren gehabt, die Hände zur Be¬
bauung des Ackers hatten gefehlt, Freund und Feind hatten viele Vorräte
zerstört, und so herrschte denn von 1813 bis 1815 schrecklicher Mangel. Das
erste Friedensjahr brachte eine Mißernte, und die Not stieg noch höher als im
Teurungsjahre 1805. Ostpreußen hatte nach Unke im Jahre 1807 22 Prozent
der Pferde und 27 Prozent des Rindviehs, 1813 40 Prozent der Pferde und
30 Prozent der Rinder verloren. Zu einer dem Mangel angemessenen Höhe,
schreibt Knobloch, sei der Getreidepreis deswegen nicht gestiegen, weil, in Ost¬
preußen wenigstens, die Leute so verarmt gewesen seien, daß sie überhaupt
kein Brot hätten kaufen können; sie Hütten sich von Wurzeln, Kräutern, Beeren
und Pilze» eruührt, monatelang kein Fleisch und kein Brot, höchstens ein wenig
Milch genossen. Sie Hütten ganz elend ausgesehen, und ihre Haut sei mit
schwarzen Flecken bedeckt gewesen. Mit Jubel, schreibt Langethal, begrüßte die
Bevölkerung die ersten Erntewagen des Jahres 1817, die einen reichen Ernte-
scgen einleiteten und eine bessere Zeit ankündigten. In der That gingen mit
diesem Jahre der arbeitenden Bevölkerung glückliche Zeiten auf. Meine Mutter
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